Mubi: »Blanco en blanco«
Die Gegend von Tierra del Fuego im Süden Chiles ist ein karger Landstrich, dem die Menschen das Notwendigste mit großer Mühe abtrotzen. Es heißt Feuerland, doch einen Großteil des Jahres herrschen winterliche Temperaturen. Zu Beginn des 20. Jahrhunderts haben sich Weiße das Land untertan gemacht und damit auch die indigene Bevölkerung.
Auch Pedro (Alfredo Castro) ist Pionier, er verdient seinen Lebensunterhalt als Fotograf. Was er festhält, bestimmt der Auftraggeber. Wie im Fall von Mr. Porter, einem Großgrundbesitzer, der Pedro für seine Hochzeit engagiert. Wann diese genau stattfindet, erfährt der Fotograf ebenso wenig, wie er den ominösen Auftraggeber je zu Gesicht bekommt. Für ein Verlobungsporträt einbestellt, wird ihm lediglich die Braut gebracht, Miss Sara (Esther Vega), eine eingeschüchterte Minderjährige, zurechtgemacht wie ein Püppchen. Pedro inszeniert sie unter den Augen ihrer Aufpasserin Aurora (Lola Rubio) leicht lasziv mit entblößten Schultern. Mr. Porter ist vom Ergebnis angetan, wie auch von Pedros umfangreicher Dokumentation der Ländereien, Besitztümer und Untertanen. Während der Hochzeitstermin und damit Pedros Aufenthaltsdauer vage bleiben, entwickelt er eine Obsession für das Mädchen und überredet Aurora schließlich, ihm die Schutzbefohlene für erotisch aufgeladene Aufnahmen zur Verfügung zu stellen. Diese Ausbeutung des Kindes nimmt Gräueltaten vorweg, begangen von den Schergen des Kolonialherrn an der indigenen Bevölkerung, deren hilfloser Zeuge Pedro bald wird.
»Blanco en blanco« ist ein bitterer, wütender Film über Rassismus und Völkermord am anderen Ende der Welt. Der spanisch-chilenische Filmemacher Théo Court inszeniert die Geschichte als Western in meist winterlicher Wüstenlandschaft, in dem nicht viel geredet wird. Stattdessen pfeift der Wind unerbittlich, wirbeln je nach Jahreszeit Schneeböen oder Sandstürme übers Land, die den Blick vernebeln und eine Kommunikation unmöglich machen. Hauptdarsteller Alfredo Castro, international bekannt geworden mit den Filmen seines Landsmannes Pablo Larraín (»El Club«, »No!«), verleiht diesem sich zivilisiert gebenden Biedermann, der an der Situation leidet und zugleich von ihr profitiert, eine fatalistische Ambivalenz. In einer Nebenrolle dieser internationalen Koproduktion mit deutscher Minderheitsbeteiligung ist Lars Rudolph als herrlich widerlicher Opportunist und Schwätzer zu sehen, fällt mit seiner ungebändigten Spielfreude allerdings etwas aus dem sonst recht gesetzten Rahmen.
Bereits 2019 feierte der Film in Venedig Weltpremiere, wo er mit dem Fipresci-Kritikerpreis und für die beste Regie der Orizzonti-Sektion ausgezeichnet wurde. So episch die Kompositionen von Kameramann José Ángel Alayón auf der großen Leinwand wirken, es ist Mubi, dem kuratierten Streamingdienst für Filmkunst, zu verdanken, dass dieses bild- und tongewaltige Werk nun überhaupt in Deutschland zu sehen ist.
Ihre Meinung ist gefragt, Schreiben Sie uns