Interview: Chris Columbus über »Nosferatu«

Produzent Chris Columbus und Regisseur Robert Eggers am Set von »Nosferatu – Der Untote« (2024). © Focus Features

Produzent Chris Columbus und Regisseur Robert Eggers am Set von »Nosferatu – Der Untote« (2024). © Focus Features

Mr. Columbus, nach einer langen und erfolgreichen Karriere als Regisseur, unter anderem mit Blockbustern wie »Kevin – allein zu Haus« und den ersten beiden »Harry Potter«-Filmen, sind Sie seit längerem auch als Produzent tätig. Bei »Nosferatu« arbeiteten bereits zum vierten Mal mit Robert Eggers zusammen. Wie haben Sie sich kennengelernt?

Ich besitze eine kleine unabhängige Produktionsgesellschaft mit Namen Maiden Voyage. Die besteht mittlerweile seit zehn Jahren – damals war es meine Idee, Erstlingsfilmemachern dabei zu helfen, ihren Traum zu verwirklichen. Ich wollte mit Regisseuren arbeiten, die vielleicht nicht dieselben Filme machen wie ich, aber ich habe eine große Liebe zu allen möglichen Filmgenres und zur Filmgeschichte. Mich interessierten Regisseure, die eine eigene Vision haben. Wir haben alle möglichen Filme in den verschiedensten Genres produziert, »The Witch« war 2015 einer unser frühesten. Robert und ich wurden Freunde. Wenn ich mich richtig erinnere, war das erste, was uns verband, die gemeinsame Liebe zu den Horrorfilmen, die die britische Produktionsfirma Hammer seit Ende der fünfziger Jahre gemacht hatte. 

Unsere Firma fungierte auch bei seinem Nachfolgefilm »The Lighthouse« als Executive Producer. Damals sprachen wir zum ersten Mal über »Nosferatu« – das war sein großer Traum. Wir verbrachten sechs Jahre damit, den Stoff zu entwickeln, schließlich bekamen wir die Zusage von Focus Features. Bei den meisten Filmen, bei denen Maiden Voyage als Produzent oder Executive Producer engagiert war, waren wir für einige Wochen anwesend, aber nicht für die komplette Produktionszeit. Rob sagte zu meiner Tochter Eleanor, die meine Produktionspartnerin in der Firma ist, er hätte gerne, dass wir die ganze Zeit während des Drehs am Set anwesend sind. Nachdem wir sechs Jahre mit der Planung verbracht hatte, war das nicht so ungewöhnlich. Also legte ich in meiner eigenen Regiekarriere eine Pause ein, siedelte nach Prag über und machte praktisch nichts anderes mehr. Das war eine wirklich lohnende Erfahrung, denn das Spannende bei dieser Produktionsfirma ist es, jungen Filmemachern dabei zuzuschauen, wie sie einen Film angehen. Roberts Stil ist vollkommen anders als meiner, aber ihm zuzuschauen inspiriert mich. Als ich danach meinen nächsten eigenen Film inszenierte (den ich gerade fertiggestellt habe), habe ich einiges davon angewendet. Das eigene Älterwerden kann bei Filmemachern oft dazu führen, dass sich ihre Perspektive verengt – das führt dann oft dazu, dass sie weniger interessante Filme machen als in ihren jüngeren Jahren. Um dies zu vermeiden, sauge ich fortwährend Inspirationen von jüngeren Filmemachern auf. 

Wurden Sie für »The Witch« von der Produktionsfirma A24 kontaktiert?

Nein, Robert und ich haben denselben Agenten. Das war der dritte Film unserer Firma, wir kamen erst in der Postproduktion hinzu, als Rob Hilfe bei der Fertigstellung benötigte. Bei »The Lighthouse« fungierten wir ebenfalls als Executive Producers, beim nachfolgenden »The Northman« war ich Creative Consultant: während Rob in England war, vertrat ich seine Interessen im Rahmen von Previews und Industrie-Vorführungen in Los Angeles. Als es dann zu »Nosferatu« kam, begriff ich, dass hier unsere persönliche Anwesenheit gefragt war. 

