»Star Trek«-Wiki
»Star Trek II – Der Zorn des Khan« (1982). © Universal Pictures
Am 8. September 1966 brach das Raumschiff Enterprise beim amerikanischen Sender NBC in die unendlichen Weiten des Alls auf. Und löste ein Phänomen aus, das Generationen faszinierend fanden. Die Reise ist nicht zu Ende. Im Juli startet im Kino »Star Trek: Beyond«, 2017 eine neue Fernsehserie. »Star Trek« sieht schon lange nicht mehr so aus wie Ende der 1960er. Aber es gibt ein paar Dinge, die einfach dazugehören. Georg Seeßlen hat sie zusammengetragen
Amerika
Es ist leicht, in der »Vereinten Föderation der Planeten«, in deren Auftrag das Raumschiff Enterprise unterwegs ist, eine Art des Kennedy'schen Liberal-Imperialismus zu sehen und in ihren Feinden, etwa den Klingonen, den altbösen Widersacher aus dem Kalten Krieg. Genauso leicht kann man den »Star Trek«-Serien direkte, kritische Bezugnahmen auf jeweils aktuelle Regierungen und ihr Handeln entnehmen: Das Wirken der Geheimdienste in »The Next Generation« und »Deep Space Nine«, die Umweltgefährdung etwa in der »Next Generation«-Folge »Force of Nature« oder dem Kinofilm »Zurück in die Gegenwart«, die Umbrüche in der Sowjetunion in »Das unentdeckte Land«, Phantasmen der Gleichmacherei in der Gestalt der Borg, eines Menschmaschinen-Kollektivs, das in den späten Staffeln von »Next Generation« auftrat.
Immer wieder treffen die Abgesandten der demokratisch-kapitalistischen Vernunft im All auf Simulationen anderer Regierungs- und Herrschaftsformen. Entscheidend ist, dass jede Mission in die Tiefen von Raum und manchmal auch Zeit nicht nur der Wiederherstellung des »kosmischen Friedens«, sondern auch der Selbstvergewisserung dient. Es geht um Werte, um die beständige Neujustierung der Elemente im pragmatischen Liberalismus,Vernunft, Tatkraft, Skepsis, Neugier, Konservatismus. Aber das Ziel der Missionen bleibt das gleiche: eine Ordnung, die weder auf barbarische Gewalt noch perverse Manipulation hinausläuft.
Im Lauf der Jahrzehnte nehmen im »Star Trek«-Universum die inneren Gefahren immer breiteren Raum ein; die Widersprüche wollen sich nicht mehr so leicht wie in den Frotzeleien der Originalserie auflösen lassen. Und doch sind alle Sternreisenden in erster Linie Vertreter einer großen integrativen Kraft. Es gibt in den »Trek«-Serien nicht eine Spezies im Weltraum, die nicht wenigstens einen exemplarischen Vertreter in diese integrative Kraft entlassen muss: Die Föderation ist gleichsam unendlich aufnahmefähig, und umgekehrt ist der ganze Kosmos unendlich föderationsfähig.
Beamen
Auf den ersten Blick ist das Beamen nur ein für das Genre typischer Trick, die Überwindung großer Entfernung vergessen zu lassen. Tatsächlich ist es aber auch das Instrument, das das narrative System vollkommen verändert. Der Sprung tritt an die Stelle der Kontinuität, statt eines gewaltigen Erzählraums steht nun eine Vielzahl kleiner Räume zur Verfügung. Der Bühnenwechsel vollzieht sich mit einem Schnippen, zugleich hat man ein Element, mit dem man Überraschungen erzeugen und neue Handlungselemente einführen kann. Das Beamen erlaubt eine labyrinthische Anordnung der Bildräume und macht den Weltraum extrem kleinteilig, ist allerdings als Fortbewegungsart nicht unproblematisch: Man kann sich schon einmal verbeamen... Und natürlich produzierte es das schönste Mem. »Beam me up, Scotty!«
Captain
Es gibt eine fortlaufende Revolutionierung und zugleich Restaurierung der Autorität in den verschiedenen »Enterprise«-Generationen. Mit Captain Kirk tritt der erste Demokrat an, einer, der das Militärische der Mission bewahrt und zugleich transformiert; Kathryn Janeway macht in »Voyager«, der vierten Serie, die Sache zwar »mütterlicher«, ist aber durchaus darauf bedacht, ihre Autorität auch zu inszenieren – man beachte die Szenen, in denen sie im Kommandosessel Platz nimmt und das Kinn reckt. Die »männlichen« Machtgesten sind ihr beinahe weniger fremd als Kirk, dem immer noch etwas Lausbübisches anhaftet (was in den neuen »Star Trek«-Filmen von J. J. Abrams in einen Hauch von Rebel Hero übersetzt wurde). Jean-Luc Picard aus »The Next Generation« und Benjamin Sisko auf der Raumstation »Deep Space Nine« entsprechen am ehesten traditionellen Autoritätspersonen – und doch sind sie es, die am ehesten in Konflikt mit diesem Anspruch geraten.
