Die Produktion des Begehrens

Die Verführung sucht sich unauffällige Wege. Sie liebt raffinierte Manöver, kalkuliert mit der Überraschung, weiß sich listenreich zu maskieren. Warum auch sollte sie sich allzu leicht zu Erkennen geben? Sie ahnen es schon: Auch dieser Eintrag beschäftigt sich mit Kino und Werbung. Seine Überschrift verdankt sich einer Formel, die während des Symposiums des Filmmuseums, über das ich vor einigen Tagen schrieb, häufig fiel.

Beim Besuch der Website der "New York Times" fiel mir vor einigen Tagen ein Werbebanner ins Auge, das den Besucher zu einem neuen Film des Südkoreaners Park Chan-wook leitet. A rose reborn heißt er, besteht aus vier Episoden, die in London, Wyoming, Shanghai und Mailand spielen und wurde vom Herrenausstatter Ermenegildo Zegna in Auftrag gegeben. Die erste Folge wurde im September ins Netz gestellt, seither lief das knapp 20minütige Werk auf den Festivals von Busan und Rom. Die Verbindung zwischen dem rabiaten Bilderstürmer und der italienischen Modefirma verblüffte mich zunächst einmal; ihre Logik erschloss sich mir jedoch rasch: Hier schmückt sich eine international bekannte Marke mit einer anderen.

Der 1910 von Ermenegildo Zegna gegründete Modekonzern ist der weltweit führende Herrenausstatter im Luxussegment. Noch immer wird er als Familienbetrieb geführt; mittlerweile in der vierten Generation. Zur Unternehmenskultur gehört ein philanthropischer Nationalstolz – auch wenn die Exportquote 90 Prozent beträgt und die wichtigsten Märkte mittlerweile die USA und Asien sind. Im letzten Jahr betrug der Umsatz 1,3 Milliarden Dollar. Das war eine erkleckliche Steigerung gegenüber dem Vorjahr. Aber andererseits spielen heutzutage Filme wie The Avengers solche Summen in weniger als der halben Zeit ein. Nimmt man so etwas in Mailand (genauer: in Tivero in Piemont, wo noch immer der Firmensitz ist) wahr?

Ich muss gestehen, dass mir der Name der Firma zwar vertraut war, ich aber erst wirklich von ihr Notiz nahm dank der Werbekampagne, für die der Schauspieler Adrien Brody von etwa zehn Jahren als Model fungierte. Als freier Journalist, der in der Regel von Zeilenhonoraren lebt, nehme ich an Luxusmode ein eher platonisches Interesse. Aber wie mein Gastgeber in Paris, mein Kollege Yann Tobin, mir gestern Abend erläuterte, sind Zegna-Anzüge durchaus erschwinglich. Er schätzt ihren Schnitt ("Sie verleihen mir eine bessere Silhouette.") und ihre Haltbarkeit. Auf seiner Facebook-Seite konnte ich mich davon überzeugen, wie schmuck er tatsächlich darin aussieht.

Die Verbindungen zwischen Modebranche und Kino sind eng und werden immer vielfältiger. Vor fünf Jahren beispielsweise drehte Jean-Pierre Jeunet mit Audrey Tautou im Orient-Express einen tollen Werbeclip für Chanel No. 5 mit dem Titel "Train de Nuit". Einige Zeit später lancierte Prada einen vergnüglichen, etwa dreiminütigen Sketch namens "A Therapy", den Roman Polanski mit Helena Bonham-Carter und Ben Kingsley inszenierte. In dieser hübschen Miniatur findet eine Übertragung zwischen Patient und Analytiker, von der Freud nie zu träumen gewagt hätte. Sie versammelt auch hinter der Kamera hochkarätige Talente - das Drehbuch stammt von Ronald Harwood, die Kamera führte Eduardo Serra, ausgestattet wurde die Szene von Dean Tavoularis, den Schnitt besorgte Hervé de Luze und die Musik komponierte Alexandre Desplat. Was für ein Aufgebot für eine solche Bagatelle! Sie wäre ein schönes Vorprogramm für Polanskis Venus im Pelz.