Führte die Tatsache, dass »The Northman« an den Kinokassen hinter den Erwartungen zurückblieb, dazu, dass das Projekt auf der Kippe stand, dass es Probleme mit der Finanzierung gab?

Nein, das war nie eine Frage, denn diejenigen, die »The Northman« gesehen hatten, bewundern den Film. Focus verstand Robs Vision. Wenn ein Studio Rob Anmerkungen zu einem Drehbuch gibt, wird er denen nicht zustimmen, wenn er davon nicht hundertprozentig überzeugt ist. Rob hat eine Vision, das bewundere ich. Focus sagte, »wir geben Dir soundsoviel Geld um den Film zu machen – mach den Film!« Sie unterstützten ihn die ganze Zeit. 

Gab es Previews des Films, die zu Änderungen führten?

Es gab kleinere Änderungen, aber die waren nicht Resultat der Previews. Ich habe einige Zeit mit Rob im Schneideraum verbracht, vielleicht ist da eine Szene weggefallen, die war weniger als zwei Minuten lang. Was den Film drastisch verändert hat, war die Hinzufügung des Tons und der Musik. Die heben das Filmerlebnis auf eine ganz neue Ebene.

Ist Robert Eggers jemand, der seinen Film in einem bestimmten Moment loslassen kann? Kann er sagen, obwohl es noch drei Monate bis zur Premiere sind, bin ich zufrieden mit dem, was wir gemacht haben. Es soll ja schon vorgekommen sein, dass ein Regisseur am Tage der Premiere noch Hand angelegt hat...

Wenn man ihm drei zusätzliche Monate geben würde, wäre er sicherlich jemand, der das ausnutzen würde. Aber er ist sehr pragmatisch, wenn er weiß, dass er eine bestimmte Deadline einhalten muss. Aber ihm ist schon wichtig, dass alles perfekt ist – in seinem Kopf. Hätte er ein Jahr mehr Zeit gehabt, würde er sicher noch an »Nosferatu« arbeiten. Aber mit Deadlines kann er verdammt gut umgehen.

Was genau haben Sie in Prag gemacht während der dreimonatigen Drehzeit?

Wir waren insgesamt acht Monate dort, schon während der Preproduction und beim Casting. Von Drehbeginn an waren wir jedem Tag am Set, das ist etwas, was ich normalerweise nicht mache – aber Rob legt auf die Zusammenarbeit mit seinem Produzenten ebenso viel Wert wie auf die mit seinem Kameramann und seinem Set Designer. Das heißt, nach jeder Einstellung standen wir alle zusammen und sprachen darüber. Das war für mich als Produzent sehr wohltuend, denn normalerweise werden Produzenten in den Hintergrund gedrängt – als Regisseur bin ich auch nicht begeistert, wenn Produzenten sich beim Dreh einmischen. Aber Rob hat uns eingeladen, dabei zu sein, das war äußerst kreativ.

Aber es gab möglicherweise auch Momente der Nichtübereinstimmung, wo sie etwas ausdiskutieren mussten?

Natürlich gab es Diskussionen, aber nie in dem Maße, dass es zu zornigen Auseinandersetzungen führte. Jeder war da für den Film, es ging nicht um das Ego von Einzelnen. Es gab natürlich kleinere Meinungsverschiedenheiten, aber die gingen nie so weit, dass jemand den Eindruck hatte, das Ganze könne nicht funktionieren. Viel drehte sich dabei um Orloks Dialog – können wir bestimmte Sachen verstehen, was er sagt? 