Die Autorität ist in »Star Trek« nie als einfaches Machtverhältnis dargestellt. Natürlich müssen die Helden Schwächen, das heißt Menschlichkeit, zeigen, mehr noch aber müssen sie die Fähigkeit zur Integration unter Beweis stellen. Das tun sie vor allem, indem sie die Stärken und Schwächen der zu Integrierenden erkennen. Auf einer tieferen Ebene heißt das auch, sich selbst im anderen zu erkennen.
Emanzipation
Im »Star Trek«-Universum tummeln sich viele Wesen, denen man einfach nur eine Chance geben muss, damit sie sich bewähren. Aber es gibt auch solche, die sich, wie der holographische Arzt auf der Voyager, unter Wert behandelt fühlen, die wie Data in »The Next Generation« an ihrer emotionalen Begrenzung leiden, wie Doc McCoy aka »Pille« gegen die Windmühlen von Tat und Logik anrennen. Für jedes Crewmitglied ist die Reise auch eine Form der Befreiung, selbst wenn einige mit ihrer Funktion so verwachsen scheinen, dass sie, wie Pavel Chekov, kaum ihren Platz vor dem Computer verlassen.
Für ihre Entstehungszeit waren die Serien aus dem »Star Trek«-Universum in aller Regel fortschrittlich. Es ist schwer, sich vorzustellen, wie die multiethnische Mannschaft der Originalserie in einem Land wirkte, das noch so viel offenen Rassismus erlaubte. Weibliche und afroamerikanische Kommandanten und Identifikationsfiguren bedeuteten in diesem Kosmos etwas anderes als in reinen Action- oder Krimiserien: In »Star Trek« ist jedes Detail ein Statement .
Frisuren
Um zu begreifen, wie es sich mit Kontinuität und Wandel nicht nur innerhalb der Serie, sondern auch zwischen den großen SF-Epen »Star Wars« und »Star Trek« verhält, genügt ein vergleichender Blick auf die Frisuren von Prinzessin Leia in »Star Wars« und Commander Janeway in »Voyager«. Beides sind eigenwillige Formungen. (Man könnte sich fragen, ob Ursula von der Leyen bei Janeway... Unsinn.) Aber die Frisur von Janeway erzählt etwas. Anfangs wird sie sehr dekorativ zerzaust. Immer wieder muss die Frau ihr Haar hochstecken, in Form bringen, als wäre es ein Rest des nicht Gezähmten oder nicht Unterworfenen. Später ist ihr Haar entdramatisiert: halblang und pflegeleicht.
Jedes Objekt im »Star Trek«-Kosmos hat etwas zu sagen. In der Originalserie werden wir auf Welten gebeamt, die offensichtlich kein Interesse daran haben, ihre Kulissenhaftigkeit zu verbergen. Wir befinden uns auf den Bühnen von Kindermatinees im Theater. Es geht nicht darum, dass diese Dinge »glaubhaft« sind, es geht darum, was sie bedeuten. So erlernt man mit »Star Trek« auch die Bedeutung von Farben. Denken wir nur an den Unterschied zwischen den schrillen primärfarbenen Uniformen der ersten Serie und den gedeckten der Kinofilme.