Als ich Jean-Pierre Jeunet einmal auf seinen Clip ansprach, sagte er, das sei kein bloßer Werbeauftrag, sondern ein Beispiel für Mäzenatentum. Dabei produziert sein Kurzfilm, ebenso wie der von Polanski, auf klassische Weise Begehren: Er handelt von der magischen Anziehungskraft des Produktes. Für die Filmemacher wird das ein lukrativer, erholsamer Sprint zwischen der anstrengenden Langstrecke eines abendfüllenden Films gewesen sein.

Die Zusammenarbeit zwischen Park Chan-wook und Zegna gibt sich einen ambitionierteren Nimbus. Der Impuls der Verlockung wird diskreter ins Spiel gebracht. Die Marke präsentiert sich dezent. In der ersten Episode muss der zuvor schluffig in Sweatshirt und Jeans gekleidete Held in der Londoner Boutique neu eingekleidet werden, damit er einem chinesischen Geschäftspartner gegenüber vertrauenswürdiger auftreten kann. Kurz ist auf einem Monitor das Firmenlogo zu sehen, bevor Maßschneider anrücken, die ihn mit einem neuen Anzug ausstatten sollen. Auf dem Monitor laufen im Hintergrund Schwarzweißaufnahmen, die möglicherweise den Firmengründer Ermenegildo zeigen. Mit dem Anzug hat es allerdings eine besondere Bewandtnis: Bei der ersten Begegnung fordert der Chinese ihn auf, mit ihm die Jacke zu tauschen, bei der zweiten die Hosen und bei der dritten die Krawatten. Das hat Witz. Werblich ist es vielleicht auch. Denn der Austausch schmälert die Eleganz des Ensembles nicht, sondern lenkt vielmehr das Augenmerk auf das "revolutionäre" Konzept der "broken suit", das Zegnas Chefdesigner Stefano Pilati erfunden hat. Er ist gleichsam der Co-Autor von A Rose reborn. Ein Designer-Film ist es in mehrfacher Hinsicht, zumal ovale Formen sich als Leitmotiv durch ihn ziehen.

Avantgarde ist in der Modewelt eine zweifellos noch qualligere Kategorie als im Filmgeschäft. Der Regisseur tritt hier nicht als Innovator an. "Inhaltlich bringt das ja nichts", fand mein Pariser Freund, als ich ihm A Rose reborn zeigte. Park Chan-wooks Ruf wird diese Unternehmung dennoch nicht kompromittieren. Sie zeigt jedenfalls, welch reizvolle, neue Erzählformate im Internet nisten können. Aber die Geschichte eines weltumspannenden Rätselspiels wäre dem Koreaner gewiss nicht in den Sinn gekommen, hätte er nicht diesen Auftrag bekommen. Der Eindruck, er würde eigensinnig und autonom arbeiten, trügt. Er folgt einer Agenda, die ihm vorgegeben wurde. Sein Werk ist wahrscheinlich nicht teurer und aufwändiger, als es das Shooting mit einem Star-Fotografen gewesen wäre. Die drei Makings of, die auf der Website zu sehen sind, wirken reichlich übertrieben; erst recht angesichts der Ortlosigkeit, in der sich diese Globalisierungsphantasie zuträgt. Sie beschwört ein für alle Beteiligten kleidsames Ethos der Nachhaltigkeit. Es entspricht der Unternehmenskultur. Am Ende von A Rose reborn steht die Erkenntnis, wie gedeihlich und zukunftsträchtig sich Geschäftsinteressen verbinden lassen.

 

Meinung zum Thema

Ihre Meinung ist gefragt, Schreiben Sie uns

Mit dieser Frage versuchen wir sicherzustellen, dass kein Computer dieses Formular abschickt