Religion im aktuellen Film
»Miracle Workers« (Staffel 1, 2019). © Turner Entertainment Networks, Inc.
Kirchen sind in der Krise? Kann man kaum glauben. Denn religiöse Motive und Inhalte sind gerade ziemlich populär und schließen an gesellschaftliche Debatten an. Christian Engels hat sie in aktuellen Serien und Filmen aufgespürt
»If you believe that there's a hell, I don't know if you're into that, but we're already pretty much going there, right?« – Falls Du an sowas wie die Hölle glaubst, sind wir dann nicht gerade dahin unterwegs? Walter White sagt das zu seinem Komplizen Jesse Pinkman in der Serie »Breaking Bad«, die wie kaum eine andere für die Renaissance des Fernsehens in den letzten 15 Jahren steht. Die Frage nach der Hölle kommt gegen Ende der Serie, und die meisten Zuschauer:innen würden wahrscheinlich antworten: Ja, wenn es eine Hölle gibt, dann sind die beiden Mörder und Drogenhändler praktisch dort angekommen.
Das Zitat aus »Breaking Bad« macht deutlich, warum für aktuelle Filme und Serien religiöse Ideen und Topoi oftmals wichtig sind. Sie benutzen Begriffe wie Schuld oder Erlösung, um die Größe des Dilemmas der Figuren deutlich zu machen. Sie nehmen Religion ernst. Und andererseits spielen sie mit Religion, um überraschende Szenarien zu entwickeln und komische Effekte zu erzielen. Diese beiden Haltungen scheinen einander zu widersprechen, konnten aber schon in der Vergangenheit in Filmen friedlich nebeneinanderstehen: 1963 kam Bergmans »Licht im Winter« heraus, ein tiefschürfendes und hoffnungsloses Drama über einen Pfarrer in einer Glaubenskrise, und 1965 »Genosse Don Camillo«, ein Klamauk über die Abenteuer des von Fernandel gespielten italienischen Priesters in der Sowjetunion. Solche Gegensätze haben sich seitdem enorm gesteigert, und in der Serienwelt von Netflix, Prime Video, Apple TV+ und anderen, die immer stärker mit allem spielt, die immer extremer und kreativer wird, ist Religion entweder der Schlüssel zu dunklen, verborgenen Räumen in der Seele oder ein Trampolin, auf dem eine Geschichte absurde Sprünge vollführen kann. In beiden Fällen bedeutet Religion für eine Serie oder einen Film, dass es hier um alles und nichts geht, um Seelenheil oder Verdammnis, um Himmel oder Hölle.
Wobei sich die ernsthaften Fragen und der überraschende Spaß nicht gegenseitig ausschließen, weil aus einer komischen Ausgangslage heraus ernste Themen besprochen werden können. Fantasy ist ein Genre, das sich besonders gut für die Verhandlung religiöser Themen eignet. Ein Beispiel dafür ist die US-Serie »The Good Place«, die von 2016 bis 2020 lief. Kristen Bell spielt eine Frau, die nach ihrem Unfalltod im »good place« landet, im Himmel. Anders als die anderen war sie kein guter Mensch, und sie versucht, ihren Platz im Jenseits nachträglich zu verdienen, um nicht in den »bad place« zu kommen. Die Vorstellungen vom Jenseits sind naiv, alle wohnen zum Beispiel in Villen, aber dieses Bild wird in der Serie ständig hinterfragt und korrigiert, und die Fragen sind trotzdem relevant. Gibt es einen Zusammenhang zwischen ethischem Handeln und dem Jenseits? Was macht einen guten Menschen aus? Und wie wichtig ist für alle Menschen die Gnade?
Zum Genre der Fantasy gehören auch die Romane von Neil Gaiman. Zwei seiner Werke sind in den letzten Jahren erfolgreich adaptiert worden und auf Prime Video zu sehen: »American Gods« und »Good Omens«. Die erste Serie hat inzwischen mehrere Staffeln und geht davon aus, dass es alte und neue Götter gibt, die sich einen Kampf um die Aufmerksamkeit der Glaubenden liefern, also um die Macht. Die zweite Serie, »Good Omens«, ist seit 2019 abrufbar und handelt von einem Dämon (David Tennant) und einem Engel (Michael Sheen), die seit der Schöpfung auf der Erde leben und sich an sie gewöhnt haben, weshalb sie das drohende Armageddon abwenden wollen; dafür müssen sie miteinander und gegen die Interessen ihrer jeweiligen Auftraggeber arbeiten.
