Kritik zu Nosferatu – Der Untote
Robert Eggers’ Remake beschwört mit düsterer Romantik archaische Ängste herauf und will doch nahe an der Gegenwart sein
Natürlich lassen sich die 1920er und 2020er Jahre nicht einfach gleichsetzen. Wahrscheinlich lassen sie sich nicht einmal so leicht miteinander vergleichen, wie es auf den ersten Blick scheint. Doch es gibt Berührungspunkte wie die Pandemien oder die politischen Erfolge autoritärer, wenn nicht gar faschistischer Bewegungen. Und der russische Angriffskrieg auf die Ukraine beschwört Erinnerungen an ein von Blut getränktes, von Tod und Zerstörung heimgesuchtes Europa herauf.
Die Zeit scheint also erschreckend reif zu sein für ein erneutes Remake von »Nosferatu – Eine Symphonie des Grauens«, Friedrich Wilhelm Murnaus Klassiker des expressionistischen Kinos der Weimarer Republik. 1922 war es, als hielte diese inoffizielle Adaption von Bram Stokers Roman »Dracula« ihrem Publikum einen Spiegel vor, in dem es sich und seine tief sitzenden Ängste angesichts des Ersten Weltkriegs, der Spanischen Grippe und der politischen Unruhen wiedererkennen konnte.
Einem solchen Spiegel gleicht auch Robert Eggers' »Nosferatu – Der Untote«, und das, was in ihm kenntlich wird, ist doppelt verstörend. Zu Beginn etabliert der Film ein übernatürliches und doch psychologisch grundiertes Band zwischen dem von Bill Skarsgård gespielten Vampir Graf Orlok und Lily-Rose Depps Ellen Hutter, die er in ihren Träumen heimsucht. Eine immense Sehnsucht erfüllt Ellen ebenso wie die Bilder ihres sich nach etwas Namenlosen verzehrenden Körpers.
Es könnte eine Sehnsucht nach Nähe und Liebe sein. Aber in den düsteren, von der Schwarzen Romantik geprägten Einstellungen des Films nistet immer auch ein Todeswunsch. Diese beinahe rauschhafte Todessehnsucht wird im Lauf der Erzählung immer übermächtiger und gipfelt schließlich in jenen Szenen, in denen die Pest im fiktiven Wisborg wütet. In ihnen steigert sich Jarin Blaschkes Kamera in ein wahres Delirium des Verfalls und des Sterbens.
Robert Eggers bleibt nah an Murnaus Original. Wie damals ist es auch hier der Ruf des Geldes, der den Immobilienmakler Hutter (Nicholas Hoult) dazu verleitet, seine Frau Ellen für eine Reise nach Transsilvanien zu verlassen. Eine Reise, die ihn zu Graf Orlok bringt und diesen schließlich nach Wisborg führen wird. Eggers setzt allerdings etwas andere Akzente und rückt damit seine Version des Stoffs näher an unsere Gegenwart.
So wird aus dem Wissenschaftler Bulwer, den die Titelkarten in Murnaus Film als »Paracelsianer« ausweisen, der Alchimist Prof. Albin Eberhart von Franz. Willem Dafoe spielt ihn als eine Art Double des Grafen Orlok. Wie der Graf ist auch er ein Manipulator und Verführer, der die Welt zurück in eine Zeit vor der Aufklärung führen will. Sie sind zwar Gegenspieler, aber letztlich arbeiten der Vampir und sein Jäger Hand in Hand an der Zerstörung einer offenen, den Wissenschaften zugeneigten Gesellschaft. Wenn Dafoe im fast schon wagnerianischen Finale alles im Mausoleum der Reederfamilie Harding in Brand setzt, wird aus dem Propheten des Aberglaubens und der Angst eine Art Messias der Vernichtung, der nicht nur Feuer an die Leichen einiger Pesttoter legt, sondern die ganze Welt in Brand setzen will.
Ähnlich radikal ist auch Robert Eggers' Deutung der Figur der Ellen Hutter. Im Original ist sie das »gar sündlos Weyb«, das den »Vampyre den ersten Schrey des Hahnen vergessen« lässt. Sie opfert sich und ihr Leben und erlöst so Wisborg und die Menschheit von dem Vampir und der Pest, die er mit sich gebracht hat. Lily-Rose Depps Ellen wird zwar auch zur Erlöserfigur, aber sie ist kein »gar sündlos Weyb«. Im Gegenteil, sie ist es, die als Jugendliche durch ihr Begehren erst den Vampir zu neuem Leben erweckt hat. Wie einst Eva begeht sie eine Ursünde, die das Böse überhaupt erst in die Welt bringt. Damit ist Eggers' Film zum Schaudern nah an den frauenfeindlichen Vorstellungen, die Donald Trump und sein politisches Umfeld gerade in den Vereinigten Staaten mehr als nur hoffähig machen.
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