Nahaufnahme von Jannis Niewöhner
Jannis Niewöhner in »Je suis Karl« (2021). © Pandora Film Verleih
Der Appeal von Jannis Niewöhner ist etwas untypisch fürs deutsche Kino: strahlend und positiv. Er ist unser Matthew McConaughey, könnte man sagen. Und wie der Amerikaner spielt Niewöhner immer erfolgreicher gegen sein jugendlich-attraktives Image an – jetzt als identitärer Guru in »Je suis Karl«
Wie er da so breitbeinig angelaufen kommt: mit lauernd missbilligendem Blick aus Augen, die in tiefen Höhlen versunken sind. Die Haare kurzrasiert, damit gleich klar ist, dass er den Schädel gern mal als Waffe einsetzt. Eine gefährlich aggressive Präsenz verströmt Jannis Niewöhner da; er wirkt wie eine wandelnde Drohgebärde in Jogginghose und Trainingsjacke. In seinem ersten Auftritt in »4 Könige«, diesem so harten wie zarten Film über schwer traumatisierte Jugendliche, wird Timo von zwei Wärtern in Weiß direkt aus der geschlossenen Abteilung in die Jugendpsychiatrie eskortiert, wo ihn keiner haben will, außer dem von Clemens Schick gespielten Therapeuten, der mal was anderes probieren möchte. Ist das derselbe Schauspieler, der in der Edelstein-Trilogie und in vielen anderen Komödien, Krimis, Liebes- und Pferdegeschichten den romantischen Helden mit wuscheligen Haaren gab? Ja und nein. Irgendwann konnte Jannis Niewöhner es nicht mehr hören, dass sich niemand vorstellen konnte, dass er auch getriebene, wildere Typen spielen kann. Da rasierte er sich die Wuschelhaare kurz, legte Bomberjacke und grimmigen Blick an und überzeugte beim Casting des Psychiatriedramas von 2015.
Geboren wurde Jannis Niewöhner 1992 im Krefelder Stadtteil Hüls. Früh kam er im Elternhaus von »Good Will Hunting« bis »Ein Freund von mir« von Sebastian Schipper mit guten Filmen in Berührung, die sein Interesse für das Medium weckten. Sein Vater leitete in Duisburg ein Kinder- und Jugendtheater und half bei der Vermittlung der ersten kleinen Rollen. So stand Niewöhner schon mit zehn Jahren vor der Kamera, in kleinen Rollen in Fernsehkrimis wie »Tatort« und »SOKO Köln«. Danach konnte man ihm dabei zuschauen, wie er vor laufender Kamera erwachsen wurde, vom kleinen Jungen in »TKKG«-Kinderkrimis zum hübschen Teenager in Filmen, deren Titel schon viel von der Leichtigkeit der Jugend und den Irrungen und Wirrungen der ersten Liebe erzählten: »Die Wilden Hühner«, »Sommer«, »Für immer«, »Alles ist Liebe«. Ab 15 begann er im Spielen eine Berufsperspektive zu sehen, mit 16 bewarb er sich vergeblich an der Hochschule Ernst Busch und probierte sich danach einfach weiter vor der Kamera aus, ohne Druck und mit viel Spielfreude. Im »Spiegel«-Interview erzählte er, dass er die Rollen mit seinem Coach Frank Betzelt analytisch erarbeitet, immer darauf bedacht, den Ballast angesammelter Informationen beim Dreh wieder abzuwerfen: »Du möchtest dich an Dingen festhalten, die dir Sicherheit geben. Doch die wirklich lebendigen Dinge entstehen, wenn du loslässt. Du musst dich komplett der Situation ausliefern.«
Es folgten die Verfilmungen von Kerstin Giers Zeitreise-Fantasy-Trilogie »Liebe geht durch die Zeiten«, »Rubinrot«, »Saphirblau« und »Smaragdgrün«, in denen er Gideon de Villiers, einen adligen romantischen Helden, verkörperte und sich endgültig als Teenieschwarm etablierte. 2015, kurz vor der Volljährigkeit, eröffnete ihm »4 Könige« die Aufnahme in die Riege der Shootingstars und den Durchbruch zu den interessanteren, widersprüchlicheren Rollen. Plötzlich gab es mehr Spielraum und wilde Biografien – gleich im nächsten Jahr eine weitere intensive Rolle in »Jonathan« von Piotr J. Lewandowski, ein Film über das existenzielle Ringen zwischen einem jungen Bauernsohn und seinem sterbenden Vater (André Hennicke), der ein spätes Coming-out hat. Immer dunklere Töne mischten sich ins Portfolio des Schauspielers: kleinkriminelle Energien in dem Jugenddrama »Gangs« von Rainer Matsutani (zusammen mit den Ochsenknecht-Brüdern und Emilia Schüle, mit der er mehrere Jahre liiert war und noch mehrfach vor der Kamera stand, unter anderem in »Freche Mädchen 2«, »High Society«, »Jugend ohne Gott«) oder Drogenerfahrungen wie in Till Endemanns »So auf Erden« als süchtiger Straßenjunge Simon, der von einem Priesterpaar (Edgar Selge und Franziska Walser) aufgenommen wird. Unter der Regie von Andreas Prochaska spielte er in dem historischen Drama »Maximilian« den Titelhelden, Sohn des Kaisers Friedrich III.; unter anderen Vorzeichen ging es da erneut um einen Vater-Sohn-Konflikt. Bei der Arbeit an dem TV-Dreiteiler entdeckte er mit der Französin Christa Théret als Maria von Burgund die Intensität der Gefühle jenseits sprachlicher Verständigung und genoss es, die Figur zusammen mit dem Österreicher Prochaska aktiv zu erarbeiten.
