Ausstellung: »Quand Fellini rêvait de Picasso«
Picasso als Anregung und Vorbild – im Hintergrund Fellinis »Das süße Leben« Foto: Stéphane Dabrowski
Einen großzügigeren Gastgeber kann man sich kaum vorstellen. Seine Tafel ist stets reichlich gedeckt. Er verwöhnt seinen Besucher, der beim ersten Mal noch mit seiner Gattin geladen ist. Bei einer späteren Gelegenheit bereitet er für ihn, nun als einzigem Gast, ein köstliches Omelette aus zwölf Eiern zu. Er redet ohne Unterlass, ist ein hervorragender Ratgeber, ermutigt voller Überschwang. Bei ihrer letzten Begegnung, da sind beide bereits zwei Jahrzehnte älter, animiert er den Nichtschwimmer gar, mit ihm in die Meeresfluten zu steigen.
Diese Gipfeltreffen fanden, das plaudert schon der Titel der aktuellen Ausstellung der Cinémathèque franÇaise aus, nie statt. Federico Fellini und Pablo Picasso haben sich vielmehr mehrfach verpasst; einmal sogar nur um Haaresbreite: 1960 will sein Freund Georges Simenon den italienischen Regisseur in Cannes endlich dem Spanier vorstellen, aber dann wird dieser fortgerissen von einer Menschenmenge. Seine durchdringenden Augen wird Fellini nie vergessen. Sie suchen ihn heim, als die Beschwörung eines guten Geistes, von dem er zwischen 1962 und 1980 wiederholt träumt. Picasso wird zu einem engen Weggefährten, den er nie traf.
Kuratorin Audrey Norcia spürt einer Affinität nach, die nicht verblüffen muss, aber wenig bekannt ist. In den meisten Monografien des Regisseurs taucht Picassos Name nicht auf, er korrespondierte, anders als mit Simenon, nicht mit ihm; jedoch kam er in Interviews oft auf ihn zu sprechen. In seinem Büro hing ein Porträt, das den Maler eigentlich zusammen mit dem Fotografen Edward Steichen zeigte, den Fellini aber kurzerhand herausriss. Diese Beziehung sollte exklusiv bleiben. In den Träumen, die der Filmemacher auf Geheiß seines Analytikers, des Jung-Schülers Dr. Ernst Bernhard, in Worten und Zeichnungen festhielt, herrscht intime Vertrautheit zwischen ihnen. Ihr nächtlicher Austausch setzt während einer Schaffenskrise ein, in die Fellini ausgerechnet nach seinem größten Erfolg »Das süße Leben« geriet. Er erträumt sich Picasso als Vorbild an Vitalität und Schaffenskraft.
Fellinis reges, kreatives Traumverhalten ist das überzeugendste Argument für die Ausstellung, deren Konzept zuweilen an Tragfähigkeit gebricht. Gewiss, Fellini unterhielt engere Verbindungen zur bildenden Kunst als viele andere Filmemacher. Das Kino wurde für ihn zusehends zu einer Atelierskunst: Das legendäre Studio Nr. 5 in Cinecittà diente ihm als Festung seiner Phantasmagorien und als Alibi, sich nicht mehr der Straßenwirklichkeit zu stellen. Sein Stil drängt zum Plastischen, Skulpturalen. Aber es wären auch andere Konstellationen denkbar. Fellinis anfangs zaudernde Hinwendung zur Farbe wirft generelle Fragen zum Unterschied der Kunstgattungen auf.
Der Dialog, in den Norcia und ihr Ko-Kurator Matthieu Orléan die zwei Künstler nun verstricken, ist freilich lebhaft. Bestimmte Themen, Motive und Obsessionen zirkulieren unzweifelhaft zwischen ihren Werken: die römische Antike, der Zirkus, der Tanz, das Mysterium der Frau. Sie knüpfen an dieselbe mediterrane Kulturgeschichte an und huldigen den gleichen Fetischen, etwa den berstenden Proportionen von Tänzerinnen, Akrobatinnen und Prostituierten. In der Zusammenschau von Picassos Gemälden, Leihgaben der Sammlung von Almine und Bernard Ruiz-Picasso, mit Szenenfotos sowie Zeichnungen Fellinis blitzt tatsächlich eine innige Verwandtschaft auf. Der Maler ist präsent, nicht nur als Publikumsmagnet, sondern vorrangig als Inspirationsquelle. Über den Regisseur ist jedoch in Paris entschieden mehr zu erfahren. Die Schau führt den Besucher auf einen gleichsam therapeutischen Parcours, auf dem dessen üppig zirzensische Ästhetik über die Selbstzweifel triumphiert.
Was Picasso über den Italiener dachte, ist übrigens nicht bekannt. Wenn er sich je über ihn geäußert haben sollte, geschah es unter Ausschluss der Öffentlichkeit. Dabei überschnitten sich die Kreise. Die Kuratorin, die mit der Hingabe eines Trüffelschweins ans Werk ging, hätte gewiss den geringsten Hinweis zutage gefördert. Aber daraus erwächst der Ausstellung kein Ungleichgewicht: Eine Liebe, die so tief war wie die Fellinis, bedurfte keiner Erwiderung. Gerhard Midding
Die Ausstellung läuft noch bis zum 28.7.
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