Blockbuster von nebenan – Die europäischen Box-Office-Hits
»8 Namen für die Liebe«
Mit 8 Namen für die Liebe kommt im Juni der erfolgreichste spanische Film aller Zeiten in die deutschen Kinos. Statistisch gesehen hat er schlechte Karten. Denn europäische Komödienhits floppen im Ausland für gewöhnlich – abgesehen von den französischen. Frank Schnelle geht der Frage nach, warum nationale Kassenschlager international eigentlich so schlecht funktionieren
Zwei Dinge haben sie gemeinsam, das einfühlsame Drama Vonarstræti, die derbe Zote Mrs. Brown's Boys und die Actionkomödie Børning. Erstens: Alle drei stürmten in ihrem jeweiligen Land an die Spitze der Charts und überflügelten im Jahr 2014 die gesamte internationale Konkurrenz. Und zweitens: Sehr wahrscheinlich haben Sie noch nie von diesen Filmen gehört. Nicht viel anders dürfte es sich mit dem lakonischen Spaß Mielensäpahoittaja, dem Kriegsfilm Miasto 44 oder dem Märchenmusical Tri bratri verhalten. Und wo wir gerade beim Abfragen Ihrer cineastischen Kenntnisse sind: Wie viele Teile der Blockbuster-Serien Torrente (1–5), Recep Ivedik (1–4), Kummeli (1–5) und Eyyvah Eyvah (1–3) haben Sie gesehen? Oder besser: hätten Sie in Ihrem Multiplex sehen können?
Nun ist es eine Binsenweisheit, dass zwischen kommerziellem Erfolg und künstlerischer Qualität kein zwingender Zusammenhang besteht; schließlich würden wir den Menschen in Island, Irland, Norwegen, Finnland, Polen, Tschechien, Spanien und der Türkei ja auch nicht gerade Kokowääh 2 oder Vaterfreuden als Botschafter der einheimischen Filmkunst präsentieren. Trotzdem ist es erstaunlich, wie hermetisch die nationalen Märkte in Europa abgeriegelt sind, immerhin ein Kontinent fast ohne »echte« Grenzen. Nahezu überall das gleiche Bild: Gegen die Hollywood-Übermacht stemmen sich jeweils nur die heimischen Produktionen, während die Erzeugnisse der Nachbarländer – auch und gerade die sehr erfolgreichen – kaum eine Rolle spielen, jedenfalls nicht bei den Einspielergebnissen. Das mag nichts wirklich Neues sein, aber der Trend scheint inzwischen unumkehrbar. Warum eigentlich?
Ein paar Fakten
Wenn vom europäischen Film die Rede ist, spricht man früher oder später von einem Paradox. »Es gibt ihn, er ist eine Realität, und doch existiert er nicht. Wenn man ihn von nahem anschaut, etwa von einer der nationalen Kinematografien in Europa aus, löst sein Begriff sich auf; betrachtet man ihn dagegen aus der Ferne, aus Hollywood oder Hongkong, wird er fassbar und konkret«, meint der Kritiker Andreas Kilb.
Paradox ist auch, wie Europa auf die Entwicklung des Marktes reagiert. Während die Zahl der Besucher und Kinos kontinuierlich sinkt, steigt die Zahl der produzierten Filme exorbitant an. Vor zehn Jahren entstanden noch rund 900 Produktionen pro Jahr, 2011 waren es schon 1.300, im letzten Jahr 1.600. Gleichzeitig breitet sich – auch im Arthouse-Bereich – das Blockbuster-Phänomen aus, das heißt, immer weniger Filme bekommen ein immer größeres Stück vom Umsatz.
Die Europäer schicken zwar fünfmal mehr Filme ins Rennen als die US-Amerikaner, der Marktanteil der US-Filme beträgt aber 60 bis 65, in einigen Territorien gar 75 bis 80 Prozent. Die Schwankungen sind dabei nur auf den Erfolg einzelner Komödien (oder dessen Ausbleiben) zurückzuführen: In einem Jahr mit Ziemlich beste Freunde oder Monsieur Claude und seine Töchter steht Europa eben besser da als in einem Jahr ohne vergleichbaren Hit. Gleiches gilt für die einzelnen Länder; der Marktanteil deutscher Produktionen etwa ist abhängig von den Treffern oder Fehlschlägen von Bully Herbig und Til Schweiger.
Den größten Anteil – rund 55 Prozent – seiner außereuropäischen Erlöse erzielt das europäische Kino in den USA, auch das irgendwie ein Paradox. Selbstverständlich aber ist der Anteil Europas am US-Markt verschwindend gering.
Wann ist ein Hit ein Hit?
Und noch eine ziemlich vernichtende Rechnung: Obwohl rund 20 Prozent der weltweit produzierten Filme aus Europa kommen, liegt ihr Marktanteil nur zwischen drei und sechs Prozent. Kaum auszudenken, wie der Kontinent dastände, gäbe es nicht die französische Produktionslandschaft, die sich in jeder Hinsicht von den Wettbewerbern abhebt. Dort gibt es mehr Kinos, mehr Zuschauer, mehr Filme, mehr Förderung, mehr Wertschätzung – und viel mehr grenzüberschreitende Erfolge als anderswo. Dazu zählen die stark national gefärbten Komödien wie Die fabelhafte Welt der Amélie, Willkommen bei den Sch'tis und Taxi Taxi, die nach Hollywood schielende Action von Lucy, 96 Hours und Transporter, Familienspäße wie Asterix und Arthur und die Minimoys, Doku-Sensationen wie Die Reise der Pinguine und liebevolle Verkünstelungen wie The Artist. Monsieur Claude ist das europäische Märchen des Jahres 2014: gar nicht erst in den USA gestartet, spielte er weltweit 175 Millionen Euro ein.
