Kritik zu Extrem laut und unglaublich nah
Stephen Daldrys Verfilmung des bekannten Romans von Jonathan Safran Foer erweist sich als ziemlich kalkulierter Beitrag zum Genre des 9/11-Films. Dabei wurde die Geschichte angenehm verschlankt
Eigentlich hätte dieser Film noch 2011, passend zum zehnten Jahrestag der Terroranschläge vom 11. September herauskommen sollen. Das hat wegen diverser Produktionsbedingungen nicht geklappt. Doch genau dieses Kalkül, den 11. September als Zugpferd für die größtmögliche Wirkung zu benutzen – schon ein Grundübel des Romans – ist schuld daran, dass eine im Kern anrührende Geschichte nicht wirklich trifft, sondern unter inhaltlicher Überfrachtung fast zusammenbricht.
Der Film beginnt damit, dass die Leinwand blau ist, himmelblau. Dann fällt, oder besser schwebt, von rechts oben eine menschliche Figur ins Bild. Es ist ein ikonisches Bild, das hier zitiert wird, ein Bild, das für den 11. September 2001 steht – »Falling Man«, eine Aufnahme des Photographen Richard Drew, der wie viele an jenem Tag die Menschen aufgenommen hatte, die sich in totaler Aussichtslosigkeit aus den Fenstern der World Trade Center Türme warfen. In einer Art selbst auferlegtem Bilderverbot wurden dieses Aufnahmen nach ihrem erstmaligen Erscheinen nie wieder nachgedruckt. Offensichtlich empfand man Scham gegenüber den Menschen, die sich in Verzweiflung in die Tiefe stürzten. Weder für Jonathan Safran Foer, auf dessen gleichnamigen Roman der Film basiert, und der bereits in seinem Buch etliche Photos eines »falling man« verwendet hatte, noch für Stephen Daldry, den Regisseur des Films scheint dieses Bilderverbot jedoch noch zu gelten. Und so verspielt der Film bereits mit den ersten Bildern seine moralische Glaubwürdigkeit.
Wie schon der Roman neigt auch der Film dazu, zu viel erzählen zu wollen. Foer hat in seinem Buch neben dem Asperger Syndrom seines kindlichen Helden, dem posttraumatischen Stress des Großvaters und dem 11. September dann auch noch den Dresdener Feuersturm in den Mix geworfen, und es ist Eric Roth’ Drehbuch zu verdanken, dass dem Film zumindest Letzteres erspart wurde. Im Film geht es »nur« um einen etwas merkwürdigen,´aber ungeheuer interessanten 10-Jährigen, Oskar (Thomas Horn), der sich verschließt, von seiner Mutter (Sandra Bullock) mehr und mehr entfernt und auf eigene Faust auf in die Welt macht – weil er den Verlust des geliebten Vaters (Tom Hanks), der in den Türmen starb, nicht verwinden kann. Die anrührendsten Szenen des ganzen Films sind die, in denen die Geschichte zwischen Oskar und seiner Mutter, die Entfernung, die Verletzungen, das Sehnen und endlich die Annäherung spürbar werden. Die historischen Ereignisse, so dramatisch sie sind, verblassen dagegen.
Trotz der inhaltlichen Überladung bleibt Oskar unbestritten der Held des Films und es ist durchaus faszinierend, die Welt mit seinen Augen zu sehen. Die detailliert ausgearbeiteten Schnitzeljagden, die sein Vater zu Lebzeiten für ihn erfunden hatte, befähigen Oskar nun zu der Entdeckungsreise, die im Zentrum des Filmes steht. Central Park, New York, die Welt sind für Oskar alles nur Systeme, die aus unzähligen Fakten, Zeichen und Symbolen bestehen, die es zu sammeln und dann zu entziffern gilt. Auf seiner »Reise« durch sämtliche Stadtbezirke New Yorks wird er zum Beispiel des archetypischen Helden, der Abenteuer zu bestehen, Ängste zu überwinden und Rückschläge einzustecken hat, ehe er am Ende, geläutert und einsichtig, an den Ausgangspunkt zurückkehren kann.
In den Sachen seines Vaters findet Oskar einen Schlüssel. Mit kindlicher Überzeugung hält er daran fest, dass er das passende Schloss finden muss, um den sinnlosen Tod seines Vaters irgendwie aufheben oder zumindest verstehen zu können. Bewaffnet mit einem unerschöpflichen Vorrat an kuriosen Fakten, tritt er so den verschiedensten Exemplaren der modernen Großstadtbewohner gegenüber. Zu den wirklich sehenswerten Augenblicken des Films gehören die Sequenzen, in denen Oskar der wunderbare Max von Sydow als stummer Begleiter zur Seite gestellt wird.
Oskar dokumentiert seine Suche aufwändig in einem Tagebuch, an dessen Ende eine Art Daumenkino eingeklebt ist. Das zeigt, wie eine kleine Figur, ein »falling man«, Bild für Bild, wieder nach oben steigt, zurück ins Fenster, in den Turm. Es ist der Ausdruck einer kindlichen Phantasie, die Geschichte rückgängig machen zu können – um die man den Jungen schließlich beneidet.
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