Gender & Sex
Uniformen haben im »Star Trek«-Universum nicht die Tendenz zu »neutralisieren«. Sie sind oft wie eine zweite Haut und betonen die Körper eher, als sie zu verbergen. Zur Suggestion des Weltraums zumindest in der Originalserie gehören Frauen, die wie Comic-Pin-ups wirken – Fetischobjekte, die zugleich greifbar und unerreichbar sind. Kirk und die Seinen müssen sich der Verführung immer wieder entziehen oder zum Schein auf sie eingehen, ohne dass der Sex die Ebene der Zeichenhaftigkeit überschreitet.
Die männliche Dominanz ist freilich auch ein Problem. So trifft man immer wieder auf matriarchale Kulturen – offenbar eine fixe Idee des »Star Trek«-Schöpfers Gene Roddenberry, der sogar eine eigene SF-Serie um dieses Motiv plante. Immer wieder ist es, als wichen die Männer dem eigenen Machismo ebenso aus wie der weiblichen Verführung. Die ist in Gestalt der Kommunikationsoffizierin Uhura sehr nahe. Doch in »Star Trek« bleibt alles Episode. Auch der berühmte skandalöse Kuss zwischen der schwarzen Uhura und dem weißen Kirk in der Folge »Platons Stiefkinder« hatte für die Geschichte keine Folgen. In der vierten Staffel von »Deep Space Nine« gab es einen Kuss zwischen zwei Frauen; das war in den Neunzigern, und tatsächlich wurde die Folge in einigen Staaten nicht gezeigt.
Ansonsten aber liegt die gleichgeschlechtliche Liebe in »Star Trek« ein wenig tiefer, in den »Verschmelzungen« und Spiegelungen, den Blicken vor allem. Die Ambiguität mancher Figuren verknüpft vortrefflich das Erotische mit dem Politischen, schließlich sogar mit dem Grotesken. Alle fremden »Spezies« im »Star Trek«-Universum haben neben dem komischen und dem bedrohlichen auch einen obszönen Aspekt. Irgend etwas tritt hervor, hängt herunter, lappt heraus, beult aus; das Innere tritt nach außen, die Haut ist aufgerissen, Signale des Begehrens werden ausgesandt. Selten treten die Aliens als etwas »ganz anderes« auf, meistens sind es überzeichnete humanoide Wesen.
Natürlich gibt es auf den Raumschiffen erotische und familiäre Beziehungen, aber es sind Zutaten, die sich zur Handlung eher retardierend verhalten. Das Sexuelle ist in »Star Trek« häufig einem verführerischen Sirenengesang vergleichbar – eine Ablenkung. Gender und Sex, sozial konstruiertes und biologisches Geschlecht, lassen sich allerdings auch hier nicht so leicht trennen. Wie bei der »multinationalen Zusammenarbeit« scheint es bei der Gender-Verteilung vor allem um die Diversität, die Vielfalt, als Produktivität zu gehen: Das Gerechte ist durch das Nützliche bestimmt. Die Enterprise, die Voyager oder Deep Space Nine sind auch Metaphern für moderne Unternehmen und ihre Personalpolitik.
Humor
Der Humor ist, sagen wir mal: harmlos. Quelle der Heiterkeit sind in der Originalserie die Animositäten zwischen dem Vulkanier Spock und dem Schiffsarzt McCoy. Kirk: »Am liebsten würde ich Sie in den Arsch treten!« – Spock: »Wenn Ihnen das hilft.« – McCoy: »Soll ich ihn festhalten?« (»Star Trek V: Am Rande des Universums«). In den späteren Serien wird der Humor eher auf die Nebenfiguren verlagert. So wie das Logische bei Spock ist in »The Next Generation« das Normative des Androiden Data Gegenstand des Humors. Picard: »Bitte geben sie mir nun die Abschuss-Sequenz.« Data: »Blau, blau, blau.« Picard: »Ich hoffe, Sie haben jetzt nicht gestottert.«
Dass nichts am Humor der Serien zynisch oder parodistisch ist, gehört zum Vermächtnis. Andersherum eignet sich natürlich gerade dadurch dieses Universum für parodistische Verzerrungen, und »Star Trek«-Witze gehören zum festen Bestandteil jedes Fantreffens. Aber selbst Bully Herbigs »(T)raumschiff Surprise« kratzte nie mehr als an der Oberfläche, wenn es etwa die von der Fanfiction längst entdeckten homoerotischen Elemente in explizite Scherze umsetzte.
