Amazon: »Der Herr der Ringe: Die Ringe der Macht«
»Der Herr der Ringe: Die Ringe der Macht« (Serie, 2022). © Prime Video/Ben Rothstein/Matt Grace
Wie sieht Sauron denn nun aus? Die dritte Folge der ersten Staffel endet mit einem fantastischen Cliffhanger: einem gekonnt verschwommenen Bild jener Kreatur, die bereits im Kinoepos »Herr der Ringe« als größte anzunehmende Nemesis diente, jedoch nur als feuriges Riesenauge abgebildet wurde. Bis Redaktionsschluss waren leider nur drei von acht Folgen zu besichtigen. Doch die Vorfreude auf Sauron, wie er leibt und lebt, ist von Unbehagen begleitet. Denn die Enthüllung wird unweigerlich einhergehen mit einer Entzauberung.
Die auf fünf Staffeln angelegte Amazon-Serie erzählt die Vorgeschichte von »Herr der Ringe« und ist ein Medienevent der Superlative. Mit geschätzt einer Milliarde Dollar Budget die teuerste Serie aller Zeiten, gilt sie als Herzensobjekt von Tolkien-Verehrer Jeff Bezos, soll aber auch im umkämpften Streamingmarkt Terrain erobern. In den USA sorgte sie bereits aufgrund von negativem »Review-Bombing« wegen »People of Color« im Ensemble für Schlagzeilen. Zwerge, Hobbits und Elben, deren Schöpfer J.R.R. Tolkien sich von nordischen Sagen und christlich-mittelalterlicher Ikonographie inspirieren ließ, auch von anderen Ethnien als der weißen darstellen zu lassen – ist das nun künstlerische Freiheit oder das Gegenteil? Wird sie dem Publikum durch eine kleine, aber laute woke Minderheit aufs Auge gezwungen?
Diese Frage verkennt den Charakter des Unternehmens, das nicht nur ökonomisch von Peter Jacksons Trilogie abgekoppelt ist. Amazon erwarb die Rechte für »Das Zweite Zeitalter«, einen Teil des Anhangs zu »Herr der Ringe«. Da Tolkien die Ereignisse dieser über 3 400 Jahre langen Epoche nur summarisch schilderte, hatten die Drehbuchautoren freie Hand. Man kann davon ausgehen, dass abgesehen von groben Koordinaten das Allermeiste dieses Prequels Neuerfindung, quasi Fanfiction, ist. Schon mit dem Nomadenvolk der Haarfüßler, die, oft dunkelhäutig, als Proto-Hobbits durchgehen, wird eine charmante neue Spezies eingeführt. Neu ist auch, dass Galadriel – markantester Frauencharakter im HdR-Filmepos – als junge Elbenkriegerin im Zentrum steht. Einst aus dem paradiesischen Valinor nach Mittelerde gezogen, um Morgoth zu bekämpfen, vermutet sie zu Recht, dass dessen Zögling Sauron lebt und Ork-Heere bildet, obwohl der Elbenfürst den Krieg für beendet erklärt.
Der Bruch mit HdR besteht nun darin, dass ein von einem Gelehrten aus Spaß an der Freud' erfundenes Fantasyreich, eskapistisch par excellence, durch die »farbenblinde« Besetzung mit aktuellen politischen Kulturkämpfen kurzgeschlossen wird. Und anders als bei Frodo & Co, deren Mission eine spirituelle Komponente hatte, scheint die durch Mittelerde ziehende Galadriel lediglich von einem verbissenen »Kill Sauron«-Imperativ angetrieben.
Dass sich die HdR-typische Entrücktheit in der auf mehrere Ebenen verteilten Handlung vorerst nicht einstellen will, ist auch dem Serienkorsett geschuldet. Neben versiert konstruierten Cliffhangern und vielversprechenden Ereignissen und Figuren wie Halbrand gibt es viel Leerlauf, Posen und zeitschindende Dialoge. Dafür erfreuen die abermals in Neuseeland gedrehten Abenteuer mit schwelgerischen Naturpanoramen. Mit dem Inselreich Númenor wird eine spektakuläre neue Stadtkulisse präsentiert, die an spätantike Metropolen wie Konstantinopel gemahnt. Großartig ausstaffiert ist besonders die unterirdische Zwergenfestung Khazad-dûm.
So prächtig und detailverliebt aus der Nahsicht, so wirkt doch mancher Hintergrund scheußlich künstlich – ein Phänomen, das etwa auch in der Serie »Sandman« auffiel. Schrecklicher Verdacht: Sollten digitale Luftschlösser nur auf der großen Leinwand wirken? Man darf gespannt sein, ob beim fortschreitenden Worldbuilding der Serie die Zuschauer doch noch von jenem »Ring, sie alle zu knechten«-Zauber in den Bann gezogen werden, der die Kinofilme so einzigartig machte.
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