Kritik zu Pan
Wie wurde aus einem Londoner Waisenjungen Peter Pan? – Autor Jason Fuchs und Regisseur Joe Wright erzählen in opulentem 3D die Origin-Story der ikonischen Phantasiegestalt
Der Anfang ist noch recht vielversprechend: In einem düsteren London während des Zweiten Weltkriegs – die Bilder erinnern an Joe Wrights beeindruckendes Drama »Abbitte« – wächst der eigensinnige Peter Pan in einem Waisenhaus auf. Nicht nur die nächtlichen deutschen Luftangriffe machen ihm und den anderen Jungen das Leben schwer, auch die Nonnen scheinen kaum anderes im Sinn zu haben, als ihre Schützlinge zu drangsalieren – bis Peter eines Nachts von Piraten aus dem Bett in die Lüfte entführt wird. Eine Szene von überbordendem Irrsinn: Mitten im realistischen Schrecken aus Kampfflugzeugen und Flakbeschuss »segeln« altertümliche Schiffe mit wilden Gesellen über den Himmel, die »Luftschlacht um England« mit Piratenschiffen. Es wird noch verrückter, wenn Peter und die Piraten in Neverland ankommen und tausende Arbeiter eines Bergwerks unvermittelt Nirvanas »Smells Like Teen Spirit« anstimmen, um die Beute und Blackbeard, den Herren über dieses Reich, zu feiern. Für Minuten wähnt man sich in einem bizarren Pop-Märchen mit unbedingtem Willen zum Camp.
Dass sie nur den zigsten Aufguss der altbekannten Peter-Pan-Geschichte lieferten, kann man Drehbuchautor Jason Fuchs und Regisseur Joe Wright sicherlich nicht vorwerfen. Ihr Entwurf von Peter Pans Werdegang greift zwar bekannte Elemente von J.M. Barrie auf, erzählt aber vor allem von einem Jungen, der in der magischen Welt des Neverland seine Bestimmung erkennen lernt und mittels seiner besonderen Fähigkeiten die Guten (darunter Tiger Lily und Hook) gegen die Bösen (unter Führung von Blackbeard) verteidigen muss. Dass er dabei auch auf der Suche nach seiner Mutter ist, die ihm in London lediglich einen Brief mit dem Versprechen eines Wiedersehens (»hier oder in einer anderen Welt«) zurückließ, soll dem Ganzen wohl eine zusätzliche emotionale Grundierung geben.
Das eigentlich Interessante der Figur Peter Pan ist dabei allerdings über Bord gegangen. Das Kindliche und dessen Ambivalenz, die Weigerung, erwachsen zu werden, alle parabolischen Ebenen hat »Pan« seinem Protagonisten ausgetrieben, um stattdessen eine seichte Coming-of-Age-Story zwischen krachende Action-Höhepunkte zu packen. Wundersames, Märchenhaftes kann sich im visuellen Dauerfeuer kaum entfalten, und die anregende Überdrehtheit der ersten Sequenzen weicht bald einer Routine aus Blockbuster-Standardsituationen, in denen sich Gesten, Rhetorik und »überraschende« Wendungen so atemlos wie formelhaft abspulen. Dabei hält sich der kleine Hauptdarsteller, Newcomer Levi Miller, noch ganz gut, während Rooney Mara (Tiger Lily) und Garrett Hedlund (Hook) blass bleiben. Einen wirklich dankbaren, weil maßlos campigen Part hat lediglich Hugh Jackman als Blackbeard. Wie dieser in manischer Überheblichkeit seine Massen aufpeitscht, um im nächsten Moment in geheimnisvolle Düsternis und Sarkasmus zu versinken, beschert dem Film seine besten Momente, weil Blackbeard stets unberechenbar bleibt.
Die digitalen Bilderwelten dagegen, so opulent und vielgestaltig sie sind, ermüden auf Dauer in ihrer ausgesuchten Künstlichkeit. Die 3D-Effekte sind allzu aufdringlich in Szene gesetzt, und wie so häufig im 3D-Film geraten viele Bilder zu düster und trübe, während die Musik ständig bemüht ist, Wärme und Humor zu suggerieren, wo das Drehbuch es nicht schafft, emotional zu berühren.
Ein paar ansehnliche Kabinettstückchen birgt »Pan« trotz allem, etwa eine mythische kleine Erzählung in Form mutierender Holzskulpturen, die mit Jahresring-Psychedelik überraschen, oder ein Unterwasserballett mit der multiplen Meerjungfrau Cara Delevingne. All die visuellen Schmankerln schmälern allerdings nicht die Enttäuschung, dass ein so talentierter filmischer Erzähler wie Joe Wright mit »Pan« einen Film abliefert, dem geradezu paradigmatisch die schwerste Blockbuster-Krankheit eingeschrieben ist: der Gegensatz von visueller Entfesselung und narrativer Lähmung.
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