Von Verbrezelung und Rollenzeit

»In Sarmatien« (2013)

Ich muss bekennen, dass es dieses Jahr bisher mit mir und dem Bloggen nicht so gut lief. Das soll sich ab heute ändern. Einfach zu viel Arbeit bisher. So habe ich es bisher überhaupt erst einmal an den Potsdamer Platz geschafft. Und wieder (ich wiederhole mich) mit einem Videostream gekämpft, der nach dem Abspulen von zehn Sekunden Film zur Erholung erst einmal zehn Sekunde Pause machen muss. Ein Gefühl für den Filmrhytmus lässt sich so schwer bekommen. Außerdem braucht man drei Stunden, um auf die Art einen 90-Minüter zu sehen.

Gestern dann die Preisverleihung unseres Filmkritk-Verbandes in einer zweckentfremdeten Club in der Friedrichstraße. Erstaunlich, wie viele Menschen zu so einem Termin kommen, an dem ich diesmal als eine der LaudatorInnen zum ersten Mal teilgenommen habe. Zufrieden natürlich mit der Auszeichnung unserer (mit Claus Loeser und Jennifer Borrmann) Kurzfilm-Jury für Raimund - ein Jahr davor von Hans-Dieter Grabe. Ratlos aber über einige andere Entscheidungen, besonders beim Dokumentarfilm, wo Koepps Sarmatien-Film unverständlicherweise dem grässlichen Deutschboden unterlag. Eine Mischung aus Schuldgefühlen - weil man ja selbst Teil des Verbands ist - und Fremdschämen. Aber ich habe zwei schöne neue Worte gelernt: "Verbrezelung" (wer jemals bei den normalen Akkreditierten zugänglichen Berlinale-Parties war, weiß, was ich meine) und "Rollenzeit", womit Moderator Burkhardt Klaußner (bei Anmoderation des Ehrenpreises an Erika und Ulrich Gregor) die Ära meinte, in dem Filme noch leibhaftig in Blechdosen durch die Welt getragen wurden.

Die fällige Medienkritik: Im Deutschlandfunk erzählt der Kollege Suchsland, dass in der "Nebenreihe" des Forums das liefe, was die Filmkritiker als "kleine Filme" bezeichnen würde, weil sie entweder ohne Stars oder "nicht so gut" seien. Wie kann man so etwas behaupten? Und wen meint er mit die Filmkritiker? Sicher nicht die Kollegen, mit denen ich zu tun habe. Mir jedenfalls fallen beim Forum gleich so kleine Filme wie Shoah ein oder die früheren Arbeiten von Michael Moore und Aki Kaurismäki, die alle dort ihre Uraufführungen hatten. Die Dokumentarfilme zum Holocaust, die gerade bei "Asynchron" im Arsenal wiederholt wurden. Oder, um näher am heute zu bleiben, Johannes Holzhausens Das große Museum oder Vaters Garten von Peter Liechti. Alles kleine Filme, die nicht so gut sind? Die Liste ließe sich fast endlos fortsetzen.

Der Kollege Martenstein hatte sich in der ersten Folge seiner Berlinale-Glosse im Tagesspiegel über die Berlinale-Jurys der letzten Jahre lustig macht, weil die statt an die tollen Hollywood-Filme ihre Bären an so obskure Filmländer wie China, die Türkei oder den Iran vergeben haben und deshalb im Jahr 2000 mit Magnolia zum letzten Mal ein US-Film den Bären bekommen hat. Ganz verstehe ich auch ihn nicht: Meint er, das es eine von Kosslick ausgeheckte Geheimklausel in den Jury-Verträgen gibt und die jährlich wechselnden und  meist prominent und bunt besetzten Gremien in einer gemeinsamen anti-amerikanischen Verschwörung stecken? Das ist absurd. Außerdem hilft eine kleine Erweiterung des Blick. Denn in der Dekade vor Magnolia ist jeder zweite Goldbär an Produktionen gegangen, bei denen die USA zumindestens Koproduzent war.

Zum Schluss: Gerade kommt im Radio die Nachricht, dass Werner Herzog offensichtlich auf den Geschmack des Star-Vehikels gekommen ist und jetzt mit Veronica Ferres drehen wird. Darauf sehen wir uns am besten noch einmal Mein liebster Feind an. Armer Kinski!

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