Mubi: »Witches«
Der Suizid der Psychiaterin Daksha Emerson, die ihre vier Monate alte Tochter mit in den Tod nahm, löste 2000 in Großbritannien tiefe Betroffenheit aus. Der verstörende Fall rückte das Phänomen postpartaler psychischer Erkrankungen in den Fokus. Dieses Problem greift auch Elizabeth Sankey mit ihrer essayistischen Dokumentation auf. Ihr zweiter Film nach »Romantic Comedy« thematisiert die Abgründe ihres Babyblues, bei dem sie Hilfe in einer geschlossenen psychiatrischen Einrichtung suchte.
Aus diesem schwarzen Loch heraus führte sie jedoch nicht professionelle psychologische Hilfe, sondern ein ungewöhnlicher Weg, der sie auch zu diesem Film inspirierte. Merkliche Besserung bewirkte nämlich erst der Kontakt zu einer Selbsthilfegruppe, in der Frauen ähnliche Erfahrungen mit peripartalen psychischen Störungen teilten. Dieser Austausch zwischen Betroffenen ist das Schlüsselmotiv ihres Films. Sankey assoziierte diese »Frauengespräche«, die um ein genuin weibliches Thema kreisen, überraschend mit dem Motiv der Hexe.
Über die Besonderheit dieses Films sagt die Zusammenfassung noch nichts. Im Rückgriff auf eine überbordende Fülle stakkatoartig zitierter Darstellungen von Frauen auf der Leinwand schlägt der dokumentarische Essay einen Bogen von mittelalterlicher Hexenverfolgung bis hin zu weiblichen Rollenklischees im populären Kinofilm. Einprägsame Ausschnitte aus »The Wizard of Oz« zeigen, wie die säuberliche Trennung zwischen einer guten – natürlich auch gut aussehenden – und einer unattraktiven bösen Hexe einem Frauenbild entspricht, das sich in den Köpfen festsetzte. Allein schon dieser rasante Exkurs durch die Filmgeschichte, von C. T. Dreyers »Jeanne d'Arc« über »Rosemary's Baby« bis hin zu »Hexen hexen« und »Zauberhafte Schwestern«, macht den Essay zu einem Erlebnis.
Interessanterweise dienen jene mit sicherem Blick ausgewählten Szenen nicht der Illustration einer einzigen Botschaft. Im Gegensatz zu Nina Menkes thematisch verwandtem Versuch »Brainwashed – Sexismus im Kino«, der Laura Mulveys These vom Male Gaze zu untermauern versucht, kommt Sankeys vielstimmige Erkundung ohne erhobenen Zeigefinger aus. »Witches« ist ein Parforceritt durch die Kinohistorie mit bemerkenswertem ästhetischem Mehrwert. Er deutet an, dass Inszenierungen von Weiblichkeit auf der Leinwand gerade dort, wo sie besonders klischeehaft erscheinen, auch subtil und fantasievoll sein können.
Der thematische Bogen, der von dieser anregenden Achterbahnfahrt durch die Kinogeschichte zu jenem Weg heraus aus der autobiografisch beschriebenen postpartalen Depression führt, erschließt sich nicht sofort. Das geheime Wissen der Hexe, das unterdrückt wurde, weil es mit dem von Männern dominierten medizinischen Diskurs konkurrierte – dieses buchstäbliche Hexenwerk führte auch die Filmemacherin aus ihrer Depression. Alle Frauen, so ihr augenzwinkerndes Schlussplädoyer, sind Hexen. Und jede Hexe braucht ihren Hexenzirkel. Eine steile These, gewiss. Aber eine, von der man sich gern verzaubern lässt.
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