Kritik zu Jeder stirbt für sich allein

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Für seine dritte Regiearbeit hat sich der französische Schauspieler Vincent Pérez Hans Falladas bekannten, heute aber selten gelesenen Roman vorgenommen, in dem ein Ehepaar einsamen Widerstand gegen Hitler leistet

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Mit subversiven Pamphleten gegen das Hitler-Regime? Da denkt man an die Geschwister Scholl. Die Berliner Eheleute Otto und Elise Hampel, die nach dem Kriegstod ihres Sohnes mit anonymen Postkarten gegen den Nazi-Wahn aufbegehrten, sind dagegen relativ unbekannt. Das ist merkwürdig, denn der Roman, in dem Hans Fallada die traurige Geschichte dieses verzweifelten Paares 1946/47 nach Gestapo-­Akten niederschrieb, ist schon fürs Fernsehen und zweimal für die Kinoleinwand adaptiert worden.

Buch und Verfilmungen hinterließen aber kaum Spuren, trotz der Berühmtheit des Autors, dessen griffige Romantitel teilweise sogar zu Redewendungen wurden. Diese Verdrängung mag auch mit der schleppenden Entnazifizierung zusammenhängen. Als einer der Ersten skizzierte Fallada in seinem unbequemen Roman den NS-Alltag und hielt vermeintlich unschuldigen Mitläufern den Spiegel vor. Auf über 700 Seiten schildert er die Stimmung in einem Berliner Mietshaus, dessen Bewohner einen Querschnitt der Bevölkerung des Jahres 1940 bildeten. Ein fanatischer Blockwart, ein pensionierter Richter mit Zivilcourage, der sich jedoch ins innere Exil zurückgezogen hat, ein Hitlerjunge und ein asozialer Denunziant, der die Wohnung jener Jüdin plündert, deren Mann deportiert wurde. Und mittendrin das Ehepaar Hampel, das Fallada Quangel nannte. Ein Feldpostbrief teilt ihnen samt den üblichen Floskeln mit, ihr Sohn sei im Frankreichfeldzug gefallen. Für das Paar bricht eine Welt zusammen.

Aufgrund seiner überraschenden Popularität durch die 2002 erfolgten englischen und französischen Übersetzungen wurde das Buch nun zum vierten Mal verfilmt. Nach Hirschbiegels »Elser«, der Neuadaption der Anne-Frank-Tagebücher und den drei Filmen über Fritz Bauer folgt »Jeder stirbt für sich allein« einem Trend. Filmemacher suchen händeringend nach authentischen »Helden«, aus deren Perspektive das »Dritte Reich« neu ausgeleuchtet werden soll. Mit vorwiegend deutschen Fördergeldern und britischen Stars in den Hauptrollen gelang dem franko-schweizerischen Regisseur Vincent Pérez leider kein homogener Film. An Komparsen wurde zwar nicht gespart, auch die Wohnung der Quangels ist akribisch ausgestattet, und Emma Thompson verrichtet darstellerische Schwerstarbeit. Die alltägliche Atmosphäre von Misstrauen, Angst, Feigheit und Verrat vermittelt sich aber nur ansatzweise. Dem Regisseur fehlt der Blick fürs Detail, die Charaktere des Mietshauses bleiben holzschnittartig. Pérez reiht inszenatorische Ausrufezeichen aneinander. Da stürzt sich die verzweifelte Jüdin aus dem Fenster, und zack, ragt schon die Hand des fiesen Denunzianten ins Bild, die der Toten auch noch das Brillantarmband fleddert. Greller geht es nicht? Doch. Am Ende wirft Kommissar Escherich (Daniel Brühl) die gesammelten Postkarten des Rebellen Quangel aus dem Fenster. Wie die Flugblätter der Geschwister Scholl regnen die Karten auf die Straße herab. Ein Bild der Hoffnung? Nein, hier vereint der Film Kitsch mit fehlender Inspiration. Ein relevantes Thema, verschenkt.

Meinung zum Thema

Kommentare

Sehr geehrter Herr Riebke,

ich habe den Film ganz anders wahrgenommen. Sie haben Recht, dass die Hausbewohner als Stereotypen dargestellt werden: Darin ähnelt die filmische Personenbeschreibung der Romanvorlage. Im Kontrast dazu hat mich die Darstellung des Ehepaar Quangel durch Thompson und Gleeson fasziniert.
Szenen die Sie als kitschig empfinden, sind mir nicht so negativ erschienen. Vielleicht ist theatralisch eine andere, wohlwollendere Beschreibung.
Kurzum: Ich sah einen ruhig erzählten, intensiv wirkenden Film, der mich emotional voll erwischte.
Ich bin der Meinung, dass insbesondere die Hauptdarsteller dem Film eine dem Buch entsprechende Wirkung verleihen. Anders als Sie, empfehle ich einen Kinobesuch.

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