Netflix: »Rebel Ridge«

englisch © Netflix

Der Deeskalierer als Actionheld

Die ersten Minuten von Jeremy Saulniers »Rebel Ridge« sind schönste Reminiszenz: eine einsame US-Landstraße, darauf ein Ortsfremder ohne Auto, hinter ihm ein Streifenwagen mit einem bulligen Provinzcop, der den Fremden grundlos stoppt und schikaniert. Man muss kein Sylvester-Stallone-Fan sein, um bei diesem Set-up an den ersten »Rambo«-Film zu denken. Doch damit enden die Parallelen.

Zwar handelt es sich bei Saulniers Protagonisten Terry Richmond (Aaron Pierre) wie bei »Rambo« um einen Ex-Marine, doch die Unterschiede beginnen damit, dass er Schwarz und in Louisiana unterwegs ist, im tiefsten Süden der USA. Saulnier versteht es meisterhaft, die rassistische Ebene nie explizit auszuspielen, sondern eine beklemmende Latenz zu erzeugen. Wie überhaupt der ganze Film darauf angelegt ist, Erwartungen zu unterlaufen – was allerdings nur bis zu einem gewissen Punkt funktioniert.

Aber der Reihe nach: Terry Richmond ist in das Südstaatenkaff Shelby Springs gereist, um Kaution für seinen inhaftierten Cousin zu stellen. Doch besagter Polizist konfisziert das mitgeführte Kautionsgeld unter fadenscheinigen Vorwänden. Kaum nötig zu erwähnen, dass das ein Nachspiel haben wird. Hier nun bekommt der Film eine politische Ebene, denn mit der willkürlichen Konfiszierung thematisiert Saulnier ein umstrittenes US-Gesetz, nach dem zivile Wertgüter schon bei Verdacht auf kriminelle Zusammenhänge sofort konfisziert werden dürfen – eine juristische Grauzone, die immer wieder zu schwerem Missbrauch führt, in Details spielt der Film sogar auf reale Fälle an.

Doch »Rebel Ridge« ist kein Justizdrama. Ein Genrefilm, der Gesellschaftspolitisches in Action überträgt, will er allerdings – trotz seiner klassischen Ausgangssituation – auch nicht recht sein. Denn Terry erweist sich zwar als Martial-Arts-Experte, aber auch als Deeskalationstrainer – er vermeidet Konfrontationen, und wann immer er eine Schusswaffe in die Finger bekommt, wird sie so flink entladen und gesichert, dass es irgendwann fast wie eine Parodie auf Anti-Gun-Lobbyismus wirkt. Traditionelle »Action« wird regelrecht verweigert, es kommt maximal zu schwerfällig choreographierten Handkämpfen, die realistisch wirken sollen, tatsächlich aber eher an Amateur-Stuntshows erinnern

Das zu Beginn so spannungsreich etablierte Gemisch aus kleinstädtischer Korruption und latentem Rassismus mündet nicht in rebellische Wehrhaftigkeit, sondern in eine überkomplizierte Detektivgeschichte, deren biedere »Anständigkeit« jeden Drive aus der Geschichte nimmt. Es ist ein Jammer, denn auch bei der Besetzung stimmt alles: Der großartige Aaron Pierre spielt Terry in einer faszinierenden Mischung aus Widerstandswillen, Beherrschtheit und intellektueller Überlegenheit, während Don Johnson seinen Part als korrupter Polizeichef mit diabolischem Vergnügen auskostet. Der Stoff bietet also vielfältige dramaturgische Möglichkeiten, doch bei dem Versuch, Genrekonventionen gegen den Strich zu bürsten, deeskaliert Saulnier so sehr, dass nur noch Langeweile übrig bleibt.

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