Ideen und Ideologien
»Star Trek«-Serien sind Ideendramen. Die meisten Figuren verkörpern Prinzipien, wenn das auch nie wieder so klar wird wie in der Originalserie mit dem Tatmenschen, dem Vernunftmenschen, dem Humanisten, dem Techniker – Kirk, Spock, McCoy und Chefingenieur Scott. Grundlegend war ein Prinzip, das Fernsehserien früher bestimmte und heute aus der Mode gekommen ist, nämlich: dass sich Konflikte in Dialogen abbilden und meist auch lösen lassen. Die Action war in der Originalserie eher eine Beigabe.
Die Föderation will kriegerische Auseinandersetzungen mit den Konkurrenten im All, vor allem den kriegerisch-imperialen Klingonen, den nicht minder expansiven, aber intelligenteren Romulanern oder den Borg, vermeiden. Was die »unterlegenen« Zivilisationen anbelangt, versteht man sich vor allem als Entwicklungshelfer, der an die Selbstentfaltung der einzelnen Kulturen glaubt. Gelegentlich schimmert ein Zweifel durch: Ist die Föderation wirklich so selbstlos? Tatsächlich brechen die Enterprise und ihre Nachfolger weniger auf, um in der Weite des Alls kreativ verloren zu gehen. Vielmehr geht es der Sternenflotte um Grenzsicherung, außerdem die Offenhaltung von Handels- und Kommunikationswegen. Bei Rettungsaktionen müssen häufig Grenzen überschritten werden. Die Anwendung von List ist durchaus erlaubt. Um in den Besitz einer Tarnvorrichtung der Romulaner zu kommen, simuliert etwa Kirk einmal einen großen Burn-out, und Spock, ausgerechnet, lässt sich auf ein Rendezvous mit der schönen Feindin ein. Bei der Verteidigung der Demokratie kann es selbst nicht immer demokratisch zugehen.
Captain Picard in »The Next Generation« ist sicherlich der größte Diplomat unter den »Trek«-Captains, aber wenn er auf überlegene Gegner trifft, werden auch hier rasch Bedenken beseitigt. Noch mehr als der quirlige Kirk erscheint Picard als »Manager«, was dann in Captain Janeway nahezu Programm wird. Erfolg misst sich oft nicht an der Nützlichkeit von Befehlen, sondern der Motivation der Mitarbeiter. Jedenfalls spiegelt die Entfaltung der »Star Trek«-Serien nicht nur die je aktuellen politischen Ereignisse wider, sondern auch Wandlungen in den Management-Philosophien.
Ikonen
»Star Trek« ist eine Maschine, die Bilder hervorruft: Kunstwerke, historische Monumente, archetypische Landschaften, popkulturelle Referenzen. Vor allem aber auch technische Bilder: das Raumschiff Enterprise als Risszeichnung, Plastikmodell, Computersimulation. Die Kontinuität des »Star Trek«-Universums wird durch technologische mindestens so sehr wie durch personelle Verknüpfungen hergestellt; anders als im »Star Wars«-Universum sind die Figuren, die Helden letztlich austauschbar. Das Schiff ist wichtiger als seine Besatzung – jedenfalls, was das Gesamtgefüge dieses narrativen Universums betrofft. Und als die »Enterprise« – wegen ästhetischer Überalterung – »sterben« musste, war das ein fast so traurig erhabener Moment wie der Abschied von einer beliebten Figur.
Spätestens seit »Voyager« spielt zwar das »Holographische« eine zentrale Rolle; es zerstückelt die Erzählung ganz ähnlich, wie es das Beamen tut. Aber das räumt den Verdacht nie ganz aus, dass es sich insgesamt um Reisen in Zeichen- und Bilderwelten handelt, die eher »vorrätig« als konstruiert sind.
