Buch-Tipp: Time to Act, Fotografien von Simon Annand
© Verlag Salz und Silber
Simon Annand ist Theaterfotograf und hinter allen Londoner Bühnen zu Hause. Zu vielen Schauspiel-Assen hat er in langjähriger Zusammenarbeit ein freundschaftliches Verhältnis aufgebaut. Cate Blanchett, die zu seinem Fotobuch »Time to Act« das Vorwort schrieb, schätzt ihn ganz besonders. Annand hatte Gelegenheit, die Bühnengrößen seiner Generation zu fotografieren. Denn ein Engagement an einem Londoner Theater gilt auch für Hollywoodstars immer noch als Karrierehöhepunkt.
Wer das Buch durchblättert, erkennt, wie sehr die Schauspieler Annand vertrauen. Sie zeigen sich ihm ungeschützt. Noch eine Zigarette vor dem Auftritt, ein letzter Blick in den Spiegel, bevor der Vorhang sich hebt. Judi Dench mit geistesabwesendem Blick auf einem Sofa, eine Tasse in der Hand. Helen Mirren im Korridor auf dem Weg zur Bühne, als ob sie gleich in den Ring steigen wollte. Die Aufnahmen sind nicht gestellt, und die Fotografierten wirken selbstvergessen. Sie scheinen die Kamera gar nicht zur Kenntnis zu nehmen. Das macht diese Bilder so anziehend. Und noch etwas: »Simon Annand versteht die Schauspieler als Arbeiter und nicht als Prominente«, heißt es, zu Recht, im Vorwort.
Wir sehen Dehnübungen zum Lockern der Muskeln, Handstände und Grimassen bei Stimmübungen vor dem Auftritt. John Goodman, der 2015 im Wydham's Theatre in David Mamets »American Buffalo« auftrat, verdreht die Augen und lässt die Zunge aus dem Hals hängen. Tom Hiddleston überprüft ein Requisit für seine Rolle in »Coriolanus« vor sechs Jahren. Sein Oberarm ist schon geschminkt, mit verkrustetem Blut. Überhaupt, das Theaterblut: Auch in der Nahaufname einer Fotografie sieht es lebensecht aus. Benedict Cumberbatch und James Norton bekommen erschreckende Wunden aufgemalt. Annands Kamera sieht ihnen beim Schminken und Geschminktwerden zu, in Momenten der Verwandlung, der Konzentration und Nervosität.
Keira Knightley, Michelle Dockery, Elisabeth Moss, Lesley Manville und Juliet Stevenson tragen Lockenwickler im Haar – wer hätte gedacht, dass Lockenwickler in Theatergarderoben eine so große Rolle spielen? Jake Gyllenhaal beugt sich über seinen Schäferhund, laut Bildlegende genau so ein Gentleman wie sein Besitzer.
Aber nicht nur die Menschen auf den Fotos sind faszinierend. An ihren Spiegeln kleben Fotos zur Inspiration, Glückwünsche oder Bilder der Kinder. Jude Law ließ sich zu seinem »Hamlet« (2009) von Fred Astaires Anmut anregen, Lenny Henry befestigte ein Foto von Samuel L. Jackson in »Pulp Fiction« für seinen »Othello« (2009) am Schminktisch. Die Garderoben selbst sind klein und oft erstaunlich schäbig, wie es den alten Londoner Theatern entspricht. Selbst in den modernen Häusern geht es funktionell und nur in den seltensten Fällen luxuriös zu.
Die Kapitel des Buchs sind wie ein Countdown vor der Vorstellung organisiert, eine halbe Stunde, fünfzehn Minuten, fünf Minuten – Vorhang auf! Die Schauspielerin Lindsay Duncan sagte einmal: »Ich liebe die Garderobe. Wie die meisten Schauspieler. Dort sind wir sicher, wohl wissend, dass es gleich gefährlich wird. Es ist ein sehr aufgeladener und aufregender Ort.«
Time to Act, Fotografien von Simon Annand. Salz und Silber Verlag, Augsburg 2020. 256 S., 40 €. Von jedem verkauften Buch geht ein Euro an die CoronaKünstlerhilfe
Ihre Meinung ist gefragt, Schreiben Sie uns