Mubi: »Shiva Baby«
»Was machst du jetzt eigentlich?« Wie erwartet wird Studentin Danielle mit dieser Frage auf der Shiva, der jüdischen Trauerfeier für einen verstorbenen Angehörigen, permanent bombardiert. Der Anblick ihrer sonst so forschen Mutter, wie sie sich windet, um Danielle bei ihrer Antwort beizustehen, verschlechtert noch ihre Laune.
Emma Seligmans Debütfilm, in dem nahezu in Echtzeit aus Danielles Perspektive der Ablauf des direkt nach der Beerdigung stattfindenden Leichenschmauses mit Verwandten und Bekannten geschildert wird, feierte auf Festivals und beim Publikum einen Riesenerfolg. Als »jüdische Komödie« deklariert und wegen der Übergriffigkeit und Unverblümtheit besonders weiblicher Verwandter auch als klischeehaft kritisiert, ist dieses Kammerspiel in seiner verdichteten Studie spezifisch weiblicher Malaisen jedoch wunderbar anregend und treffsicher. Es hätte gar nicht des Blicks auf das Porträt der Regisseurin bedurft, die bis hin zur Frisur Hauptdarstellerin Rachel Sennott zum Verwechseln ähnlich sieht, um zu erkennen, dass hier jemand aus dem Nähkästchen plaudert. Sennott spielte die Rolle der bisexuellen Danielle bereits im gleichnamigen Kurzfilm, Seligmans Abschlussarbeit an der NYU. Daneben hat sich Sennott inzwischen auch als Stand-up-Komödiantin mit ihren Parodien narzisstisch verpeilter »Millennial« einen Namen gemacht.
Das neue brotlose »irgendwas mit Medien« ist in diesen 2010-Jahren »irgendwas mit Gender«; entsprechend ausweichend antwortet Danielle auf die mal besorgten, mal hämischen Fragen nach ihren Zukunftsplänen. Angestrengt versucht sie das Genörgel ihrer Eltern, die ihr das Studium finanzieren, zu überhören. Als Dank versucht sie sich »gut zu benehmen«, sprich, ihre immer noch schwelende Liebe für ihre ehrgeizige Exfreundin Mia, ein unerwarteter Gast auf der Feier, zu verbergen. Als aber außerdem noch ihr »Sugardaddy« Max auftaucht, samt seiner Danielle bis dato unbekannten Kleinfamilie, gerät sie richtig unter Druck. Denn Max' Ehefrau ist nicht nur eine superschöne blonde »Schickse«, sondern Unternehmerin und Hauptverdienerin – ergo ist es ihr Geld, das Max Danielle nach ihren Schäferstündchen zusteckt.
Das modische Sugardaddy-Phänomen, das Seligman hier, ausgehend von ihren Beobachtungen von Kommilitoninnen, aufspießt, wird zum Kulminationspunkt einer scharfsinnigen Betrachtung von Sex, Geld, Unabhängigkeit; aber auch von den Anforderungen an junge Frauen, die perfekte Karrieren machen, reiche Ehemänner angeln und perfekte Kinder kriegen, die weder dick, aber auch nicht so dünn wie Danielle sein sollen. Und es geht um die Lügen, die man anderen, vor allem aber sich selbst auftischt. Wo in Danielles progressiver akademischer Feminismustheorie die sexuelle Macht über Männer, gefolgt von Geldgeschenken, als »Empowerment« deklariert wird, erweist sich dies in der Praxis als Prostitutionsfalle, egal wie sehr Danielle tatsächlich auf Max steht. Dass sie jeden in ihrer Umgebung über die Art ihres Nebenjobs anschwindelt, spricht für sich.
Wie Falschgeld läuft sie auf der Feier herum, geduckt, scheel, überall aneckend, in die Enge getrieben von einer Kakofonie weiblicher Stimmen: eine Komödie des Fremdschämens und der Selbstsabotage, unterlegt von kreischenden, quietschenden Geigenklängen, die ein wenig an Hitchcocks »Vögel« erinnern. Zwar wird mit dem verräterischen Smartphone dann doch auf einen abgeschmackten Handlungsmotor zurückgegriffen. Doch wie es Seligman mit einfachen Mitteln gelingt, die Stimmung eines Schwitzbades zu erzeugen, wenn Danielle von drängelnden Verwandten als Ausgeburten ihrer eigenen Ängste in die Zange genommen wird, ist für ein Debüt beachtlich. Sennott schafft es überdies, dass Danielle in ihrer Mischung aus welpenhafter Verletzlichkeit und verzogener Biestigkeit dennoch Sympathie hervorruft. Heimlicher Hauptdarsteller ist aber Max' Baby, das wie eine Trophäe herumgereicht wird. Wenn »Baby« Danielle von einem echten Säugling angeplärrt wird, ist dies der ultimative Realitätsschock.
Ihre Meinung ist gefragt, Schreiben Sie uns