Kanon
Der Kanon, also das, was das eigentliche World Building von »Star Trek« ausmacht, umfasst fünf Fernsehserien mit insgesamt 703 Episoden und 13 Spielfilme. Die 22-teilige Zeichentrickserie bezieht sich lose auf den Kanon; die Romane (rund 700) und Comics (rund 1000) gehören nicht dazu. Sie gehen in der Regel von einzelnen Figuren oder Konstellationen aus, um eigene Phantasien zu verfolgen. Eher selten sind allerdings auch echte kontra-kanonische Erzählungen. Wer genaues wissen will, muss sich in die Tiefen der »Memory Alpha«-Datenbank begeben, die fiktive Widerspiegelung der fiktiven Datenbank der fiktiven Vereinigten Föderation der Planeten. Die englische Version umfasst um die 40 000 Eintragungen, die deutsche mehr als die Hälfte. Die »Memory Beta«-Variante lässt zumindest auch semi-kanonische Narrative zu. Ausgeschlossen sind sowohl anti-kanonische Narrative als auch die Fanfiction. (Nur zum Beispiel: in den Romanen, die nach »Star Trek: Enterprise« entstanden, wird der Tod von Ingenieur Tucker in der vierten Staffel revidiert.)
Zum Kanonischen gehören gewisse Selbstreferenzen, Wiederaufnahmen von Situationen und Figuren, oder »archivisches Gedächtnis«: In der letzten Folge von »Star Trek: Enterprise« sehen wir die Geschehnisse als Holo-Simulation, die sich die Helden der Serie »Next Generation« ansehen. Zum 30-jährigen Jubiläum der ersten Serie gab es für die Fans eine besonderes Episode von »Deep Space Nine«: Mit einem Budget von 3 Millionen Dollar wurde die Folge »Immer die Last mit den Tribbles« gedreht. In dieser Folge unternehmen Sisko und seine Leute eine Reise zurück in die Zeit der Originalserie, und zwar durch das digitale Einfügen der »Deep Space Nine«-Elemente in die Film-Vorlage der originalen Episode »Kennen Sie Tribbles?«. Die Vertreter des Maquis (die Integration von Guerilla-Einheiten oder Alternativ-Kulturellen, wie man es nimmt, in den föderativen Mainstream) entwickeln ihre spannungsvolle Beziehung zu den Serienhelden in »The Next Generation« und »Deep Space Nine«, um in »Voyager« zu einem Hauptmotiv zu werden
Filme und Serien durchdringen sich auch in den Requisiten und den Effekten; es ist eine durchaus effektive Arbeitsweise entstanden, auch ein Vorläufer der Marvel-Strategie, die Crossover als Teaser einzusetzen und Figuren aus einer Produktlinie als Vorbereitung für eine zweite zu verwenden. Das kanonische Erzählen ist immer auch ein ökonomisches Erzählen.
Kapitalismus
Im »Star Trek«-Universum treibt sich eine Menge fahrender Händler und Betrüger herum, wie im alten Western. Dringend benötigte Rohstoffe und Energie spielen eine wichtige Rolle; Kriege sind realistischerweise auch Handelskriege.
Armut und Hunger scheint es in der Föderation nicht zu geben. Das Bargeld ist abgeschafft. Als Kirk und seine Crew in »Star Trek IV« in unsere Gegenwart zurückreisen, müssen sie sich mühsam an den Gebrauch des Dollars gewöhnen. Der Glaube an den Wert der Dinge ist bis zu einem gewissen Grad durch den Glauben an sich selbst ersetzt. Die Arbeit ist kein Joch, sondern eine Erfüllung von Lebensglück. Und die große Wunschmaschine Replikator – will unser 3D-Drucker so eine werden? – hat die Gier als Antriebskraft ebenso verschwinden lassen wie die Zurschaustellung von Luxus. Alle haben alles, was sie brauchen.
Die politische Ökonomie freilich bleibt eher vage: Haben wir es mit einem liberalen Staatssozialismus zu tun oder einem Staatskapitalismus? Einer zwar nicht rang-, aber klassenlosen Gesellschaft? Wir wissen viel über die Verhältnisse auf den Schiffen, aber wenig über die Verhältnisse in der Welt, die sie auf ihre Missionen geschickt hat.
