Kritik zu Deutschboden
Moritz von Uslar verfilmt zusammen mit André Schäfer die eigene Provinzreportage über eine Kleinstadt in Brandenburg und kommt der Lebenswirklichkeit dort mit cooler Pose ziemlich nah
Eine Stunde außerhalb von Berlin ist Deutschland noch ganz bei sich. So empfindet es zumindest der deutsche Journalist Moritz von Uslar, der 2010 für seine Reportage Deutschboden für drei Monate in eine brandenburgische Kleinstadt zog. Hier wollte er einer Lebenswirklichkeit auf die Spur kommen, die der von Berlin-Mitte, wo sich der Autor zwischen Szenegastronomie, Redaktionsbüro und Altbauwohnung eingerichtet hat, diametral entgegensteht. Im gleichnamigen Dokumentarfilm verkörpert von Uslar nun noch einmal den semi-fiktiven Charakter seiner Provinzeportage: einen leicht überheblichen Großstädter, der sich mit gespielter Naivität in eine Welt begibt, in der Parkplatz, Tankstelle, Dorfdisco und Pilslokal den Lebensmittelpunkt, gewissermaßen die Polis, darstellen. Bekannt geworden ist von Uslar unter anderem für sein Interviewformat »100 Fragen«, in dem die Fragen oft wichtiger waren als die Antworten. Er führt also eine gewisse Attitüde ins Feld, gleichzeitig widerspricht sein berufliches Selbstverständnis dem ausgewogenen Reportagestil, wie ihn etwa die Kollegen des »Spiegel«, für den von Uslar ebenfalls schon arbeitete, pflegen.
Von dieser Spannung lebt André Schäfers Dokumentation, die eigentlich nicht mehr tut, als von Uslars Recherchen zu illustrieren. Für einen teilnehmenden Beobachter hält sich der Protagonist zunächst auffallend oft im Bildhintergrund. Die an Hunter S. Thompson geschulten »Hardboiled«-Kommentare aus dem Off pointieren von Uslars anfängliche Distanz: Der erste Blick geht noch verschüchtert durch die schmutzig-grauen Vorhänge in den erleuchteten Innenraum einer Gastwirtschaft, die wie der gesamte Film mehrheitlich von Männern bevölkert ist.
An der Theke nimmt von Uslar erstmals Kontakt mit den Einheimischen auf. Da wäre etwa Speedy, dessen Vater aus Mosambik stammt und der heute einen ehemaligen Nazi zu seinen besten Freunden zählt. Oder Blocki, der mit seinem rosafarbenen NVA-Trabi zum Stadtbild der 14 000-Seelengemeinde gehört. Und natürlich die Jungs der lokalen Punkband Five Teeth Less, mit denen von Uslar sich anfreundet. Dieses Reporterglück (»hammerhart!«), sich einfach »in die Kleinstadt reinfallen zu lassen«, greift der Film mit zugespitzt-banalen Alltagsbeobachtungen auf, wobei die Skepsis und die ethnografische Faszination des Reporters den Bildern – während der Autofahrten, im Proberaum oder auf dem Parkplatz vor dem örtlichen Discounter – stets zu eigen bleibt.
Das Loblied des Authentischen (»des Prolls reine Seele«), das von Uslar in seinen emphatischen Schilderungen singt, wirkt gelegentlich wie eine Pose ausgestellter Coolness. Unbestritten bleibt am Ende aber ein nachhaltiger Eindruck von einer Lebenswelt zurück, die mit stolzem Trotz ihre eigene Prekarität zur Schau stellt. Wie kaum ein deutscher Dokumentarfilm setzt Deutschboden die Realität eines gesellschaftlich abgehängten Milieus lebensnah und frei von jeder Bevormundung in Szene.
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