Kritik zu Vaters Garten
Der Schweizer Regisseur Peter Liechti, selbst schon über sechzig, hat einen zärtlichen Film gedreht. Darüber, wie sich seine sehr unterschiedlichen Eltern zusammengerauft haben. Und über ihre Konflikte mit ihm – dem rebellischen, missratenen Sohn
29.10.2013
Bewertung: 5
Leserbewertung
(Stimmen: 2)
Sie sind so unterschiedlich, wie man es sich nur vorstellen kann. Sie: eine empfindsame Seele, die gegen den Egoismus der Welt anbetet, viel liest und aus Bildungs- und Erbauungsgründen gerne einmal zu Michelangelo oder auf die Akropolis gereist wäre. Er: ein kulturell desinteressierter, geselliger Charmeur, der sich nicht nur den Urlaubswünschen seiner Frau erfolgreich entzog und seine Freizeit bis heute am liebsten im Sportverein oder Schrebergarten verbringt. Ein perfekt biederes deutschschweizerisches Leben voller gebügelter Hemden und gesellschaftlicher Pflichterfüllung, die das trotz aller Differenzen und Leiden treue Eheleben einschließt. Nur der – nach Meinung seiner Eltern – missratene Sohn passte nicht ins Konzept. Doch der ist schon lange weit weg, das Leben der Eltern friedlich. Dann kommt er zurück. Und will auch noch einen Film über die Familie drehen.
Jetzt gibt es diesen Film. Und er beginnt nach einer kurzen Introduktion – kluge Entspannungsdramturgie – mit der vielleicht schwersten Frage. »Und, würdest du dir noch mal einen Sohn wählen, wie ich einer bin?«, fragt der Filmemacher seine Mutter. »Um Himmels willen, das sind Fragen«, antwortet die, und dann nach einer Pause: »...vielleicht schon einen einfacher Denkenden, du hast immer rebelliert.« Eine Rebellion, die die Eltern bis heute ebenso wenig verstehen können wie die meisten anderen Dinge in einer seit ihrer eigenen Jugend komplett umgekrempelten Welt.
Doch der 1951 geborene Filmemacher wagt mit seinem Film eine späte Annäherung. Das erzeugt neue Konflikte. Und gibt Einblicke in eine tapfer gemeisterte Vergangenheit mit einigen Schatten.
Filme über die eigene Herkunft und Familie sind derzeit populär, Vergiss mein nicht, Die mit dem Bauch tanzen oder ganz frisch Cesars Grill wären zu nennen. Meist sind die Regisseure in dem Alter, wo sie selbst die ersten Kinder bekommen, und haben nicht viel Lebens- und Filmerfahrung. Dabei gehört das familiär so Naheliegende künstlerisch zum Schwersten. Und es wird wohl auch nicht wirklich leichter, wenn man wie Liechti selber schon über sechzig Jahre alt ist. Doch zumindest die Bereitschaft, sich selbst zu reflektieren, wächst mit dem Alter. Der Humor reift auch. Und mit der künstlerischen Erfahrung wohl auch der Mut zu radikalen Entscheidungen. Welcher 20-Jährige würde sich trauen, die eigenen Eltern als plüschige Hasenpuppen darzustellen? Liechti tut das: Er mischt zwischen beobachtende Episoden immer wieder Szenen, in denen die Beteiligten (der Filmemacher inklusive) als Marionettenpuppen agieren, während aus dem Off Sätze von Mutter und Vater eingesprochen werden. Das gibt ihren Aussagen Distanz und eine Gültigkeit übers Individuelle hinaus, den Figuren eine überraschend zärtliche Note. Und es gibt eine großartige Musik, die sich ab und zu als wuchtiger Autorenkommentar einmischt.
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