Katastrophe
Weil das »Star Trek«-Universum auf Ausdehnung angelegt ist, sind Katastrophen in der Regel »Reiseunfälle« und Abenteuer. Erst in der dritten Staffel von »Star Trek: Enterprise« gibt es eine radikale Rückwendung: Ein Angriff auf die Erde hat Millionen von Menschenleben gekostet, und die frühe Enterprise begibt sich auf die Suche nach den Angreifern in einen Teil des Weltraums, in dem nicht nur die physikalischen Gesetze nicht mehr uneingeschränkt gelten, sondern auch ein Teil der moralischen und dramaturgischen Gewissheiten der Serie infrage gestellt wird. »Star Trek« ist eines der raren Beispiele einer ausgeformten nichtapokalyptischen Zukunft. Es geht um Störungen und die Behebung von Widersprüchen, nicht um Weltuntergang und Jüngstes Gericht. Es ist eine einfache Behauptung, die »Star Trek« aufstellt: Die Menschheit ist auf dem richtigen Weg.
Körper
»Star Trek«-Uniformen ähneln zunächst eher praktischer Arbeitskleidung als dem militärisch oder technisch hochgerüsteten Suit, den wir aus der Science-Fiction gewöhnt sind; die Menschen bleiben erkennbar. Weder der Verfall des Körpers – wie im Horrorgenre – noch die Transformation in posthumane Mischwesen – Klonkrieger, »Robocops«, »Blade Runner«-Androiden – steht bevor. Das ist, wenn man so will, eine Form des Humanismus im Genre. Die Idee der körperlichen Integrität bleibt unangetastet; selbst Seven of Nine, die Borg, die von der Voyager aufgenommen wird, kann aus der digital-mechanisch-organischen Zwangsverbindung mit ihrem Kollektiv gelöst werden.
In »Star Trek« wollen nicht die Menschen zu Maschinen, sondern die Maschinen menschlich werden. Daher werden uns die mehr oder weniger neurotischen Androiden so sympathisch. Zum positiven Weltbild gehört ein optimistisches Technologiebild. Data in »The Next Generation« ist eine Figur, die der Science-Fiction vertraut ist, eine künstliche Lebensform, ein Wesen, das darunter leidet, kein echter Mensch zu sein, obwohl es sich danach sehnt und zumindest subjektiv auch alle Anlagen dazu hätte. Sein Tod im Kinofilm Nemesis gehört zweifellos zu den ergreifendsten Abschieden in der Serie.
Lévi-Strauss
Alle Dinge werden in »Star Trek« in einem moralischen Diskurs aus drei Elementen behandelt, die man in Anlehnung an Claude Lévi-Strauss' »kulinarisches Dreieck« (roh, gekocht, verfault) beschreiben könnte als das Rohe, das Kultivierte und das Pervertierte.
So findet sich im »Star Trek«-Universum einerseits ein Widerwille gegen das Ungeformte, Animalische und Barbarische – Gewalt ohne Ordnung, Sex ohne Liebe, Macht ohne Gesetz – und ebenso gegen das Exzessive – Perfektion um jeden Preis wie bei den Borg, »dekadente« Kulturen, der Sieg von Ästhetik über Produktivität. Aber der kultivierte Weg der Enterprise und ihrer Variationen funktioniert nicht für sich, sondern immer nur im Austausch mit den beiden anderen. Es ist ein unabgeschlossener Vorgang. Die Föderation, die das Zentrum der fiktiven Geschichtsschreibung im »Star Trek«-Universum ausmacht, kann das Kultivierte nur vertreten, insofern sie in einem unablässigen Prozess der Kultivierung steckt. Das Dogma ist dabei zu vermeiden.
Immer wieder erleben wir, wie Spock seine »Logik« zugunsten von Loyalität durchbricht, oder sogar, dass die Borg Seven of Nine weinen kann (wenn sie auch behaupten muss, ihr Okkularimplantat funktioniere wohl nicht richtig). Gegenüber allem Barbarischen haben die Menschen der »Star Trek«-Zukunft ein paternalistisch-zärtliches Gefühl; statt allzu pädagogisch einzugreifen, setzt man auf Evolution. Zwar ist es in »Star Trek« immer möglich, dass sich »Parallelwelten« bilden, zugleich aber scheint es einen einzigen Strang des wahren Wegs zur Zivilisation zu geben. Die »Star Trek«-Reisen führen zu Problemen, nicht wirklich zu Geheimnissen.
