Kritik zu Verdammnis
Der zweite Teil der »Millennium«-Verfilmung hat alle Hände voll zu tun, sein Bestsellerpublikum nicht zu enttäuschen. Wer die Größe der zarten Heldin ermessen will, braucht den Einstieg über den ersten Teil »Verblendung«
Sie ist Ende zwanzig, nur 1,50 groß, wiegt knapp 40 Kilo, raucht Kette und ist großflächig tätowiert. Ihr Name ist Lisbeth Salander, und sie – mit überzeugend dunkler Pampigkeit gespielt von Noomi Rapace –, die soziophobe Autistin, geniale Hackerin, bisexuelle Flaneurin, ist so ziemlich die spannendste weibliche Figur, die es seit Sigourney Weavers Ellen Ripley im Kino gegeben hat. Was Lisbeths Ruhm leider ein wenig den Wind aus den Segeln nimmt, ist der Umstand, dass sie die Heldin einer Trilogieverfilmung ist, der man leider die schwere Pflicht ansieht, ein Millionenpublikum aus Bestsellerlesern nicht zu enttäuschen.
Zelebrierte der erste Teil noch elegisch die perversen Abgründe einer Industriellenfamilie, stürzt sich der zweite Teil gleich in komplizierte Verflechtungen, so dass kaum Zeit bleibt, Charakter und Seelenleben der Hauptfiguren (neben Lisbeth der von Michael Nyqvist gespielte Enthüllungsjournalist Mikael Blomkvist) zu entblättern. Aber genau die machen nun einmal die Stärke, die wuchtige Doppelbödigkeit und düstere Magie der erfolgreichen Wälzer aus. Stieg Larsson, der ein Experte für Rechtsradikalismus und als solcher auch Herausgeber und Chefredakteur des schwedischen Magazins »Expo« war, hat sich mit Blomkvist ein überdeutliches Alter Ego geschaffen, schließlich arbeitet Blomkvist bei einem Politmagazin mit Namen »Millennium«, nach dem die Trilogie benannt ist.
Als Larsson, der 2004 an einem Herzinfarkt starb, seine Figuren erfand, fragte er sich: »Was wäre wohl aus Pippi Langstrumpf geworden?« Und er gab sich selbst die Antwort: Sie lebte mit einer mittels ihrer Hackerkünste erbeuteten »Schatzkiste« in einer technisch perfekt ausgestatteten »Villa Kunterbunt«, wäre gepierct wie ein Schlüsselbund und würde allen, die sie bevormunden oder verletzen wollen, gewaltig vors Schienbein treten. Lisbeth eben. Mikael, der im ersten Teil in einer der pragmatischsten Sexszenen der Kinogeschichte als Lisbeths Gelegenheitsliebhaber herhalten muss, wird von ihr als »Kalle Blomkvist« gehänselt. Mit den beiden bindungsgestörten Einzelgängern sind Astrid Lindgrens Helden erwachsen geworden und in einer korrupten und bigotten Welt gelandet.
In »Verdammnis« geht es weitschweifiger, hektischer und grundsätzlicher zu als im ersten Teil. Bis zum Finale in einem Stockholmer Gerichtssaal dauert es eine Mordkette, eine Menge schrecklicher Irrtümer und eine hochkomplizierte Wahrheitsfindung lang, bis ein beträchtlicher Teil der schwedischen Gesellschaft der Beteiligung am Mädchenhandel überführt werden kann. Nur langsam bewegen sich dabei diesmal die Geschichte Lisbeths und die des manisch recherchierenden Blomkvist aufeinander zu. Erst am Ende werden sie einmal in demselben Zimmer sein und kaum ein Wort verlieren. Und es ist wohl gerade ihre stumme Scheu voreinander, in der die ganze Zärtlichkeit liegt, die die beiden angesichts einer durch und durch verdorbenen Welt noch aufbringen können.
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