Nahaufnahme von Brit Marling
Hollywood sah in ihr bloß das hübsche Blondchen. Also zimmerte sich Brit Marling ihre eigene Karriere. Und spielt seither komplexe, hochintelligente und durchsetzungsfähige Frauen
Es war 2011, beim Sundance Film Festival, da schlug Brit Marlings große Stunde. Die junge Amerikanerin, bis dahin unbekannt, hatte das Kunststück fertiggebracht, gleich zwei neue Filme ins Programm zu hieven. In beiden spielte sie nicht nur die Hauptrollen, sondern zeichnete auch als Koautorin und Koproduzentin verantwortlich. »Another Earth« und »Sound of My Voice«, praktisch ohne Geld, aber mit viel Herzblut gedreht, demonstrierten den Facettenreichtum einer Leinwand-Persona, die eher von Nachdenklichkeit und Intellekt geprägt ist als von Sexappeal. Im finster-meditativen Schuld-und-Sühne-Drama »Another Earth« macht Marling keinerlei Aufhebens um sich selbst, spricht kaum, meidet die Menschen, ist unscheinbar bis an den Rand des Verschwindens. Im verschachtelten New-Age-Projekt »Sound of My Voice« dagegen steht sie immer im Mittelpunkt. Als angebliche Zeitreisende aus dem Jahr 2054 ist sie der Star einer kalifornischen Sekte, eine charismatische Erscheinung und Meisterin der Rhetorik.
Für Marling waren die Low-Budget-Produktionen so etwas wie ein Reflex auf ihre frühen Erfahrungen in Hollywood, wo man ihr bis dahin allenfalls den Part des Opferblondchens im Horrorfilm angeboten hatte. Einerseits formulierte sie damit ihren Anspruch auf künstlerische Autorenschaft, auf ein Independentkino, das auch in widrigen Zeiten eigenwillig und anders zu sein hat. Andererseits führte sie vor, welche Rollen sie tatsächlich zu spielen gedachte: komplexe, intelligente, vielschichtige, lebensnahe, auch: düstere Frauen, die nicht männlichen (Wunsch-)Fantasien entstammen.
Die Drehbücher entwickelte sie parallel mit den Regisseuren Mike Cahill und Zal Batmanglij, mit denen sie damals in einer Wohngemeinschaft lebte und eine Art Indiekollektiv gründete. Vormittags schrieb sie mit Cahill an »Another Earth«, nachmittags mit Batmanglij an »Sound of My Voice«, und gemeinsam entwickelten sie einen spannenden Erzählkosmos, der Science-Fiction-Motive, realistisches Drama, spirituelle Esoterik und raffiniert konstruierte Plots mit einem nachdenklichen, gesellschaftskritischen Gestus verbindet.
Auch die Nachfolgeprojekte, Batmanglijs eleganter Undercover-Thriller »The East« (wiederum von Marling mitgeschrieben und -produziert) und Cahills aktuelle Wissenschaftskontemplation »I Origins – Im Auge des Ursprungs«, spielen trotz höherer Budgets und fortgeschrittenen Handwerks in diesem Kosmos; sie mischen das Spirituelle mit dem Handfesten und suchen inhaltlich wie strukturell nach neuen Wegen.
Marling, die Wirtschaft studierte und erst kurz vor einer möglichen Wall-Street-Laufbahn die Kurve Richtung Kreativkarriere kriegte, ist auf der Leinwand ähnlich unbeirrbar wie als Autorin. Fast alle ihre Rollen zeigen sie als schöne Schweigerin und Sinnsucherin, die niemanden wirklich an sich heranlässt (auch von uns Zuschauern mag sie sich nicht komplett vereinnahmen lassen). Mit sturer Unerbittlichkeit verfolgt sie ihre Ziele: In »Another Earth« kämpft sie um Erlösung, nachdem sie einen tragischen Autounfall verschuldet hat, übt sich in Selbstkasteiung und versucht, dem ruinierten Leben eines Mannes neuen Sinn zu verleihen. In »The East« variiert sie das Motiv der Selbstaufgabe; als streng religiöse, vom beruflichen Ehrgeiz schier zerfressene Agentin löst sie sich in den Strukturen einer Ökoterrorgruppe zusehends auf. Und auch in »I Origins« stellt sie alles in den Dienst ihrer Tätigkeit als Biologin; wunderbar konzentriert und zurückhaltend verkörpert sie eine Frau, der es nicht um den schnellen Erfolg geht, sondern um den nachhaltigen Durchbruch.
Hollywood weiß mit der spröden Grüblerin, die lieber Esprit als Haut aufblitzen lässt, immer noch nicht viel anzufangen. Aber das beruht wohl auf Gegenseitigkeit. Und wenn Brit Marling dann doch einmal kleinere Rollen in größeren Produktionen spielt, dann nur aus Überzeugung. Zum Beispiel in Lasse Hallströms Hedgefonds-Manager-Drama »Arbitrage«. Oder, besser noch, im Politthriller »The Company You Keep – Die Akte Grant«, der ein schönes Double Feature mit »The East« ergäbe und sie in einer fast programmatischen Rolle zeigt: als Robert Redfords Tochter.
»I Origins« startet am 25. September
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