Während das Barbarische und das Pervertierte also stets »aus Prinzip« überwunden werden müssen, bleibt das »Richtige« ambivalent und dynamisch. Man darf sich nie zu sklavisch an Prinzipien halten, und das schließt immer einmal wieder ein, hier ein bisschen zu tricksen und dort ein wenig zu drohen. Worauf es ankommt, das sind Entscheidungen. »Star Trek« mag verstanden werden als kompromissbereite Geste gegen den Determinismus. Jede Episode bewegt sich zwischen einem morality play und einem Ideendrama.
Mash Up
In der Originalserie geraten Kirk und die Seinen auf einen Planeten der Sklavenhändler, auf einen, auf dem die Bewohner sich nach dem Vorbild der Gangster in Old Chicago organisieren, und auch auf den Planeten der Nazis (»Patterns of Force«), komplett mit Verfolgung der »Zeoner«: Dort ist einer von den typischen Planern am Werk, die sim »Star Trek«-Universum auf der Suche nach politischen Regelsystemen sind. Er entschied sich für das nationalsozialistische Deutschland, dem seiner Meinung nach effektivsten Staat aller Zeiten – und stellte sich vor, man könnte das nationalsozialistische System friedlich anwenden. Natürlich ist das genau so ein Irrtum wie Idee, eine Welt der ewigen Gangsterkriege könne eine Stabilität dritten Grades erzeugen, oder Sklaverei könne gut sein für Menschen, die nie etwas anderes gelernt haben. Gerade weil aber bei allen den in diesem Universum vorgestellten Gesellschaftsformen eine wahre politische Ökonomie, erscheinen sie wie Spielanordnungen oder soziologische Experimente.
Aus Mangel an Mangel beginnen diese Wesen mit sich und anderen zu spielen. Weil es keine Knappheit gibt, wird der Überfluss der Energien und der Ideen gefährlich. Der strukturellen Produktion von Mangel aber fliegt die Enterprise so beharrlich davon, wie ihrer einzigen materiellen Grundierung, dem Mehrwert. Dass mit dem Kapitalismus nicht alle sozialen Konflikte überwunden sind, bestätigt sich im »Star Trek«-Universum immer wieder, sie scheinen nun allerdings zu einem hohen Maß aus einem ästhetischen und mythischen Überschuss zu entstehen. Hier werden Mythen-Cocktails gemixt – man hat ja sonst nichts zu tun. Es werden Sinnsysteme und Sprachen geschaffen, künstliche Gottheiten oder Zeichensysteme. Die Abwesenheit des Kapitalismus macht die sozialen Ordnungen zu monomanischen Ornamenten. Als müsse überall etwas anderes an die Stelle des Allmittels Geld treten.
Freilich ist der Vorrat an Phantasien so beschränkt wie der jeweilige Vorrat an technischen Erzählmitteln. Vielleicht ließe sich also die Funktion der Föderation beschreiben als eine Form der kosmischen Verwaltung von Phantasien. Einmal begegnet der Homo Startrekensis dem Homo Oeconomicus unserer Tage (in einem durch Raum und Zeit getragenen Raumschiff), und letzterer verlangt sofort, kaum aus dem Tiefschlaf erwacht, die Börsenkurse zu erfahren. Mild weist ihn Picard darauf hin: »In den letzten dreihundert Jahren hat sich einiges verändert. Die Leute beschäftigen sich nicht länger mit der Anhäufung von Dingen. Wir haben Hunger, Bedürfnisse und die Notwendigkeit von Besitztümern beseitigt. Wir sind unseren Kinderschuhen entwachsen«. So scheint es also, dass der Mensch statt Geld und Besitztümer Erfahrungen und Bilder anhäuft. Doch erweist sich die Verteilung von Bildern und Erfahrungen als kaum weniger problematisch. Auch eine Enterprise kann nicht mehr Bilder erzeugen, sie kann sie nur neu verteilen. Daher führt der »Star Trek« stets in die Vergangenheit, in die Schatzkammern der Bilder.