Die Ausgangslage in der Serie »Miracle Workers« (2019–2020) ist ähnlich: Gott beschließt, die Erde zu zerstören, und ein Engel (Geraldine Viswanathan) will das verhindern, wofür sie mit Gott eine Wette abschließt. Sie hat zwei Wochen, um ein Gebot zu erfüllen, das unerfüllbar zu sein scheint: Sie soll zwei sehr schüchterne Menschen zusammenbringen. Ein Spezialist (gespielt von Daniel Radcliffe) hilft ihr dabei. Die Ähnlichkeiten zwischen »Good Omens« und »Miracle Workers« sind deutlich. Gott will zerstören und wird dabei aufgehalten, so wie Abraham mit Gott verhandelt, um Sodom und Gomorrha zu verschonen (Genesis 18). Und die Welt kann nur durch Beziehungen gerettet werden, entweder die zwischen dem Dämon und dem Engel oder die zwischen den beiden Menschen, die verkuppelt werden sollen. Beziehungen sind es, die die Welt zusammenhalten – das erinnert an Martin Bubers Philosophie von »Alles wirkliche Leben ist Begegnung«. Außerdem ist das Jenseits in beiden Serien wie eine große Firma mit komplizierter Hierarchie und überwältigender Bürokratie organisiert. Die Engel sind eine Mischung aus NSA-Agenten, die alles überwachen, und Gamern, die alles zu beeinflussen versuchen.
Besonders interessant ist in »Miracle Workers« das Gottesbild: Steve Buscemi, einer der besten Nebendarsteller des amerikanischen Kinos (»Fargo«, »The Death of Stalin«), spielt einen alten Mann im Bademantel, mit T-Shirt und kurzen Hosen, der auf dem Sofa sitzend fernsieht, eine Mischung aus Howard Hughes (der Milliardär war nicht nur für seine langen Haare berühmt, sondern auch für seine allgegenwärtigen Überwachungskameras) und Mark Zuckerberg oder Jeff Bezos, jemand, der vor langer Zeit eine geniale Idee hatte, aber inzwischen jeden Sinn für die Realität verloren hat, der nur seinen Launen lebt und seine Allmacht genießt. Dieses Bild bezieht sich auf die Überlieferung von Gott als dem König der Welt. Könige waren lange Zeit ein einfacher Weg, um die Macht und Überlegenheit Gottes zu erklären, weil die meisten Menschen von einem König regiert wurden. Aber heute ist die Vorstellung, einen König über sich zu haben, noch abstrakter als die eines Gottes, und so wird der König der Welt zum »Großen Vorsitzenden« der Welt. Außerdem ist dieser Gott beratungsresistent, glaubt in allem immer recht zu haben und demütigt gern seine Untergebenen. Dieser Gott ist kurz gesagt der original alte weiße Mann, er ist eigentlich der älteste und weißeste Mann, wie das schon in dem Spielfilm »Das brandneue Testament« von 2015 zu sehen war: Gott als grausamer Griesgram im Bademantel. Dieses Bild von Gott als Mann ist nicht nur in der Theologie schon lange überwunden, sondern auch in einigen Filmen (Alanis Morissette in »Dogma«, Octavia Spencer in dem christlich-esoterischen Film »Die Hütte«); aber indem die Serie »Miracle Workers« dieses Bild wieder aufgreift und seine Schwäche zeigt, liefert sie einen Beitrag zur aktuellen Diskussion über Gender und die Unterdrückung von Frauen mit der Vorstellung von Gott als Mann.
Und diesen Unterdrückungszusammenhang gibt es ja noch immer. Die mit einem Emmy ausgezeichnete deutsch-amerikanische Mini-Serie »Unorthodox« aus dem letzten Jahr erzählt die Geschichte von Deborah Feldman, die aus einem ultra-orthodoxen jüdischen Milieu in New York ausbricht und in Berlin ein neues, freies Leben beginnen will. »Unorthodox« zeichnet ein Bild von einer extrem restriktiven Gemeinschaft, in der sich eigene Gefühle oder eine eigene Persönlichkeit kaum entfalten können, erst recht nicht für eine Frau. Und der Serien-Hit »The Handmaid's Tale« (seit 2017) erzählt von einer Gesellschaft, in der Frauen von einer christlichen Sekte auf das Gebären reduziert und degradiert werden.
Aber nicht nur Gottvater kommt in aktuellen Serien vor, sondern auch der Sohn, Jesus Christus, besonders prominent in »Messiah«, die nach einer Staffel 2020 eingestellt wurde. »Messiah« nimmt ein altes Gedankenspiel auf: Was würde passieren, wenn Jesus heute wiederkehrte? Die Serie setzt den geheimnisvollen Mann, der Jesus sein könnte, in den aktuellen Nahost-Konflikt, und so faszinierend diese Ausgangslage auch ist, wirkt das Ergebnis doch nicht überzeugend. Mit Formulierungen wie »eine Katastrophe biblischen Ausmaßes« oder »nur Gott könnte diesen Konflikt lösen«, erinnert der Dialog beständig daran, dass es hier um wichtige Dinge geht – man merkt die Absicht, und man ist verstimmt.
