Star Trek: Deep Space Nine
»Star Trek: Deep Space Nine« (1993-99)
In »Deep Space Nine« saß die Föderation zum ersten mal fest. Dafür hatte die dritte »Star Trek«-Serie erzähltechnisch Pionierarbeit geleistet
Ein altes Vorurteil gegenüber Sequels und Spin-offs lautet, dass sie in den seltensten Fällen so einfallsreich und vielschichtig wie das Original seien. Mit dieser Einstellung versäumt man jedoch eine der aufregendsten Science-Fiction-Serien der 1990er Jahre. Die Abenteuer auf der Raumstation Terok Nor, besser bekannt als »Deep Space Nine«, verfügen nicht nur über die narrative Komplexität und die ästhetischen Ambitionen aktueller Serien. Auch die ambivalente Zeichnung der Protagonisten und die reflexiv-kritische Haltung zur eigenen Genremythologie nehmen wesentliche Aspekte neuerer TV-Serien um über ein Jahrzehnt vorweg. Die Wurzeln des Quality TV liegen nicht im Roman des 19. Jahrhunderts, sondern in der Nähe eines Wurmlochs zum Gamma-Quadranten.
Von 1993 bis 1999 wurde die Station in der dritten »Star Trek«-Serie vom ersten afroamerikanischen Starfleet-Captain Benjamin Sisko (Avery Brooks) und einer ehemaligen Widerstandskämpferin (Nana Visitor als Kira Nerys) geführt. Die Crew war nicht nur, wie gewohnt, ethnisch gemischt. Die neue Wissenschaftsoffizierin Jadzia Dax vereinte durch einen Trill-Symbionten die unterschiedlichsten Persönlichkeiten und sexuellen Identitäten aus der Erfahrung vergangener Leben in sich. Noch heute überbietet ihr utopisches Potenzial in Sachen Genderqueering sogar den ikonischen homosexuellen Dealer und Neorealismus-Robin-Hood Omar Little aus der Krimiserie »The Wire« (2002–2008).
Im Setting knüpfte »Deep Space Nine« zwar an die für »Star Trek« charakteristischen metaphorischen Weiten an. Allerdings wurde der Schauplatz an die veränderte Situation nach dem Ende des Kalten Krieges angepasst. Die Station befindet sich im Orbit des von Krisen gebeutelten Planeten Bajor, dessen Bewohner eine ausgeprägte, dem »Trek«-Universum sonst eher fremde Form von Spiritualität pflegen. Die Situation erinnert an die neue Unübersichtlichkeit regionaler Krisenherde. Nach Jahrzehnten der Besatzung durch die totalitären Cardassianer muss die Crew vergleichbar einer UN-Einsatztruppe für die diplomatische Abwicklung der Unabhängigkeit Bajors sorgen. Ein im Lauf der Serie einsetzender Konflikt mit einer Spezies von Gestaltwandlern und ihren genetisch gezüchteten Soldaten, dem »Dominion«, verkompliziert die Lage zusätzlich.
Wie in »Game of Thrones« lassen sich die einzelnen Fraktionen kaum überblicken. Es gibt keine eindeutigen Trennlinien zwischen Gut und Böse mehr – allerdings ohne dass deshalb zum Staffelende gleich die halbe Besetzung das Zeitliche segnen muss.
Die Komplexität der Konflikte prägt unmittelbar die Dramaturgie, die auf umfassende Handlungsbögen und nicht auf abgeschlossene Episoden zielt. Auf der alten Enterprise kehrte am Ende jeder Folge wieder der Ausgangszustand ein. Auch wenn er in einem Schlüsselmoment der US-Fernsehgeschichte Lieutenant Uhura küssen durfte, blieb Captain Kirk mit seinem Raumschiff verheiratet. Und seine regelmäßigen Romanzen auf fernen Planeten konnten nie einen Keil zwischen die Trias mit Spock und McCoy treiben. Aber schon die Nachfolger von der »Next Generation« erlebten ab und zu Fortsetzungsabenteuer über mehrere Staffeln hinweg. Zu diesen zählt einer der berühmtesten Cliffhanger neben den Schüssen auf J. R. Ewing: Am Ende einer Staffel musste die Enterprise auf ihren eigenen, von den Borg assimilierten Captain feuern, die Auflösung folgte erst ein halbes Jahr später.
