Witz, komm raus, du bist umzingelt – Die deutsche Komödie
© Constantin Film
Keine Experimente! Schon gar nicht beim Humor: Manche meinen, so könne man das Prinzip der deutschen Komödie zusammenfassen. Trotzdem bricht das Genre im Land der attestierten Humorlosigkeit immer wieder Kassenrekorde. Manfred Riepe über die Widersprüche des deutschen Witzes
Deutschland ist das Land der Dichter und Denker. Relativitätstheorie und Quantenmechanik, Theorien made in Germany revolutionierten die Physik. Humor zählt offenbar nicht zur deutschen Kernkompetenz. Im Gegensatz zu gebräuchlichen Redewendungen wie »britischer Humor« scheint eine Formulierung wie »deutscher Witz« ein Widerspruch in sich zu sein. Und doch stürmen Komödien wie »Fack ju Göhte«, »Der Schuh des Manitu« und »Männerherzen« regelmäßig an die Spitze der Kinocharts. Über 14 Millionen Deutsche (die ehemalige DDR dazugerechnet) sahen »Otto – Der Film«. Marcus Rosenmüllers »Wer früher stirbt, ist länger tot« zählt mit 1,8 Millionen Zuschauern vielleicht nicht zu den Megahits, ist aber zweifellos einer der subtilsten »Witzfilme«, die das deutsche Kino seit langem hervorbrachte. Selbst mäßig beliebte Komödien wie »Der Wixxer« oder Peter Timms »Manta – Der Film« lockten jeweils mehr als eine Million Zuschauer an: Wird Humor made in Germany etwa unterschätzt?
»Ich lache gerne – wenn's passt!« Mit diesem pfiffigen Credo, das er seinen Protagonisten mehrfach in den Mund legte, beschreibt der begnadete Humorist Vicco von Bülow alias Loriot eine typische Charaktereigenschaft der Nachkriegsgeneration. Keine Experimente! Schon gar nicht beim Humor. Der Witz an diesem Spruch ist, dass er nicht nur die deutsche Geisteslage treffend beschreibt, sondern auch witzig ist. Wie kaum ein anderer hat Loriot das Prinzip des Witzes verstanden. Fünf Millionen Zuschauer lachten über »Ödipussi« und immerhin noch 3,5 Millionen über »Pappa ante Portas«. Der Funke springt bei ihm über, weil er etwas zusammenwachsen lässt, was scheinbar gar nicht zusammengehört. Worüber man eigentlich gar nicht lachen kann, die humorlose Zwanghaftigkeit der spießigen deutschen Seele, wird von ihm vorgeführt: quälend komisch.
Nichts zu lachen gibt es eigentlich auch im Klassenzimmer, wo man weder schwätzen noch gickeln darf. Und wahrscheinlich genau deswegen werden regelmäßig Schulkomödien gedreht. Spätestens seit der »Feuerzangenbowle« und dem »Fliegenden Klassenzimmer« gehören sie auch zum festen deutschen Kinorepertoire. Sie sind aber keine Selbstläufer, wie man etwa an der Grips-Theater-Adaption »Frau Müller muss weg!« sehen kann, die mit knapp über einer Million Zuschauern einen Achtungserfolg einfuhr. Wenn dagegen Bora Dagtekins »Fack ju Göhte« (7,3 Millionen) auf der Überholspur durchstartete, so deswegen, weil hier einiges zurechtgerückt wird. Zunächst mal verübt gleich zu Beginn des Films die aus den Paukerfilmen bekannte Uschi Glas als notorisch überforderte Lehrerin mit einem Fenstersprung einen Selbstmordversuch. Sie blutet wie im Splatterfilm – hier werden ganz bildlich alte Zöpfe abgeschnitten.