Der alte weiße Mann ist aber nicht nur Gott selbst, sondern auch der Stellvertreter Christi, der Papst. Der war schon immer ein beliebter Stoff für Filme, doch die Geschichte, dass ein amtierender Papst zurücktritt und es seitdem zwei lebende Päpste gibt, ist so besonders, dass diese beiden Männer, Benedikt XVI. und Franziskus I., die Filmemacher besonders interessieren. Zwei Dokumentarfilme und ein Spielfilm wurden bereits über sie gedreht, wobei die Unterschiede in der Wertung augenfällig sind. Benedikt wird in »Verteidiger des Glaubens« von Christoph Röhl als Intellektueller kritisch dargestellt, Franziskus in »Ein Mann seines Wortes« von Wim Wenders für seinen Kampf gegen die Armut und seine menschliche Nähe gefeiert. Und in dem Film »Die zwei Päpste« von Fernando Meirelles für Netflix wird die Situation des Übergangs geschildert, als Fest zweier großartiger Schauspieler (Anthony Hopkins als Benedikt und Jonathan Pryce als Franziskus) und auch hier mit der Betonung der Unterschiede zwischen den Päpsten. Der Film ist vergnüglich und mild nachdenklich, geht aber nicht in die Tiefe. Er erklärt weder, was die Macht der Kirche ausmacht, noch warum diese Macht in der Moderne bedroht ist, sondern endet mit der Pointe, dass der Argentinier und der Deutsche gemeinsam das Spiel der beiden Länder im Finale der WM 2014 ansehen.
Einer der wichtigsten Gründe für die aktuelle Krise der Kirche ist sicherlich der Skandal um die Fälle von Missbrauch durch Pfarrer und ihre jahrzehntelange Vertuschung. Dieses Thema ist bisher vielleicht am eindrücklichsten 2018 in »Gelobt sei Gott« von François Ozon aufgegriffen worden, der einen wahren Fall erzählt und fast ausschließlich in der Perspektive der Opfer bleibt.
Die ernsten Dramen handeln oft von katholischen Priestern, aber es gibt Ausnahmen. Die Serie »Greenleaf« (2016–2020) erzählt von einer afroamerikanischen Familie, die eine evangelikal-protestantische Megachurch leitet, obwohl sie selbst viele menschliche Schwächen hat. »Die Wege des Herrn« (2017 und 2019) aus Dänemark, entwickelt von Adam Price, der mit der Serie »Borgen« über die politische Szene berühmt geworden war, erzählt von einem selbstherrlichen Pfarrer (Lars Mikkelsen) und seiner Familie, die an seinem Größenwahn und Alkoholismus zerbricht. Der Pfarrer hat zwei Söhne, die in Schuldgefühle und religiösen Wahn oder in Esoterik abdriften. Die Aussage ist eindeutig, dass die Kirche nicht zu reformieren ist, dass sie keine Zukunft hat und ihre einzige Daseinsberechtigung der soziale Dienst für die Ausgestoßenen der Gesellschaft ist. Aber obwohl die Serie ein Drama über menschliche Abgründe ist, spielt sie auch immer wieder in fast schon satirischer Weise mit traditionellen Bildern und mixt sie neu zusammen, zum Beispiel wenn ein Paar so nackt wie Adam und Eva vor einem brennenden Busch steht – wie Moses. Das Bild hat keine weitere Bedeutung, es soll einfach nur ein Spiel sein. So zeigt »Die Wege des Herrn«, dass die beiden Arten, in denen Religion in aktuellen Filmen und Serien vorkommt, sich nicht unbedingt widersprechen müssen.
Das zeigt sich auch in der zweiten Staffel der Serie »Fleabag« von 2019. Die Hauptfigur verliebt sich in einen katholischen Priester, und alle Szenen mit ihm bei der Arbeit sind einfach hinreißend. Wie er in der Messe Werbung für den Gemeindebrief macht, mit schlechten Witzen, aber charmant, wie er beim Gemeindefest für alle Zeit hat – das ist so, wie sich gelebte Kirchlichkeit tatsächlich oft präsentiert. »Fleabag«, ohnehin eine außergewöhnliche Serie, hat auch einen erfrischenden, überraschenden Blick auf den religiösen Alltag gefunden, seine Verführungskraft neu entdeckt. Andrew Scott, der Darsteller des Priesters, hat in einem Interview erzählt, dass sich nach der Ausstrahlung der Serie der Bedarf nach priest porn verdoppelt habe. Der läuft dann aber nicht mehr bei Netflix und Apple.
Christian Engels ist Leiter des Filmkulturellen Zentrums im Gemeinschaftswerk der Evangelischen Publizistik. Seine Reihe »Die Filmshow« ist bei YouTube und als Podcast verfügbar
Ihre Meinung ist gefragt, Schreiben Sie uns