Kritik zu Verstehen Sie die Béliers?
Die Kette französischer Erfolgsfilme reißt nicht ab, wie diese Coming-of-Age-Komödie über die sprechende und singende Tochter eines taubstummen Elternpaares beweist
Und wieder liest man neidisch die Box-Office-Zahlen einer französischen Komödie, die, erst am 17. Dezember gestartet, mit bisher fünf Millionen Zuschauern den Sch’tis, den Ziemlich besten Freunden und Monsieur Claude auf den Fersen ist. Wieder verlässt man das Kino in bester Laune, obwohl das Gezeigte reichlich platt ist. Inhaltlich ist das Coming-of-Age eines Provinzmädchens, das gegen die ungeschriebenen Gesetze seiner taubstummen Eltern ausgerechnet als Sängerin sein Glück machen will, ein etwas holpriger Verschnitt aus Gehörlosen- und Chorfilmen wie Jenseits der Stille, Wie im Himmel oder Die Kinder des Monsieur Mathieu.
Wie gehabt ist in dieser französischen Provinz die Welt noch in Ordnung. Hier haben die »local heroes« das Herz am rechten linken Fleck. Paulas Vater, ein Milchbauer, tauft das neue Kälbchen Obama, liest eine Biografie über François Hollande und tritt aus Protest bei der Bürgermeisterwahl an, weil der alte Bürgermeister in der strukturschwachen Gegend Landwirtschaftsflächen zum Industriegebiet machen will. Die ganze Welt ist von neoliberalen Kapitalisten besetzt, nur die Gallier leisten Widerstand: Kleine Unternehmer wie die Béliers, die mit ihrem Camembert-Verkauf auf dem Wochenmarkt mit Ach und Krach über die Runden kommen, sind süß, zumal wenn sie vermeintlich trottelig stumm und lächelnd dastehen; große Unternehmer sind igitt. Mit Chansonnier Michel Sardou und seinen gefühlvollen Ohrwürmern, dank derer die tapfere Paula ihre Stimme und ihre unterdrückten Emotionen entdeckt, wird überdies ein nationales Monument beschworen.
Anders als Monsieur Mathieu aber ist ihr Mentor Monsieur Thomasson (Eric Elmosnino, Gainsbourg) ein Pädagoge des Grauens. Der zapplige gescheiterte Künstler beschimpft die Schüler seines Chorkurses so beredt, dass normalerweise jeder Elternrat Amok laufen würde. Und seine »Perlen vor die Säue«-Sprüche sind sensationell lustig. So haben Heldin Paula und ihr Schwarm Gabriel meist ironiefreie Auftritte, während der Rest des Ensembles mit boulevardeskem Temperament dem Affen Zucker geben darf. Der Dialogwitz wird gesteigert durch die parallele Gebärdensprache, deren komisches Potenzial Regisseur Lartigue nach allen Regeln der Kunst ausreizt. Vor allem wenn’s um Sex geht, ist die Übersetzung abstrakter Begriffe in Handbewegungen ein garantierter Crowd-Pleaser. Dabei stiehlt Karin Viard als Paulas energisch fuchtelnde Mutter allen die Show. Für Paula indes bedeutet ihre Funktion als Sprecherin ihrer Eltern eine permanente Überforderung.
So gehen Burleske, Drama und Musik sozusagen Hand in Hand und machen die vielen Handlungslöcher vergessen. Zu den Makeln des Films gehören Auftritte wie der der französischen TV-Talentshow-Entdeckung Louane Emera als Girlie, das unter anderem im Dienste eines anzüglichen Gags seine erste Monatsblutung erlebt. Doch wenn Paula den geliebten Eltern im Chanson »Je vole« singend und händisch übersetzend ihre Gefühle erklärt, bleibt kein Auge trocken. Widerstand zwecklos.
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