Dabei knüpft auch »Fack ju Göhte« an ein konventionelles Komödienmuster an. Elyas M’Barek alias Zeki Müller, eigentlich ein Bankräuber, wird bei dem Versuch, an seine unter der Turnhalle einbetonierte Beute zu gelangen, wider Willen zum smarten Turbopädagogen. Diese Geschichte erzählte ganz ähnlich schon »Zur Hölle mit den Paukern« (Die Lümmel von der ersten Bank, 1. Teil, 1968) mit Uschi Glas, Theo Lingen und Hansi Kraus. Auch die »Kanak-Sprak«, die Dagtekin dem Schulhof ablauscht und in zündende Dialoge übersetzt, ist keine ganz neue Erfindung: Man kennt sie seit Jahren schon von Erkan und Stefan. Der Versuch dieser beiden Komiker, Wortschöpfungen wie »Voll krass« markenrechtlich schützen zu lassen, scheiterte übrigens am Richterspruch, der befand, dass niemand ein Monopol auf die Vermarktung der Umgangssprache türkischer Jugendlicher für sich beanspruchen könne. Auch Anke Engelkes »Deutschkurs« für Türken (»Ich mach’ dich Messer!«) darf hier natürlich nicht vergessen werden.
Neu an »Fack ju Göhte« ist also vielmehr, dass Sprüche wie »Boah, nicht schon wieder KZ!« und »Chantal, heul leise!« in einer Schlagzahl herausgehauen werden, die dem Film bis zum Schluss eine erfrischende Aggressivität gibt. Wenn die Kids beim Graffitisprühen Goethe mit »ö« statt mit »oe« schreiben, dann sind sie mit dieser vermeintlichen Respektlosigkeit vielleicht auch näher am Geist des Dichterfürsten, als politisch korrekte Pädagogik es wahrhaben will.
Die innere Läuterung wider Willen, das Muster in zahllosen Komödien, variiert auch Til Schweiger in seinen Kinoerfolgen. In »Keinohrhasen« (6,3 Millionen Zuschauer) etwa verkörpert er einen aus Prinzip polygamen Hedonisten und Schwerenöter. Doch der reumütige Triebverzicht, zu dem er sich ebenso in »Männerherzen« (2,1 Millionen) entschließt, bleibt letztlich eine gefühlte Testosteronfeier. Der Witz ist bei ihm kein Medium der Katharsis. Im Sinne Freuds kommt Til Schweiger in seinen Filmen immer wieder »zum Vorschwein«. Sein fiktiver Charakter und die Privatperson bilden eine authentische Einheit.
Das wird nirgendwo deutlicher als in Peter Thorwarths furioser Ruhrpot-Milieukomödie »Bang Boom Bang« (460 000 Zuschauer) von 1999. In einer Nebenrolle als Ekelfußballer provoziert Til Schweiger hier Markus Knüfken als Gegenspieler so heimtückisch, dass dieser ihn mit einem Kopfstoß ausknockt – und dafür natürlich vom Platz gestellt wird. Da sich dieses Ereignis 2006 im Endspiel Italien gegen Frankreich real wiederholte, könnte man Til Schweiger als Materazzi des deutschen Kinos bezeichnen. Es hat ihm nur noch niemand erklärt, dass man für diese Rolle nicht geliebt wird.
Die Verletzung des guten Geschmacks zählt zum Erfolgsgeheimnis von zwei weiteren Größen des deutschen Kinohumors: Michael »Bully« Herbig und Otto Waalkes kommen beide aus der Tradition der Parodie. Lange bevor Heino sich selbst in dieser Form neu erfand, wurde er in »Otto – Der Film« als Zombie im Michael-Jackson-Stil verulkt. Dass er mit seinen Scherzen auch heute noch an die Schmerzgrenze geht, beweist Waalkes in »7 Zwerge – Männer allein im Wald« (6,8 Millionen Zuschauer) von Sven Unterwaldt. Nina Hagen ruft als böse Königin einmal nach dem »Jäger«, doch herein tritt ein Afroamerikaner. Worauf ein Vasall entnervt korrigiert: »Nicht der Neger, der Jäger.«
Schon durch die bloße Nacherzählung dieses Gags wurde ein Filmkritiker von seinen Lesern bezichtigt, ein Rassist zu sein. Dieser bedingte Reflex in politischer Korrektheit zeigt, dass Otto auch dann noch einen Nerv trifft, wenn er das Niveau nach unten austestet. Seine Zuschauer können es zwar nicht in Worte fassen, doch sie verstehen, dass dieser schlechte Witz den Nachdruck von Michael Endes »Jim Knopf« thematisiert, bei dem das Wort »Neger« gestrichen werden sollte.