Militär
»Star Trek« ist zugleich ein Gegenbild und die Fortsetzung der Military Science-Fiction. Alle irdischen Helden entstammen einer militarisierten Ausbildungssituation, und alle wissen sich einer Art UNO-Mission verpflichtet. Darin sind sie echte Kinder des Schöpfers Gene Roddenberry, der seine Erfahrungen im Krieg nicht missen wollte, aber zugleich vom Frieden träumte. Das Militärische begleitet die Serien trotz ihres idealistischen Grundtons. In der dritten Staffel von »Deep Space Nine« zum Beispiel reagierten die Produzenten auf Bitten der Fans und brachten Bewegung in die stagnierende Show. Zu diesem Zweck wurde etwa die USS Defiant eingeführt – ein reines Kriegsschiff. Die letzten Staffeln der Show drehen sich hauptsächlich um Raumschlachten, den Verlust und die Rückeroberung der Station. Der Trend zur Remilitarisierung setzte sich in den neuen Filmen fort. Wir haben wohl auch im »Star Trek«-Universum den Glauben an den Frieden verloren.
Oberste Direktive
Mit der berühmten »Prime Directive« verpflichten sich die Föderationsmitglieder darauf, sich nicht in die Entwicklung technologisch unterlegener galaktischer Kulturen einzumischen. Man kann diese Direktive als wohltuende Entkolonialisierung der Science-Fiction betrachten. Aber sie konstruiert auch eine Hierarchie: zwischen dem »Primitiven« und dem »Zivilisierten«. Und sie führt zu Konflikten: Was ist ein Eingriff in die Entwicklung, was nur ein Beiseiteräumen von Hindernissen? Captain Kirk verstößt oft ohne viel Nachdenken gegen die Direktive; Janeway und Picard machen es sich schwerer. In einer »Next Generation«-Episode entscheidet sich Data, der mit einem Mädchen auf einem fremden Planeten Briefkontakt aufgenommen hat, zu einem fundamentalen Verstoß, um das Kind und sein Volk vor der Vernichtung zu retten. In der jüngsten Serie »Enterprise«, die vor dem Start der Original-Enterprise spielt, gibt es die Föderation und die Direktive noch nicht. Damit werden die Konflikte automatisch heftiger.
Die Direktive macht aber nicht nur Sinn in Bezug auf die Objekte der wissenschaftlichen Neugier und der Grenzsicherung – sie soll in gewisser Weise auch die Trekker selbst gegen die Versuchungen von Natur und Sinnlichkeit schützen. Die Freiheit, die Position des Beobachters und Wächters aufzugeben, vielleicht die Freiheit zu echter Empathie, die haben die »Star Trek«-Mitglieder nicht.
Die Direktive tritt allerdings automatisch außer Kraft, wenn für die Crews Gefahr im Verzug ist.
Western
Es gibt Elemente in »Star Trek«, die klassischen Western nachempfunden sind, und Data ist in »Next Generation« auch mal als Revolverheld unterwegs. Bedeutender scheint aber, dass »Star Trek« den Mythos der moving frontier aufnimmt und später, in »Deep Space Nine«, den des belagerten Forts. Und noch bedeutender vielleicht ist die Verknüpfung von persönlicher und sozialer Motivation. Wie den Westerner, so überkommt auch den Sternreisenden gelegentlich eine seltsame Frage: Was habe ich hier verloren? Glücklicherweise wird man aber gleich darauf sofort wieder dringend gebraucht.
Zukunft
Keine »Star Trek«-Variante hat explizit eine Zukunft zum Ziel. Einerseits werden zwar immer wieder verschiedene Fenster in mögliche Zukünfte geöffnet. Andererseits aber sind es durchaus praktisch-gegenwärtige Probleme, die behandelt werden. Für die »Star Trek«-Crews ist die Zukunft nicht, was vor einem liegt, sondern das, was man gegen den Ansturm der Vergangenheiten bewahren muss. Bleibt nur die bange Frage: Was zum Teufel kommt nach »Star Trek«?
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