Eine Sonderrolle nimmt auch Großbritannien ein, das dank fehlender Sprachhürde, großer Studios und enger persönlicher Verflechtungen Hollywoods Außenstelle in Europa ist. »Britische« Hits von Harry Potter über The Dark Knight bis zu James Bond sind in der Regel US-Koproduktionen, die sich weder britisch noch europäisch anfühlen. In den Neunzigern gelang es dem hiesigen Kino mit Titeln wie Trainspotting, Ganz oder gar nicht und Vier Hochzeiten und ein Todesfall noch, nationale Hits zu produzieren, die auch international funktionierten. Inzwischen geht es dem urenglischen Kino auch nicht besser als der Konkurrenz vom Kontinent: Sobald ein Kassenschlager »typisch britisch« ist wie The Inbetweeners oder Die Girls von St. Trinian, stößt er außerhalb der eigenen Grenzen auf wenig bis gar keine Gegenliebe.
Gar nicht neugierig auf die Filme der Nachbarn?
In den drei anderen großen europäischen Kinonationen Deutschland, Spanien und Italien ist das ein wohlbekanntes Phänomen – von den kleineren Ländern ganz zu schweigen. Jenseits des Arthouse-Marktes hat die jeweilige Produktion international wenig zu melden; auf jeden Ausreißer wie Lola rennt oder Das Leben der Anderen kommen mindestens zehn Schenkelklopferkomödien (früher mit Otto und Loriot, heute mit Elyas M'Barek und Matthias Schweighöfer), über die schon in Venlo keiner mehr lacht. Nationale Hits sind in Europa fast immer zugleich internationale Flops, von den eingangs erwähnten kleinen Filmen bis zu Prestigeobjekten wie dem russischen Stalingrad. Wie lauter separate Säulen stehen die Produktionskulturen nebeneinander, trotz Globalisierung, trotz Europäischer Union. Und bei Koproduktionen wie dem gefürchteten (seltener gewordenen) »Europudding« hält sich das Hitpotenzial erst recht in Grenzen. Legt man die Kinocharts der europäischen Nationen nebeneinander, entsteht ein erstaunliches Bild. Abgesehen von minimalen Unterschieden (Finnen, Türken und Italiener zum Beispiel sind hollywoodresistenter als Österreicher, Schweden und Portugiesen) tauchen in den Top Ten neben den üblichen US-Blockbustern stets drei, vier einheimische Produktionen auf, in manchen Märkten noch mehr. In ihrer Verschiedenheit sind sich die Europäer ganz gleich: Überall existiert das Bedürfnis nach heimischer Kost, nach vertrauten Gesichtern, auch: nach Abgrenzung vom Hollywood-Mainstream. Dieses Bedürfnis wissen die Produzenten also augenscheinlich zu befriedigen.
Die Antwort auf die Frage, warum sie es nicht schaffen, ihr Produkt auch für andere Märkte kompatibel zu gestalten, ist zugleich einfach und komplex. Es gibt nicht den einen ausschlaggebenden Grund, sondern ein ganzes Bündel von – zum Teil recht banalen – Erklärungen, wobei alles irgendwie mit allem zusammenhängt.
In filmwirtschaftlicher Hinsicht befinden sich die nationalen Produktionen seit Jahrzehnten in einem Rückzugsgefecht. Von einer »Industrie«, die Hollywood in ökonomischer Hinsicht Paroli bieten könnte, kann allenfalls ansatzweise in Frankreich und England die Rede sein. Zwar gibt es hie und da Tendenzen, Hollywood mit seinen eigenen Waffen zu schlagen, aber im Großen und Ganzen begnügen sich die Produzenten zwangsläufig mit bescheideneren Filmen, die gar nicht erst auf den Weltmarkt schielen.
Die Filmförderung mit all ihren nationalen und internationalen Töpfen erweist sich dabei als zweischneidiges Schwert (allein in Deutschland wandern inzwischen mehr als 350 Millionen Euro pro Jahr in die Branchenförderung). Einerseits sorgt sie für eine Inflation von Titeln, andererseits nimmt sie den subventionierten Produktionen den Druck, sich an den – internationalen – Kinokassen refinanzieren zu müssen. Viele Filme entstehen fast nur für die Festival-Parallelwelt. Zugleich mangelt es an Budgets für Vertrieb und Marketing – und nicht zuletzt auch an Abspielstätten. Der Trend zu immer mehr Multiplexen führt dazu, dass riskantere Filme es immer schwerer haben, einen Verleih und/oder Leinwände zu finden. Selbst Ziemlich beste Freunde wurde von mindestens einem deutschen Verleiher abgelehnt, bevor er hierzulande in die Kinos kam.
Aber natürlich sind es auch wir selbst, die Kinogänger, die dem fremden Produkt höchst ungern eine Chance geben. Die Sprachbarriere scheint dabei immer noch eine wichtige Rolle zu spielen (zwischen Belgien, der Schweiz und Frankreich sind die Grenzen durchlässiger, ähnlich verhält es sich zwischen Deutschland und Österreich), ebenso wie die kulturellen Unterschiede. Die Menschen sind träge und einfach nicht neugierig auf die Blockbuster von nebenan. Jedenfalls nicht neugierig genug, um im eigenen Land einen Hit daraus zu machen.
Von Ausnahmen abgesehen. Denn, um es mit William Goldman zu sagen, das Schöne am Kinogeschäft ist ja, dass im Grunde keiner etwas weiß. Schon bei der nächsten Komödie kann alles anders sein.
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