Die Stadt stand auf ihrer Seite

Gestern, pünktlich zum Beginn der Polnischen Filmwoche in Berlin und Potsdam, erklärte mir meine Freundin Jagoda, was es mit der „Stunde W“ auf sich hat. So wird der Moment des Aufstandsbeginns genannt, dessen alljährlich am 1. August um 17 Uhr gedacht wird. Sirenen heulen und für einen Moment steht das Leben still. Das "W" steht für "wybuch", den Ausbruch des Aufstandes, erklärte mir Jagoda, und im übertragenen Sinne auch für die Stadt.

Im letzten Monat jährte sich dieser Moment zum 80. Mal. Aus diesem Anlass zeigt die Filmwoche ein kleines Programm (https://www.dhm.de/zeughauskino/filmreihe/himmel-aus-stein/), das in Berlin noch bis zum 7. Oktober läuft. Der fabelhaft anschauliche Titel lehnt sich an einen der Filme an, »Der steinerne Himmel« von Ewa Petelska und Czesław Petelski (1959). Jagoda ist viel neugieriger auf die neuen Produktionen, die gezeigt werden. Es geht ihr gegen den Strich, wie die PiS-Partei das Gedenken in den letzten Jahrzehnten kaperte und die Formel des "sich von den Knien wieder erheben" ideologisch instrumentalisierte. Die ist glücklicherweise inzwischen abgewählt und es besteht die Hoffnung, dass an Stelle des nationalistischen Geistes ein patriotischer tritt. Werden die Filme diese Unterscheidung vorwegnehmen?

Für mich hatte die Erinnerung an den Aufstand stets einen sentimental demokratischen Zug: Willy Brandts Kniefall vor dem großen Denkmal im Warschauer Zentrum gehört zu den großen Gesten, zu denen die bundesrepublikanische Nachkriegspolitik überhaupt fähig war. 2018 habe ich Warschau besucht und entdeckt, wie sehr sich die Erinnerungskultur in das Stadtbild des Zentrums eingeprägt hat. In Krakau hatte mich erstaunt, wie klein das dortige Ghetto gewesen war – nicht größer als ein, zwei Felder -, der Aufstand jedoch erfasste weite Teile der Innenstadt: ein riesiges Stück Urbanität. Aus den Kino war mir die Szenerie zuvörderst dank Polanskis »Der Pianist« und Andrzej Wajdas „Kanal“ vertraut. Letzteren sah ich vor einigen Jahren, als ich über einen Reihe mit Partisanenfilmen schrieb. »Kanal« lässt den schwermütigen Aspekt des Partisanenkinos greifbar werden, das davon erzählt, wie einem das eigene Land fremd wird. Die vertraute Umgebung ist verheert, dörfliche und städtische Gemeinschaften sind zerstört. Das eigene Terrain muss mit einem Mal strategisch definiert werden. Die Kämpfer sind, wie bereits der brillante Auftakt von Wajdas Film klarstellt, Todgeweihte. Die Rote Armee, auf die sich große Hoffnungen richteten, bleibt bei Wajda unsichtbar. Den verzweifelten Blick auf das andere Ufer der Weichsel wird das polnische Publikum 1956 aber in aller Tragweite verstanden haben: Dort verharrten die sowjetische Truppen, denn Stalin zog es vor, die Heimatarmee ausbluten zu lassen. Sie führte ja keinen kommunistischen Krieg.

Während das Stadtzentrum sowie weitere umkämpfte Viertel wie Wola von den Nazis komplett zerstört wurden, blieb Praga auf der anderen Weichseite unversehrt; eben dank der Präsenz der Sowjetarmee. Dort fanden Polanski und sein Szenenbildner, der große Allan Starki (den Film Polska mit einer kleinen Ausstellung im Kulturinstitut feiert), noch authentische Straßenzüge vor, in denen sie drehen konnten.