Wenn ich bei meinen eigenen Filmen morgens die Schauspieler am Drehort treffe, ist es mir wichtig, dass jeder sich wohlfühlt – bei Rob ist das Storyboard die Bibel, er und sein Kameramann Jarin Blaschke verbringen Monate damit, das genau auszuarbeiten. Wenn sie dann also morgens ans Set kommen, ist alles schon ausprobiert und die Schauspieler müssen da stehen, wo es die Kamera ihnen diktiert. Das ist eine andere Arbeitsmethode, aber genau deshalb ist der Film visuell so eindrucksvoll. Die Schauspieler verstehen, was für eine Art von Film das ist. 

Die Schauspieler hatten aber schon Zeit zu proben?

Oh ja, zwei bis drei Wochen.

Er hatte zwei Schauspieler, Willem Dafoe und Ralph Ineson, mit denen er zuvor schon gearbeitet hatte, die deshalb mit seiner Arbeitsweise vertraut waren. War das für die Neuankömmlinge manchmal schwer, sich darauf einzustellen?

Nein, das konnte er ihnen bei den Proben vermitteln. Bei Drehbeginn wussten sie also, wie seine Idee des Films war und was von ihnen erwartet wurde. 

Regisseure haben mir mehrfach berichtet, dass sie nicht genügend Zeit für Proben hatten, weil entweder das Budget dafür nicht ausreichte oder aber weil Schauspieler unmittelbar von einem anderen Dreh kamen...

Das kann vorkommen, manchmal glaubt man, man habe einen Schauspieler zur Verfügung und dann muss der zu Nachaufnahmen seines vorherigen Films antreten. Das war ein kleines Problem für uns, aber überwiegend hatte Rob die Darsteller zur Verfügung, wenn er sie benötigte.

Was waren für Sie im Rückblick die größten Herausforderungen bei diesem Film?

Ich würde sagen, die hatten mit dem Budget zu tun. Deshalb haben wir den Film in Prag gedreht. Mit Ausnahme von Außenansichten von Schlössern gibt es nicht viele dieser Locations, deshalb mussten wir das meiste bauen – und das musste zu den realen Locations passen. Rob ist es sehr wichtig, dass die Sets real wirken, dass sie historisch korrekt sind. Und das war die Herausforderung: mit unserem Budget diesen look hinzubekommen.

Kam es je vor, dass Sie beim Dreh einer Szene feststellen mussten, sie ließ sich nicht so realisieren, wie es vorgesehen war – etwa im Hinblick auf Sets und Kameraarbeit? Mussten Sie je nach einer Alternative suchen?

Rob dreht 99% des Films mit einem Kamerakran, das erfordert äußerst präzise Vorbereitung. Technische Probleme gab es deshalb nicht. Was die Arbeit der Schauspieler anbelangt, sah er manchmal etwas anderes – wo ich eine Darstellung als großartig empfand, wollte er etwas anderes, und ließ die Szene so oft wiederholen, bis er es hatte. Das war faszinierend anzusehen. Wenn er 25 Einstellungen von einer Szene drehte, sagte ich bei Einstellung 18 'brilliant', aber er brauchte etwas anderes. Dieses Streben nach Perfektion war faszinierend anzuschauen.

Wie viele Takes hat er durchschnittlich gedreht?

Ich würde sagen: zwölf – nur selten mehr als zwanzig.

Sie haben eingangs erwähnt, dass einige der Erfahrungen die Sie bei »Nosferatu« gemacht haben, in Ihren eigenen Film eingeflossen sind. Handelt es sich dabei um »Gremlins 3«?

