Serienträumer
Ich habe keinen Grund, mich über meine Träume zu beklagen. Das Traumgeschehen, an das ich mich später erinnere, würde ich als lebhaft, aber letztlich doch beschaulich, ja wohlgeordnet bezeichnen. Viele meiner Träume schmiegen sich artig an den Verlauf des Tages an, sind dessen heitere Fortsetzungen und werden oft vom selben Personal bevölkert.
Allerdings entwinden sie sich zuweilen dieser doch etwas mulmigen Banalität und unterziehen sie einer vergnügten Revision. Von Albträumen hingegen werde ich kaum je heimgesucht. Wenn mir der Abgabetermin eines schwierigen Textes im Nacken sitzt, kommt es vor, dass ich von Mathematikklausuren träume. Eine Schande, wie leicht sich das entschlüsseln lässt! Ohnehin ziehe ich jene Variante vor, in denen ich von Artikeln träume, die schon längst fertig und erschienen sind. Viel dramatischer geht es eigentlich nicht zu. Obgleich manche Träume mich erfreulicherweise auch in verstiegene, bizarre Situationen katapultieren, würde ich behaupten, als Träumer tendenziell ein Realist zu sein.
Selbstredend nimmt das Kino großen Raum in diesem nächtlichen Geschehen ein. Vertraute Filme verwandeln sich, werden fortgeschrieben oder anders besetzt. Dieser Tage träumte ich von einer »Columbo«-Episode, an der mich die ganze Zeit störte, dass es für den Mord kein Motiv gab. Vermutlich kommt John Wayne in meinen Träumen häufiger vor als Cary Grant oder James Mason. Eine Romanze mit Ava Gardner hat sich leider bislang noch nicht ergeben. Natürlich fehlt auch der Klassiker nicht, im Traum eine geniale Drehbuchidee zu haben, die sich am Morgen verdrießlicherweise nicht mehr rekonstruieren lässt.
Meine Traumforschung wäre also schwerlich der Rede wert, wenn sich in der letzten Woche nicht eine kuriose Systematik eingeschlichen hätte. Es handelt sich um eine kontinuierliche Besitznahme die mir, der ich zwar auch gern in Fortsetzungen träume, bisher nicht geläufig war. Dreimal habe ich bisher von Paolo Sorrentino geträumt; wohlgemerkt nicht vom Regisseur selbst, sondern von seinen Filmen, die ich gerade für eine kommende Retrospektive in Zürich sichte. Gewissermaßen ordne ich seine Filmografie träumend neu. Es finden erstaunliche Verschiebungen statt. Nachdem ich »Cheyenne – This must be the place« gesehen hatte, tauchte in meinem Traum ein szenisches Gebilde auf, das eher an »Il Divo – Der Göttliche« und an »La Grande Bellezza« erinnerte. Vor ein paar Tagen sahen wir uns abends »The Big Short« an und mir träumte von einem Sorrentino-Film, der ebenso rasant geschnitten war. Und zu meiner großen Freude spielte in all diesen Traumfilmen der wunderbare Toni Servillo mit, den der Italiener in der Realität ja bedauerlicherweise nicht immer besetzen konnte. Sogar in meiner Version von »Ewige Jugend« taucht er auf und stiehlt Michael Caine und Harvey Keitel diskret die Schau.
Eine solche Vorfreude auf die Nachtruhe haben mir bislang nicht mal Regisseure beschert, die mir weit näher stehen. Nüchtern betrachtet lässt sich die träumerische Montage seines Werks durchaus aus diesem selbst erklären: Es steckt voll fließender Übergänge, voll offensichtlicher oder geheimer Korrespondenzen. Sorrentinos Bilder besitzen eine halluzinatorische Aura: Sie entführen in ein Reich der Schemen. Aber sie bleiben stärker in Erinnerung als die Überbleibsel des Schlummers, die beim Erwachen unerbittlich zwischen den Händen zerrinnen.
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