»Deep Space Nine« ging noch einen Schritt weiter. Die Serie entwickelte jene Form von erzählerischem Gedächtnis, das an heutigen Serien begeistert. Sogenannte story arcs, die sich über Monate oder sogar Jahre hinweg entfalten, fanden sich zeitgleich auch in Michael J. Straczynskis »Babylon 5« (1993–1998), in den Abenteuern der vom Comic-Auteur Joss Whedon erdachten Vampirjägerin »Buffy« (1997–2003) und in »Akte X« (1993–2002), das zwischen abgeschlossenen Monster-of-the-Week-Folgen und einem weit aufgespannten Paranoia-Plot pendelte.
Ambivalente Sympathieträger gingen nicht erst mit den Eskapaden der »Sopranos«, dem knuffigen Serienmörder »Dexter« oder den Geschäften des Mr. Heisenberg in »Breaking Bad« in Serie. Durch die konsequente Entwicklung der Charaktere konnten sie in »Deep Space Nine« Seiten offenbaren, die im episodischen Fernsehen nicht möglich gewesen wären. Die Ferengi um den Barkeeper Quark (Armin Shimerman) leben nach einem kapitalistischen Katechismus in einem grotesken Patriarchat. Im Lauf der Serie emanzipieren sie sich sowohl von diesem als auch von der Stereotypenfalle des comic relief. Der Sarkasmus des cardassianischen Schneiders Garak (Andrew Robinson) wurde im Dienst des nicht sonderlich sensiblen Obsidianischen Ordens geschult. Die auf dem Holodeck ausgespielten, mit großartiger Detailverliebtheit nachinszenierten James-Bond-Fantasien des idealistischen jungen Arztes Julian Bashir (Alexander Siddig) erfahren nicht nur durch die Lektionen des Exagenten Garak, sondern auch durch den Föderations-Geheimdienst Sektion 31 einen schweren Dämpfer. Im Kampf gegen das Dominion greift die Sektion 31 zu terroristischen Maßnahmen, deren Brutalität gegen alle »Star Trek«-Ideale verstößt. »Deep Space Nine« skizziert mit dieser skeptischen Kritik am Idealismus der eigenen Serienwelt einen Diskurs vor, der sich später in Post-9/11-Reflexionen wie »24« (2001–2010), »Homeland« (seit 2011) und dem von »Star Trek«-Autor Ron Moore konzipierten »Battlestar Galactica« (2004–2009) fortsetzt. Ein einprägsames Bild für die reflexiven Brüche bietet die Folge »In fahlem Mondlicht«, in der sich der verbitterte Captain Sisko aus dem Off direkt ans Publikum wendet, nachdem er in bester Film-noir-Manier zum Mitschuldigen an einem Mordanschlag wurde.
Lange bevor die Nähe neuerer TV-Serien zum Kino von den Feuilletons registriert wurde, erreichte die Inszenierung in »Deep Space Nine« filmische Qualitäten. Die Raumschlachten konnten sich in ihrer visuellen Wucht mit der »Star Trek«-Kinoreihe messen. Im Kostümfilmambiente von »Jenseits der Sterne« vollzog Sisko als Schriftsteller in den 1950ern die Konzeption des eigenen Serienuniversums nach, und in »Immer die Last mit den Tribbles« reiste die Crew mit Hilfe digitaler Tricktechnik unter Verwendung einer Originalepisode zurück in die Zeit von Kirk und Spock. Nur die bei diesem Treffen der Generationen aufgeworfene Frage nach dem unterschiedlichen Aussehen der alten und der neuen Klingonen konnte als eines der letzten Tabus der Fernsehgeschichte nicht beantwortet werden. Über manche Dinge reden Klingonen, wie Lieutenant Commander Worf betont, ausschließlich privat und nicht einmal im Quality TV.
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