Streaming-Tipp: »Soul«
Die hinlänglich bekannte Melodie, die vor jedem Disney-Film das Firmenlogo begleitet, mag dieses Mal im Jazzgewand daherkommen und der Protagonist von »Soul« die Musik zum Lebensinhalt haben. Doch der Titel des neuen Pixar-Films, der statt im Kino nun exklusiv bei Disney+ zu sehen ist, bezieht sich trotzdem nicht auf die musikalische Stilrichtung, sondern – sehr viel existenzialistischer – auf die menschliche Seele.
Joe Gardner nämlich, erster afroamerikanischer Protagonist eines Pixar-Films überhaupt, wird gleich in den ersten Minuten von »Soul« mit der eigenen Sterblichkeit konfrontiert, als er auf tragische Weise einen Schacht hinabstürzt. Und das ausgerechnet an jenem Tag, an dem sich im Leben von Joe, der die Leidenschaft für den Jazz von seinem verstorbenen Vater geerbt, es aber musikalisch nicht allzu weit gebracht hat, endlich alles ändern sollte. Denn ein kurzfristiges Vorspielen bei der gefeierten Saxofonistin Dorothea Williams läuft für den Pianisten so überzeugend, dass die Tage als Aushilfsmusiklehrer gezählt sein könnten.
Doch statt sich auf den ersten großen Auftritt im legendären New Yorker Jazzclub Half Note vorzubereiten, findet sich Joe – immer noch mit Hut, aber ansonsten plötzlich ein kleines blaues Geisterwesen – im Jenseits wieder. Bereit, seine weltliche Existenz hinter sich zu lassen, ist er natürlich noch kein bisschen, und so setzt er alles daran, zurück auf die Welt und in seinen Körper zu kommen. Ausgerechnet die noch ungeborene, aber schon ebenso vorlaute wie desillusionierte Seele mit dem schlichten Namen 22, die über Jahrhunderte bereits Mentor:innen wie Mutter Theresa oder Kopernikus zum Verzweifeln brachte, könnte ihm dabei helfen. Als den beiden allerdings tatsächlich der Sprung in unsere Dimension gelingt, landet 22 versehentlich in Joes Körper – und er in dem einer vollschlanken Krankenhauskatze.
Große Themen wie das menschliche Innenleben (»Alles steht Kopf«) oder den Tod (»Coco«) haben sich die Geschichtenerzähler:innen aus dem Hause Pixar schon häufiger vorgeknöpft. Doch »Soul« – inszeniert und geschrieben von Pete Docter und Kemp Powers, letzteres mit Hilfe von Koautor Mike Jones – ist ohne Frage der bisher ernsteste und erwachsenste des Animationsstudios. Was nicht heißen soll, dass es hier bei allen Fragen zu Lebenslust und Lebenskrisen, Leidenschaft und Bestimmung nicht auch oft herrlich komisch zugeht.
Was »Soul« allerdings zum ersten echten Pixar-Meisterwerk seit vielen Jahren macht, ist weniger die Story oder ihre am Ende dann doch schlichte Botschaft, dass man jeden Moment bewusst genießen und nichts als selbstverständlich erachten sollte, sondern vielmehr die leichtfüßige Musikalität und einfallsreiche Detailliertheit, mit der hier erzählt wird. Gerade auf visueller Ebene ist der Film – sowohl in der abstrakten Darstellung der Nach- oder Übergangswelt als auch vor allem des magisch-herbstlichen Manhattans – so elegant, betörend und mitreißend wie wenig andere Werke in diesem Jahr. Ach, und die Musik (die Jazzkompositionen von Jonathan Batiste noch mehr als der Score von Trent Reznor und Atticus Ross) ist übrigens, wenn schon nicht inhaltlich, dann wenigstens emotional natürlich doch von zentraler Bedeutung.
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