Buch-Tipp: Jörg Buttgereit – Nicht jugendfrei!

Tagebuch aus West-Berlin

Sein letzter Text für epd film liegt zwar schon fünf Jahre zurück, aber das aktuelle Filmgeschehen verfolgt Jörg Buttgereit immer noch – jedenfalls sieht man ihn in Berlin regelmäßig in Pressevorführungen. Anlässlich seines bevorstehenden 60. Geburtstages legt er jetzt eine Art biografischer Bilanz vor, »Tagebuch aus West-Berlin« untertitelt. Den Titel »Nicht jugendfrei!« kann man ironisch lesen, aber wer seine Filme kennt, der weiß, dass sie mehrfach mit dem Gesetz in Konflikt gekommen sind, 1991 wurde »Nekromantik 2« im Münchner 'Werkstattkino' wegen Jugendgefährdung beschlagnahmt.

Zu einem ersten einprägsamen Filmerlebnis wird »Sindbads 7. Reise« mit dem von Ray Harryhausen gestalteten Zyklopen, Nur im Fernsehen und dazu in Schwarzweiß hinterlässt er doch seine Wirkung: »Wir Kinder identifizieren uns mit diesen Fabelwesen. Sie sind wie große, wild gewordene Kinder...« Es folgt das Konzert von 'Queen' in der Deutschlandhalle 1978 und die ersten Filme mit Bruce Lee. Die zur Konfirmation erhaltene Super-8-Kamera kommt einen Tag später zum Einsatz: mit einem Freund dreht er im Kinderzimmer »Interview mit Frankenstein«. John Waters' »Pink Flamingos« wird zu einem »Erweckungserlebnis«, die 'langen Nächte im Marmorhaus' machen ihn mit Trash aller Art vertraut, nachhaltig beeindrucken ihn 'The Clash' in der Neuen Welt, während er die Konzertbesuche von 'Led Zeppelin' und 'Kiss' vor seinen Punker-Freunden verschweigen muss – die »Glaubwürdigkeit ist eine komplexe und heikle Angelegenheit«, das bekommt er hautnah mit, wenn er als Kinomitarbeiter 'Punker-Köpfe' aus Fruchtgummi verkauft. 

Als Filmemacher läuft es bestens, zur Premiere von »Hot Love« strömen Ende 1985 500 Zuschauer ins 320 Plätze fassende 'Sputnik'-Kino. Ein Jahr später präsentiert er den Film in New York (»Wir werden behandelt wie Künstler, die wissen, was sie tun...«), doch nach »Schramm« gibt er 1993 die Herstellung abendfüllender Spielfilme auf, der Selbstausbeutung überdrüssig. Stattdessen folgen Hörspiele und Features für Rundfunk und Fernsehen, Theaterinszenierungen und Comics, immer seiner Liebe zur Trivialkultur folgend. Diese Arbeiten werden eher summarisch in zwei Interviews abgehandelt, während die herausfordernden Dreharbeiten der eigenen Filme ausführlich dargestellt werden.

»Nicht jugendfrei!« gefällt durch seine genauen Beschreibungen (auch die zugeneigten der eigenen Familienmitglieder), ohne dabei die Vergangenheit zu verklären. Gestützt durch eine Vielzahl von Faksimile-Abbildungen kann der Leser (nicht nur in Berlin) ein Stück seiner eigenen Geschichte wiedererkennen.



Jörg Buttgereit: Nicht jugendfrei! Tagebuch aus West-Berlin. Martin Schmitz Verlag, Berlin, 364 S., 36,- €. - Buchvorstellung am Mittwoch, den 12.7. im Klick Kino, Berlin-Charlottenburg. Jörg Buttgereit präsentiert eine Diashow mit Fotos aus dem Buch und zeigt einige frühe, seltene Kurzfilme.

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