Netflix: »Leave the World Behind«
Wer Filme oder Serien schaut, kennt sich mit dem Ende der Welt aus. Die Ursachen mögen verschiedene sein – Zombies, Aliens, Cyber-Attacken –, die Auswirkungen sind sich stets ähnlich: stehengelassene Autos verstopfen die Straßen, Flugzeuge fallen vom Himmel, es gibt kein Internet mehr und nur die überleben gut, die sich als »Prepper« vorbereitet haben für den Ernstfall, mit Bunkern, Nahrungsvorräten und vor allem Waffen. Den postapokalyptischen Krieg zwischen verschiedenen Formationen von Überlebenden hat man schon so oft ausgespielt gesehen, dass man froh ist, dass es in Sam Esmails (»Mr. Robot«) Netflix-Film einmal nur um den Moment geht, an dem es passiert: das Ende der Welt, wie wir sie kennen – und doch kriegen wir es erst mal nicht richtig mit.
Der Anfang reißt mit dem Charme einer RomCom und Julia Roberts mit. Sie spielt Amanda, erfolgreiche Werbefachfrau, Mutter von zwei Kindern und verheiratet mit College-Professor Clay (Ethan Hawke). Wer von den beiden mehr verdient, drückt sich in der Entschiedenheit aus, mit der Amanda die Koffer packt, während sie dem aufwachenden Clay erklärt, sie habe ein Ferienhaus am Strand gemietet. Als nächstes sitzen sie auch schon im Auto, eine amerikanische Modell-Familie, jeder mit eigenen Kopfhörern und eigenem Unterhaltungsmedium ausgestattet. Im Supermarkt fällt Amandas Blick auf einen Mann (Kevin Bacon), der sich offensichtlich für eine längere Auszeit ausstattet. Sie wird später noch an ihn denken.
Das angemietete Haus mit Swimmingpool ist prächtig und gerade im richtigen Maße abgelegen. Doch dann, während des schönen Nachmittags am Strand, crasht ein riesiger Tanker tsunamigleich den beschaulichen Badespaß. Niemand weiß, weshalb. Als sie nach Hause hasten, fällt bald das Internet aus. Und dann klingelt es an der Tür und mit G.H. (Mahershala Ali) und Ruth (Myha'la Herrold) stehen zwei Fremde vor der Tür, die behaupten, das Haus gehöre ihnen. G. H. wollte mit Tochter Ruth eigentlich in der Stadt bleiben, aber irgendetwas hat sie denken lassen, sie seien in der Abgelegenheit der Hamptons sicherer. Amanda findet die beiden sofort verdächtig.
Viel mehr passiert eigentlich gar nicht. Der Film konzentriert sich auf den Prozess der ersten Stunden und Tage, in denen es Amandas Familie in eine unfreiwillige Schicksalsgemeinschaft mit G.H. und Ruth verschlägt, während um sie herum die Welt untergeht, sie aber nicht wissen, wie und warum. Rehe versammeln sich im Garten, Flamingos tanzen im Pool und bis dahin freundliche Nachbarn (Kevin Bacon) verwandeln sich in Menschen, die einem mit Waffe in der Hand den Zutritt verwehren. Die künftigen Konfliktlinien, sie deuten sich in diesen ersten Stunden nach der Katastrophe lediglich an; noch scheint Solidarität möglich, und für Momente vergisst Amanda sogar ihren Verdacht. Aber wahrscheinlich wird er wiederkommen. Die Gewalt, die sonst in Dystopien so lustvoll ausagiert wird, hier wird sie in ihren Vorstufen beobachtet, in kleinen Momenten von Vorurteil und Skepsis, von Misstrauen und Enttäuschung. Dank eines tollen Ensembles ist das spannender als jede Zombie-Battle.
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