Diese unverkrampft platte Pointe verbildlicht zudem, dass Otto nicht zuletzt dank seinem Gagschreiber Robert Gernhardt in der Tradition einer gewissen Linguistik des Kalauers steht. Otto ist eigentlich nur der Troll, der alles durcheinanderwirbelt – Robert Gernhardt dagegen der Geist, den er dabei aus der Flasche lässt. Der 2006 leider viel zu früh verstorbene Dichter erklärte bei seinen Frankfurter Vorlesungen einem akademischen Publikum einmal das Poetische an Sprüchen wie »Haut die Bullen platt wie Stullen«. Und nicht zu unterschätzen ist auch Gernhardts Seelenverwandtschaft mit Heinz Erhardt, dem großen Meister des höheren Blödsinns. Dessen verschmitzte Nonsensverse (»Sie trug die Kleider, er die Kosten«) bestimmten den Takt zahlreicher Komödien der fünfziger und sechziger Jahre. Die Zuschauer konnten gar nicht genug von ihm bekommen, weshalb er in »Drillinge an Bord« (1959, Regie: Hans Müller) als Brüdertrio sogar dreifach zu sehen ist.
Aus diesem Zeitraum der frühen Sechziger stammen nicht zufällig die Winnetou-Adaptionen mit Pierre Brice, deren Bilder in den Köpfen deutscher Zuschauer gleichsam eintätowiert sind. Bully Herbig weiß das nur zu gut, denn er bürstet Harald Reinls betuliche Deutschwestern beharrlich gegen den Strich. Dabei gelingen zuweilen liebevolle Bilder wie die Pfeilspitzmaschine zu Beginn von »Der Schuh des Manitu«. Treibkraft dieser Westernkomödie ist aber die Offenlegung jener latenten Homophilie in Karl Mays Figuren, die bereits Arno Schmidt ausführlich deutete. Es geht Herbig aber nicht um subtile Analyse. Mit gelassener Albernheit karikiert er Schwule als plüschige Tunten. Diesen Schuh zogen sich so viele Zuschauer an, dass »Der Schuh des Manitu« zum größten Kassenschlager des deutschen Nachwendefilms avancierte.
Das Thema »Männer« scheint unvermeidlich zu sein, wenn Millionen in eine deutsche Komödie gehen. Das war schon bei Doris Dörries gleichnamigem Überraschungshit von 1985 so. »Die Deutschen können Komödien drehen«, hieß es in einer Kritik zu Sönke Wortmanns »Der bewegte Mann« (6,5 Millionen Zuschauer), der auch nicht gerade in leeren Sälen gezeigt wurde. Kassenknüller ohne das explizite Männerthema sind vergleichsweise selten. Helmut Dietls »Schtonk!«, Percy Adlons »Out of Rosenheim« und »Man spricht deutsch« mit dem Kabarettisten Gerhard Polt zählen dazu.
Neben diesen Megahits feierten erstaunlich viele Produktionen mit weniger Marketing, dafür aber umso mehr Kreativität Achtungserfolge. In seinem furiosen Abschlussfilm »Oh Boy« etwa entstellte Jan-Ole Gerster das tranige Berlingefühl endlich einmal bis zur Kenntlichkeit. Und in »Wer früher stirbt, ist länger tot« thematisierte Marcus Rosenmüller die großen Fragen nach Sexualität und Tod aus der naiven Sicht eines Kindes witzig und anrührend zugleich.
Die vielleicht schönste Komödie der vergangenen Jahre gelang aber Ali Samadi Ahadi. Jene spezifische Doppelbelichtung, die den Zuschauer in zwei »Vorstellungskreisen« (Freud) bzw. in zwei entgegengesetzten Welten gleichzeitig fühlen lässt, hat der Exiliraner am überzeugendsten verbildlicht. In seinem Film verschmelzen Ost- und Westdeutschland sowie Orient und Okzident in einem einzigen Wortwitz: »Salami Aleikum«. Mit Anna Böger als Anabolika-Opfer des DDR-Leistungssports und dem einen Kopf kleineren Navid Akhavan wird auch das Geschlechterverhältnis vergnüglich aufgemischt. Einen so zärtlichen Blick auf eine Frauenfigur gibt es selten – und in deutschen Komödien schon gar nicht. Vielleicht mit Ausnahme der unterschätzten »Frau Rettich, die Czerni und ich«.
»Fack ju Göhte 2« startet am 10. September ind en deutschen Kinos, die Kritik gibt es hier
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