Rechenspiele

Unter Berliner Kinobesitzern herrscht der Konsens, dass Monsieur Claude und seine Töchter den Sommer gerettet hat. Der Verleih "Neue Visionen" war so klug, den Film mit komfortablem Abstand zum WM-Endspiel zu legen. Dass die Xenophobie-Komödie in Deutschland dann aber ein solcher Renner werden würde, konnte niemand absehen. Momentan ist sie der erfolgreichste Film des Jahres in Deutschland und liegt mit 2.8 Millionen Zuschauern (gerade kam die Meldung vom Verleih: er hat die 3 Millionen überschritten!) vor der US Konkurrenz (Transformers hatte 2,5 Millionen Zuschauer, The Wolf of Wall Street 2,2 Millionen - ein besonders umsatzstarkes Jahr scheint 2014 bislang nicht zu sein). Das sind großartige Zahlen für einen französischen Film. Zu Ziemlich beste Freunde wird Monsieur Claude nicht mehr aufschließen, aber Amélie und Asterix & Obelix gegen Cäsar könnte er noch übertrumpfen.

Aus Hollywood wurden in dieser Woche ebenfalls imponierende Zahlen bekannt. Der "Hollywood Reporter" listete die Top-Verdiener unter den Schauspielern, Regisseuren, Agenten, Kameraleuten etc. auf. Die Listen hielten einige Überraschungen bereit. Ich wusste jedenfalls nicht, dass "The Rock“ der Bestverdiener des letzten Jahres war und Christopher Nolan zwei- bis dreimal so viel verdient wie seine Kollegen Ridley Scott und Paul Greengrass (die aber auch nicht am Hungertuch nagen müssen). Vor allem wirft der Artikel ein Schlaglicht auf die Unterschiede, die zwischen den Großverdienern und ihren weniger glücklichen Kollegen klaffen. Selbst bei ein und dem selben Film: Leonardo Di Caprio bekam 25 Millionen Dollar für Wolf, sein Leinwandpartner Jonah Hill indes nur 60.000 Dollar. Bei der letzten Iron Man -Eskapade sind die Relationen sind noch tollkühner: Robert Downey jr. kassierte dank Beteiligung am Einspielergebnis um die 75 Millionen Dollar, sein Gegenspieler Mickey Rourke musste sich mit 250.000 Dollars zufrieden geben. Damit verdiente er zwar rund doppelt so viel wie der bestbezahlte Tierdarsteller, das Äffchen aus den Hangover- und Nachts im Museum-Filmen. Aber ob das ein Trost ist?

Sind solche Summen im Verhältnis zu den Einspielergebnissen gerechtfertigt? Ich habe meine Zweifel, ob in Zeiten des Franchise-Kinos die Anziehungskraft von Stars wirklich noch so stark ins Gewicht fällt. Der Publicity-Wert solcher Meldungen ist aber nicht zu unterschätzen. Die Filmindustrie demonstriert damit Selbstbewusstsein: Schaut her, verkünden die Studios, wir können es uns leisten, so viel Geld auszugeben! (Oder zu verschwenden, je nach Lesart.) Bei dem alljährlichen Ritual der Aufzählung der Top-Verdiener werden abermals Mentalitätsunterschiede zwischen den USA und Europa deutlich: In den USA legt man ganz allgemein seine Einkommensverhältnisse wohl mit größerer Selbstverständlichkeit offen. Man ist stolz auf den Erfolg und auf das Erreichte. Da man damit den Amerikanischen Traum bestätigt, ist man offenbar auch wenig Neid ausgesetzt. Die überwältigende Mehrheit der Schauspieler verdient mit ihrem Beruf jedoch kaum mehr als 1000 Dollar im Jahr. Der häufigste Tagesjob ist übrigens nicht mehr Kellner, sonder Chauffeur beim Fahrdienst "Uber". Das ist für ihre deutschen Kollegen dank höchstrichterlicher Entscheidungen momentan keine Alternative.

Mir ist nicht bekannt, ob auch hier zu Lande Darstellergagen derart transparent gemacht werden wie in den USA. Ab und zu liest man, wer wie viel an Tagesgage einstreicht. In Frankreich hingegen existiert ebenfalls das alljährliche Ritual der Offenlegung. Ich vermute, das ist den dortigen Großverdienern nicht immer recht. Denn die Gagen von Depardieu & Co werden viel häufiger auf den Prüfstand gestellt.

Es wird gern gegengerechnet, ob das Einspiel die Summen rechtfertigt. Ist das Ausdruck einer Neidkultur? Oder einer tiefschürfenden Skepsis – immerhin ist Frankreich das Land Balzacs, der davon überzeugt war, dass hinter jedem großen Vermögen ein Verbrechen steckt? Gleichviel. Zuweilen manifestiert sich in der Kritik auch eine ernsthafte Sorge um die Tragfähigkeit des Filmgeschäfts. Zu Beginn des letzten Jahres veröffentlichte der Produzent Vincent Maraval eine Polemik gegen die Verschwendungssucht der Branche und ging hart mit Gestalten wie Dany Boon ins Gericht. Der (allerdings chronisch dünnhäutige) Regisseur Philippe Lioret sah sich gar gezwungen, dem Vorwurf entgegenzutreten, er würde mehr verdienen als sein US-Kollege Steven Soderbergh und führte akribisch auf, wie viel Arbeit und Zeit ihn jeder Film kostet: Vom Drehbuchschreiben bis zur unbezahlten Präsentation in diversen Provinzstädten kommen da in der Regel zwei, drei Lebensjahre zusammen. Maraval setzte allerdings eine Diskussion über ein existenzielles Problem in Gang: das Wegbrechen einer gesunden Mitte zwischen unterfinanzierten Außenseiterfilmen und prächtig ausgestattetem Blockbuster-Kino. Die Filmproduktion wird so manövrierunfähiger, oder zumindest unbeweglicher - ein Befund, der sich natürlich auch auf das US-Kino übertragen lässt.

Noch eine weitere Zahl verblüffte mich in dieser Woche. Luc Besson belegt in der Rangfolge der größten Vermögen Frankreichs den 481. Platz. Hätte man den letzten Mogul des europäischen Kinos nicht an prominenterer Stelle vermutet? Ob er selbst von dieser Platzierung überrascht wurde? Nun, nach dem globalen Erfolg von Lucy wird er bald bestimmt ein paar Plätze weiter vorrücken. Und er weiß, dass in Frankreich Reichtümer über Generationen hinweg angehäuft werden. Vielleicht investiert er sein Geld deshalb sofort in neue Projekte, in den Bau immer neuer Multiplexe und nicht zuletzt den Studiokomplex, den er in Saint-Denis aus dem Boden gestampft hat. Wie auch immer, Sorgen mache ich mir um keinen der in diesem Blog Erwähnten.

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