DVD-Tipp: »True Detective Staffel 1«
Die Art, wie die Umgebung die Menschen beeinflusst, ist mir ungeheuer wichtig«, sagt Cary Fukunaga. »Aus der Ferne sieht das atemraubend schön aus, aber wenn man sich darin befindet, ist es wild, schonungslos und brutal.« Auch wenn diese Aussage auf Jane Eyres mooriges England gemünzt war, trifft sie doch genauso auf die Miniserie True Detective zu, mit den düster aufgeladenen, brütenden Landschaften von Louisiana, den baufälligen Gebäuden und heruntergekommenen Schuppen, den sumpfigen Küstenmarschlandschaften, dichten Mangrovenwäldern und Gerippen qualmender Raffinerieschlote.
Während alle Welt davon spricht, dass die modernen Fernsehserien den Roman abgelöst haben, schreibt Romanautor Nic Pizzolatto eine bahnbrechende Miniserie, die einem Film gleicht, der sich auf luxuriösen 450 Drehbuchseiten in acht Folgen ausbreiten darf, von einem Autor entwickelt und von einem Regisseur in hundert Drehtagen auf 35-mm-Filmmaterial gebannt. Schon der Vorspann entwickelt einen so hypnotischen Sog, dass man ihn gerne auch auf DVD acht Mal in voller Länge anschaut, mit einem Song, dessen leichter Beat düster unterlegt ist, und voller Doppelbelichtungen, in denen sich Menschen und Landschaften durchdringen, wie überhaupt das Prinzip der Doppelbelichtung die ganze Serie durchzieht.
Am Anfang steht ein brennendes Zuckerrohrfeld in einer Nacht im Jahre 1995 in Louisiana, wo Autor Pizzolatto aufgewachsen ist und wo neben True Detective auch sein Roman »Galveston« verwurzelt ist. Der Brand ist die dramatische Kulisse für die rituell theatralische Inszenierung eines grausamen Mordes, der am folgenden Morgen entdeckt wird. Eine Prostituierte ist nackt und in Gebetshaltung mit einer Geweihkrone unter einen riesigen Baum drapiert, um sie herum kleine Voodoo-Astskulpturen. Ausgehend von diesem konkreten Fall wuchern die Verästelungen des Verbrechens wie die verwunschenen Flechtengewächse des spanischen Mooses, von den zerrütteten Familienverhältnissen bis tief in die Machtstrukturen von Politik und Kirche. Sie vibrieren unter den Klängen, mit denen T-Bone Burnett die abgründige Atmosphäre schürt, kein Südstaaten-Cajun-Zydeco, sondern Songs von Bob Dylan, Steve Earle, John Lee Hooker, Lucinda Williams oder auch dem Wu-Tang Clan, die die Seele Louisianas in Schwingung versetzen.
Diese Art des Verbrechens hinterlässt ihre Spuren in der Psyche der Ermittler, sie vergiftet ihre Seelen und macht sie untauglich für ein normales Leben mit Frau und Kindern. Zwei Cops mit ganz unterschiedlichen Temperamenten, Woody Harrelson spielt den einen mit impulsivem, rohem Machismo, Matthew McConaughey den anderen als texanischen Zyniker, der sich die manipulativen Worte mit derselben hypnotischen Schläfrigkeit auf der Zunge zergehen lässt, mit der auch die Kamera von Adam Arkapaw über die Landschaften streicht, mit einer wie durch Zeitlupe gesteigerten Intensität, egal ob er beim Verhör ins Gehirn der Verdächtigen kriecht und ihre Verteidigungsmechanismen lahmlegt oder über seine persönliche Lebensphilosophie elaboriert: Vergebung ist bei ihm nur eine Frage menschlicher Vergesslichkeit – und Religion nur ein Virus, der das kritische Denken betäubt . . .
1995 stellen die Cops zwei Mörder, 17 Jahre später gibt es Hinweise, dass damals nicht alle Täter erwischt wurden. Auf der Polizeiwache werden die Cops von zwei jüngeren Kollegen verhört, sie sollen den Fall minutiös rekonstruieren, wodurch eine raffinierte Rückblendenstruktur entsteht, die zwischen 1995, 2002 und 2012 hin und her springt und das privat Menschliche immer mit dem Fall verzahnt. Der lange Zeitraum der Ermittlungen, aber auch die Verquickung von niederen Instinkten und hoher Politik erinnert an die Yorkshiere Killer-Trilogie. Ins dichte Gewebe der Erzählung sind lauter schillernde Perlen eingearbeitet, etwa eine siebenminütige ungeschnittene Actionsequenz, eine Apocalypse Now-Miniatur auf vermintem Privatgelände und eine kurze, heftige Sexszene, in der die Abgründe von Liebe und Begehren, Freundschaft und Verrat erschütternd verdichtet sind und alle Hoffnungen auf Erlösung zerstäubt werden. True Detective ist grandioses Fernsehkino, und im Moment ist es schwer vorstellbar, dass Colin Farrell und Vince Vaughn, die den Staffelstab für die zweite Runde übernehmen sollen, das Niveau an einem neuen Schauplatz mit wechselnden Regisseuren annähernd hoch halten können.
Anbieter: Warner Home Video
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