Renommierte Literaturvorlagen lieferten nun die Stoffe, Ödön von Horvath (»Jugend ohne Gott«), Hermann Hesse (»Narziss und Goldmund«), Siegried Lenz (»Der Überläufer«) und nun Thomas Mann (»Bekenntnisse des Hochstaplers Felix Krull«). Die Rollen hatten ein anderes Gewicht, immer häufiger ging es um große moralische Entscheidungen, um die Reibung mit Autoritäts- und Machtstrukturen, zwischen Anpassung und Emanzipation, als Lehrer im Elitecamp in »Jugend ohne Gott«, als Wehrmachtssoldat im Zweiten Weltkrieg in »Der Überläufer« von Florian Gallenberger. Und in »Kids Run« verströmte Niewöhner als Amateur-Preisboxer, Bauarbeiter, Security-Aushilfe und unter Druck geratener Vater von drei kleinen Kindern aus zwei Verhältnissen die nervöse Energie der Straße. Mitreißend balanciert er die Rolle im sozialen Brennpunkt zwischen eruptiver Wut und zärtlicher Fürsorge. Unter der Regie von Marco Kreuzpaintner spielte er in der Serie »Beat« den drogensüchtigen Techno-Club-Promoter Robert »Beat« Schlag, der auf einem schmalen Grat zwischen europäischem Geheimdienst und internationaler Mafia mit Waffen-, Menschen- und Organhandel wandelt; dafür bekam er den Grimme-Preis.
Mithilfe von Kostüm, Maske und Spiel konnte er ein wenig von der Attraktion seines Äußeren ablenken – um dann auch wieder ironisch damit zu spielen, so wie in Anika Deckers satirischer »Bei der Geburt verwechselt«-Komödie »High Society«: »Hast du einen Stripper bestellt?«, fragt Iris Berben als reiche Mutter beim Anblick des von Jannis Niewöhner gespielten Polizisten Yann, der dann auch bei nächster Gelegenheit auf offener Straße mit entblößtem Sixpack die physischen Escort-Service-Qualitäten zur Schau stellt. Niewöhner bringt einen Starappeal mit, den man sonst eher mit Amerika verbindet, strahlendes Aussehen, einen durchtrainierten Körper und ein positives Lebensgefühl. Und anders als Til Schweiger wirkt er dabei nicht selbstgefällig, mürrisch und eitel, sondern ziemlich nahbar und natürlich. Ähnlich wie bei Matthew McConaughey hat es auch bei ihm länger gedauert, bis man ihm jenseits des attraktiven Äußeren kantige Rollen zutraute.
Inzwischen ist seine besondere Mischung aus Starappeal und schauspielerischer Risikobereitschaft auch jenseits von Deutschland aufgefallen und hat ihm ein paar kleine Rollen in internationalen Produktionen eingebracht, in der Serie »Berlin Station«, dem Science-Fiction-Thriller »Mute« (Duncan Jones) und in dem Spionagethriller »Munich: The Edge of War« (Christian Schwochow). Auch auf einen Actionausflug mit großem Budget hat Jannis Niewöhner Lust und darum auch schon seine Englischkenntnisse mit einem längeren Aufenthalt in London angekurbelt. Vor allem aber will er weiter interessante Projekte in Deutschland im Auge behalten, so wie »Je suis Karl«, in dem er Luna Wedler unter der Regie von Christian Schwochow als verführerischer und manipulativer Demagoge in die finsteren Abgründe der Identitären lockt.
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