»Bad Education«
Den ersten Verdachtsmoment liefert ein täppischer junger Mann. Auf seiner Einkaufstour durch die Baumärkte erregt er die Aufmerksamkeit eines Mitarbeiters, der ihm anbietet, die Ware direkt ins Haus zu liefern. Er brauche nur die Adresse. So kam 2002 eine Lawine ins Rollen, die schließlich zur Aufdeckung der größten Schulgeldunterschlagung in der Geschichte der USA führte. Schauplatz ist die Roslyn High School auf Long Island, die ihren exzellenten Ruf Frank Tassone verdankt. In seiner Zeit als Schuldistriktsleiter hat er Roslyn zu einer der besten öffentlichen Schulen der Nation – als Maßstab dient die Zahl der Schüler, die im Anschluss an Elite-Unis wie Harvard zugelassen werden – geformt. Der charismatische Pädagoge ist ein »local hero«, auch weil die Schulqualität sich wiederum entscheidend auf den Wert der Immobilien dieser Gegend auswirkt.
Der für HBO produzierte Spielfilm »Bad Education«, in dem mit Brio die Aufdeckung des Skandals aufgedröselt wird, ist ein makelloses Lehrstück über die Entstehung von Korruption. Zugleich wird das Sittenbild einer geschäftlich und bürokratisch verflochtenen Interessengemeinschaft skizziert, deren honorige Mitglieder sich irgendwann entscheiden müssen, ob sie Öl oder Sand im Getriebe sein wollen. Letzteres ist zuerst die schüchterne Schülerzeitungsmitarbeiterin Rachel, die Tassone wegen eines schulischen Bauprojekts interviewt. Tassone, ganz hingebungsvoller Lehrer, bemerkt ihren Mangel an Enthusiasmus und ermuntert sie zu mehr Recherche. In der Realität wurde jene Schülerin, deren Artikel schließlich den Skandal öffentlich machten, durch einen anonymen Brief auf eine Vertuschungsaktion hingewiesen. Die Szene ist also wie einige Handlungselemente fiktiv. Doch Drehbuchautor Mike Makuwsky, der die Ereignisse in Roslyn als Schüler miterlebte, nutzt sie für die Zuspitzung eines außerordentlich spannenden Charakterporträts.
Der erste Dominostein, der fällt, ist aber Pam, Herrscherin über eine Schar Verwaltungsangestellter. Die wie immer wunderbare Allison Janney (»I, Tonya«) spielt sie als alerte Macherin, die es gewohnt ist, unangenehme Fragen mit angespanntem Lächeln, bürokratischen Worthülsen und genervtem Unterton abzubügeln. Doch dann rückt, auch für den Zuschauer überraschend, ihr sympathischer Chef in den Fokus. Wir sehen Frank Tassone zunächst so, wie er sich selbst sieht: als Idealversion eines zugewandten Lehrers, der sich tatsächlich bis ins Detail an jeden Zögling erinnert. Um den Spaß nicht zu verderben, soll an dieser Stelle nicht verraten werden, welche Teile seiner Persönlichkeit in seinem Versuch, das Unheil einzuhegen, allmählich zutage treten. Denn die Realität erweist sich auch hier als unschlagbar kreativ. Und Hugh Jackman ist als Tassone, einem Blender und Schauspieler, der auf der Bühne seines Lebens mit einigen Rollen jongliert, atemberaubend gut.
Wie alle anderen Charaktere gerinnt diese Figur – selbst wenn sie ein wenig an Jim Carrey in »I Love You Phillip Morris« erinnert – nie zur Karikatur. Virtuos entlarvt Regisseur Corey Finlay in seiner scharfsinnigen Inszenierung, wie vorausschauend der Showman genau das lieferte, was seine Umgebung von ihm erwartete. Die einzige ironische Brechung, die sich Finlay erlaubt, ist der Klassik-Soundtrack, der die Enthüllung der Abzocke begleitet. Die Diskrepanz zwischen dem Selbstbild als Wohltäter und dem Ausmaß der Gier ist komisch genug. Hier ein Computerspiel für den Neffen, das über die Distriktskreditkarte abgerechnet wird; dort eine Schönheitsoperation, Anzüge, die weit teurer sind, als es ein amerikanisches Lehrergehalt erlaubt: Solange das System funktionierte, wollte keiner genau hinschauen. Bis elf Millionen Dollar weg waren. Der Hinweis, dass Tassone bis heute eine Pension von 174 000 Dollar jährlich genießt, ist da nur das i-Tüpfelchen einer »Comédie humaine« Balzac'schen Ausmaßes.
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