Bis zum Zerfall der Sowjetunion herrschte in der Kinematographie des Satellitenstaates noch eine Beißhemmung, Stalins kaltblütiges Taktieren wird nicht erwähnt. (Zumindest nicht in den Filmen, die ich bisher gesehen habe.) Ohnehin habe ich den Eindruck, dass das Thema eher umkreist wird. Der Eröffnungsfilm »Die Rückkehr« von Jerzy Passendorfer handelt 1960 von einem Heimkehrer, der seine alten Ideale verraten sieht. In »Eroica – Eine Heldensymphonie in zwei Teilen« von Andrzej Munk (1957) findet der Aufstand in der Ferne statt und ist Warschau gleichsam eine Tangente der Handlung. Den Titel darf man sarkastisch lesen, im Mittelpunkt der ersten Episode steht ein hasenfüßiger Etappenheld; in der zweite spielt in einem Gefangenenlager, in dem Überlebende des 63 Tage dauernden Kampfes eingepfercht sind. Passendorfer hat kurz vor »Die Rückkehr« einen Film über die Widerstandsbewegung gedreht, »Zamach« (»Attentat«, der internationale Titel lautet »Answer to violence«, wahlweise auch »Assault«). Er läuft nicht in der Reihe, weil er vor dem Aufstand spielt und ein Attentat auf den SS-Kommandanten Warschaus dramatisiert. Ich erwähne den gut geölten Thriller (zupackend realistisch fotografiert von Jerzy Lipman), weil er einerseits 1959 mit fast vier Millionen verkauften Kinokarten einen enormen, bezeichnenden Kassenerfolg feierte. Zum anderen vermittelt er einen genauen Eindruck von dem Rückhalt, den die Widerstandsbewegung in der Bevölkerung hat. Warschau ist glücklich und stolz nach dem Attentat, das neue Hoffnung in die Stadt getragen hat. Ohne ihn trüge der Eintrag zweifellos eine andere Überschrift.

»Der steinerne Himmel« schildert den Aufstand weniger aus der Sicht der Kämpfenden, sondern nimmt die Perspektive der Zivilbevölkerung ein. Auf Dailymotion.com gibt es eine miserable Fernsehaufzeichnung, der immerhin anzumerken ist, dass die Schwarzweißdramaturgie expressiv mit dem Dunkel arbeitet. Das Stimmungsbild, das Petelsa/Petelski zeichnen, weist überraschende Zwischentöne fehlender Solidarität auf. Jeder ist auf sich gestellt und nimmt sich, was zum Überleben dient.

In der zivilen Perspektive nimmt »Der steinerne Himmel« ein wenig »Der Pianist« vorweg, ebenso klaustrophobisch, nur in anderer Tonart. Der Blickwinkel des in wechselnden Verstecken ausharrenden Adrian Brody vermittelt in Polanskis Film ein wirkliches Gefühl für die Dauer des Aufstandes. Die große Überraschung, der größte Schock meiner kleinen Vorschau war »Warschau 44« von Jan Komasa, der einige Zeit später den großartigen »Corpus Cristi« drehte. (Ich wurde gerade darauf hingewiesen, dass dies eine falsche Spur ist:: In der Retro läuft Komasas Dokumentarfilm über Warschau 44 - aber da der Spielfilm so interessant ist, habe ich den Text nicht mehr geändert). Komasa rockt den Aufstand. So müsste man sich in etwa einen Kriegsfilm von Baz Luhrman vorstellen:, rauschhaft unverantwortlich, mit Karacho, Musicaleinlagen und anfangs großer Ausgelassenheit. Eingangs ist alles noch ein Spiel für den jungen Helden, der sich von seiner Mutter und dem kleinen Bruder immer mit einer hübschen Chaplin-Imitation verabschiedet. Der Szenerie der Stadt eignet zunächst eine pastorale, sommerliche Unbestimmtheit; der jugendliche Übermut legt sich längst noch nicht, als der Protagonist in Wola der Heimatarmee beitritt. Komasa hat einen wahren Gestaltwandler gedreht, der sich anfangs wie ein geschmeidiger Hollywoodfilm gibt und zwischendrin, in den Kanalszenen, kurz ins Horrorgenre überwechselt. Wie vor 1989 wird noch auf das Anrücken der Sowjettruppen gehofft. Einmal sind deren Panzer am anderen Weichselufer zu sehen, bevor die Deutschen eine Brücke sprengen. Aber sie hatten ja sowieso nicht vor, zu kommen.

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