Mubi: »Dead Pigs«
Hier sind es wirklich die armen Schweine, die dran glauben müssen. Erst tauchen nur ein paar tote Vierbeiner im Schatten der gläsernen Skyline von Shanghai im Fluss auf, später zählt die Presse an die 16 000. Auch dem verschuldeten Schweinebauern Wang (Haoyu Yang) sterben die Tiere weg, die er, um der teuren Entsorgung zu entgehen, kurzerhand von einer Brücke schmeißt.
Mit ihm beginnt Regisseurin Cathy Yan (»Birds of Prey«) ihr von einer wahren Begebenheit inspiriertes Debüt »Dead Pigs«, einen Episodenfilm über die gesellschaftlichen und kulturellen Umbrüche in der globalisierungsgepeitschten Megametropole, der in Sundance im vergangenen Jahr den Special Jury Award erhielt.
Ein passendes Bild ist es, wenn der Schweinebauer gleich am Anfang mit einer VR-Brille im Wasser vor einer Leinwand »taucht«, wimmelt doch »Dead Pigs« vor Menschen mit Fluchtambitionen: Wangs Sohn (Mason Lee) wäre gern der Businessmann, für den sein alter Herr ihn hält, arbeitet aber als Kellner; Party-Girl Xia Xia (Meng Li) ist von den Gucci tragenden Freunden genervt und auf der Suche nach dem Echten; der amerikanische Architekt Sean (David Rysdahl), der im Auftrag einer Immobilienfirma einen Wohnkomplex im Stile der Sagrada Família entworfen hat, wird nebenbei als Darsteller für öffentlichkeitswirksame Auftritte angeheuert. Einzig Wangs Schwester Candy (Vivian Wu) will mit aller Macht bleiben, wo sie ist. Sie kämpft um das Familienhaus, das, umgeben von Brachland, von den Baggern des Immobiliengiganten mit seinem abstrusen Gaudí-Imitat bedroht wird.
Yan verwebt die Einzelschicksale entlang des Schweinemassakers zu einem Gesellschaftspanorama. Ihr Film kommt als bissig-poppige Tragikomödie daher. Einmal wirbt Sean verkleidet als britischer Millionär für eine »New Chinese European City« und wird von einem Moderator mit Zauberstab frenetisch abgefeiert, beim Showdown gibt es eine spontane Gesangsnummer inklusive Karaoke-Gesangsspur. »Was für eine dramatische Wendung, wie in einem richtigen Hollywoodfilm«, kommentiert eine Reporterin das Geschehen.
Die in China geborene und in den Vereinigten Staaten ausgebildete Regisseurin spielt genau damit: mit den Brüchen zwischen der westlich geprägten Fassade ihres Films, den verschiedenen Tonlagen von ernst bis überdreht und dem liebevoll-empathischen Blick auf ihre Figuren. Ins Zentrum rückt immer stärker die Familie um Candy, der einnehmendsten Figur in diesem Film, der in seiner episodischen Breite nicht allen gleichermaßen gerecht werden kann.
Ohne plumpen Fortschrittspessimismus macht Yan entlang der Schweißnaht von Arm und Reich, Gestern und Morgen auf die Folgen einer freidrehenden Hochleistungsgesellschaft aufmerksam. Auch wenn man nicht tot im Wasser treibt wie die Schweine, bringt es doch wenig, gegen den Strom anzuschwimmen. Eine bittere Erkenntnis dieses flirrenden Films, dessen Bildern nicht immer zu trauen ist.
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