Apple TV+: »CODA«
Filme, in denen CODA (Children of Deaf Adults) sich durch ihre musikalische Begabung von ihren Familien abnabeln, sind Publikumslieblinge. Das galt für das deutsche Drama »Jenseits der Stille« (Caroline Link, 1996) wie für den französischen Hit »Verstehen Sie die Béliers?« (Éric Lartigau, 2014), und es gilt für dessen US-Remake, das als erster Film in der Geschichte des Sundance-Festivals während der Online-Edition von 2021 vier Hauptpreise verliehen bekam.
Regisseurin Siân Heder, die bisher nur im Streaming-Bereich gearbeitet hat, übernimmt die Figurenkonstellationen des Originals und verlegt die Geschichte aus der ländlich-französischen Idylle in die Hafenstadt Gloucester in Massachusetts. Aus den Milchbauern, die auf dem Markt Camembert verkaufen, wird eine Fischerfamilie, die auf die Hilfe des einzigen hörenden Kindes, Teenager Ruby (Emilia Jones), angewiesen ist. Ruby ist nicht nur auf dem Boot dabei, sondern passt auch auf, dass Vater (Troy Kotsur) und Bruder (Daniel Durant) beim Verkauf des Fangs nicht übers Ohr gehauen werden. Und natürlich dient sie als Übersetzerin aller außerfamiliären Belange.
Als sie sich bei einem schulischen Gesangskurs anmeldet, der exzentrische Lehrer (Eugenio Derbez) ihr Talent entdeckt, und mit ihr für die Aufnahmeprüfung für eine Musikhochschule in Boston proben will, steht also unglaublich viel auf dem Spiel.
So platt das vorhersehbare Szenario, eine Kombination aus Gehörlosen- und Gesangsdrama à la »Wie im Himmel«, anmutet, so ist der existenzielle Konflikt im Zentrum doch keineswegs trivial. Es geht nicht nur darum, dass sich Ruby ihrer Familie entfremdet: Diese benötigt schlicht Rubys Hilfe, um wirtschaftlich zu überleben. Dass Rubys Entdeckung ihrer Stimme auch ein Schrei nach Freiheit ist, ist so unironisch pathetisch wie unmittelbar eingängig.
Deshalb funktioniert auch die auf ein US-Publikum zugeschnittene Version der Heldin, die es zwischen der Liebe zu ihrer Familie und zum Singen – und nebenbei zu ihrem Duettpartner – fast zerreißt, wie am Schnürchen.
Anders als im Original werden ihre Angehörigen von authentischen Gehörlosen, darunter Oscargewinnerin Marlee Matlin (»Gottes vergessene Kinder«, 1987), verkörpert. Ob das nun tatsächlich »echter« wirkt, kann ein Hörender schwer beurteilen. Es fällt aber auf, dass der »comic relief« des Originals, der darin bestand, dass die Eltern mit expliziten Handbewegungen ihr temperamentvolles Sexualleben beschrieben, ausgeweitet wurde. So dienen die händischen Kraftausdrücke des raubauzigen Vaters, die Ruby in Worte fassen muss, als Running Gag.
Unglaubwürdig wirkt die rasante Veränderung der wirtschaftlichen Situation der Familie. Schön ist aber, dass dies auch ein Heimatfilm ist, in dem die aus Gloucester stammende Regisseurin auf unprätentiöse Weise versucht, den Charakter des Städtchens einzufangen. Entsprechend dem Zeitgeist legt sie außerdem mehr Wert auf den Inklusionsgedanken, beginnen die rustikalen Fischer doch damit, ihren Kollegen in Gebärdensprache zu grüßen. In dieser Hinsicht gibt es eine weitere Neuerung: Wo einst über Gebärdensprache versus Lippenlesen gestritten wurde, zeigt der Film einen dritten Weg, die Kommunikation via Textnachrichten.
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