Nein, an dem arbeitete ich gerade. Der Film, den ich als Regisseur nach »Nosferatu« gemacht habe, trägt den Titel »Thursday Murder Club« mit Helen Mirren, Sir Ben Kingsley und Pierce Brosnan. Den habe ich in London gedreht. Bei »Nosferatu« gab es eine Szene, wo Rob einen Kran in einem Schlafzimmer hatte – ein sehr enger Raum, ich fand das verrückt und wir benötigten dann auch Stunden, bis wir das im Kasten hatte. Bei meinem eigenen Film hatte ich ebenfalls eine Szene in einem engem Raum, wo ich einen Kran einsetzen wollte. Ich sagte, »ich habe das bei »Nosferatu« erlebt und war dagegen – es funktionierte, probieren wir es aus.« Man nimmt sich von anderen Filmen, was man gebrauchen kann und fügt es mit seiner eigenen Arbeitsweise zusammen. Ich wünschte mir, jeder Regisseur hätte die Möglichkeit, an einem bestimmten Punkt aufzuhören, so zu arbeiten, wie er es gewohnt ist und sich stattdessen anschauen, was jemand macht, der eine ganz andere Arbeitsweise hat – das inspiriert einen total. 

Gibt es noch anderes, das Sie aus Ihren Erfahrungen als Produzent zahlreicher Independent Movies gewonnen haben – Sie haben Ihre Regiekarriere ja noch nicht beendet.

Das läuft darauf hinaus, dass man sieht, was einige dieser Filmemacher mit ganz wenig Geld erschaffen, Wir haben zum Beispiel einen Film mit dem Titel »Menashe« produziert, der in der chassidischen Community von Brooklyn angesiedelt war. Das hat vier Jahre gedauert, weil den Filmemachern die Drehgenehmigung verweigert wurde. Sie schmuggelten Kameras rein und drehten an den Wochenenden, Ich werde das in meinem nächsten Film sicherlich nicht genauso machen, aber man erkennt, wo die eigenen Selbstbeschränkungen liegen. Wenn man älter wird und mehr Geld für seine Filme bekommt, besteht immer die Gefahr, dass man fett, träge und selbstgenügsam wird. Und wenn man dann sieht, wie Filmemacher mit minimalen Budgets großartige Filme erschaffen, so wie Rob, der »The Witch« für 1,8 Millionen Dollar gedreht hat, dann inspiriert einen das. Bei »Thursday Murder Club« hatten wir trotz der prominenten Besetzung im Vergleich zu »Nosferatu« ein Budget, das um 5 Millionen Dollar niedriger war.

Haben Sie je erwogen, einen komplett unabhängigen Film zu machen?

Das ist ein Luxus, den man sich leisten kann, wenn man anfängt. Aber wenn man erst einmal die Karriereleiter erklommen hat, wird einem davon abgeraten. Das ist dann wirklich schwierig durchzusetzen.

Barry Levinson hat es einmal gemacht mit »The Bay«, einem kleinen Horrorfilm...

Der ist vollkommen an mir vorüber gegangen. Ich werde ihn mir ansehen. Ich habe mir mal überlegt, ob ich so etwas unter einem anderen Namen machen könnte. Aber sobald Gewerkschaftsmitglieder beteiligt sind, fällt das in sich zusammen.

Sie haben erwähnt, dass die meisten Filme von Maiden Voyage Regiedebüts sind: wie kommen Sie in Kontakt mit den Filmemachern? Sprechen Produktionsfirmen Sie an?

Nachdem wir damit angefangen hatten, verbreitete sich diese Information in Hollywood. Besonders Agenten, die Debütanten zu ihren Klienten zählten, traten in Kontakt mit uns. Wir haben ein sehr strenges Regelsystem, wie wir diesen Regisseuren helfen. Zuerst einmal muss das Drehbuch toll sein. Die Filmemacher müssen ein klares Konzept hinsichtlich ihres Regiestils haben, Wir würden nie einen Erstlingsregisseur unterstützen, der nicht zuvor mit einem Kurzfilm sein Talent unter Beweis gestellt hat. Dieser Kurzfilm sollte sowohl einen visuellen Stil aufweisen als auch zeigen, dass er oder sie Schauspieler inszenieren kann. Das dritte ist die Persönlichkeit: eine schüchterne Person kann nicht als Regisseur funktionieren – sie muss schon wissen, was sie will und das am Set durchsetzen können. 

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