Menschenfreundlicher Apokalyptiker
Hollywoodstudios stellt man sich gemeinhin nicht als Bastionen der Basisdemokratie vor. Aber Ende der 80er Jahre veranstaltete 20th Century Fox eine Umfrage unter ihren Angestellten, welchen Stoff sie gern einmal auf der Leinwand sehen wollten. Ein Vorschlag erhielt die mit Abstand meisten Stimmen: ein „Frankenstein“ in der Regie von Roger Corman.
Er hatte das Publikum bis dahin schon mit diversen Monstren terrorisiert, Riesen-Krabben, Wespenfrauen, marodierenden Außerirdischen und psychopathischen Gangstern. Aber ein waschechter „Frankenstein“ fehlte noch in seinem Portfolio. Obwohl Corman zu diesem Zeitpunkt seit fast zwei Jahrzehnten selbst nicht mehr Regie geführt hatte, nahm er das Angebot an. Der Film setzte seiner Karriere kein Glanzlicht auf. Aber das Votum zeigte, welch legendären Ruf er in Hollywood besaß. Nicht wenige der Abstimmenden verdankten diesem großen Ermöglicher ihren Einstieg ins Filmgeschäft. Zwei Kinos in Hamburg erweisen dem im Mai im gesegneten Alter von 98 Jahren verstorbenen Regisseur nun ihre Reverenz, das B-Movie in St. Pauli und das Metropolis. Die kleinen Filmreihen ergänzen sich gut. In beiden Häuser laufen jeweils ein, zwei seiner legendären Edgar-Allen- Poe-Verfilmungen; das eine zeigt „The Trip“, das andere „The Wild Angels“; im Metropolis lässt sich überprüfen, ob ich mit meiner damaligen Einschätzung von „Frankenstein Unbound“ richtig lag; das B-Movie wiederum stellt ihn auch als Produzenten von Penelope Sheeris' „Suburbia“ vor.
Als Corman vierzehn war, zog seine Familie von Detroit nach Beverly Hills um. Der junge Roger konnte sich nicht daran erinnern, in seiner Geburtsstadt einen einzigen Schuldkameraden gehabt zu haben, der aus einer reichen Familie kam. Sie stammten, wie er selbst, meist aus dem Mittelstand. An der Beverly Hills High School war das anders. Einige seiner Mitschüler trugen sogar berühmte Namen wie Goldwyn, Warner oder Zukor. Er selbst interessierte sich damals zwar mehr für Naturwissenschaften (besonders Mathematik), hörte aber gebannt zu, wenn sie Geschichten über das Filmgeschäft erzählten. Es fällt nicht schwer, darin die Initialzündung seiner späteren Karriere zu erkennen; immerhin eröffnet er seine Autobiographie „How I made a hundred movies in Hollywood and never lost a dime“ mit dieser frühen Erinnerung.
Er war ein Außenseiter, der aber doch dazugehörte. Als Produzent sollte sein Name einen nicht ganz so hochmögenden Klang haben wie der der großen Studiogründer. Seine frühen Exploitation-Filme kosteten wahrscheinlich weniger, als die Warners oder Goldwyns für einen Kindergeburtstag ausgaben. „Frankenstein Unbound“ fiel auch deshalb enttäuschend aus, weil Corman ungern für die mächtigen Majors arbeitete und mit großen Budgets nicht gut zurechtkam. Als unabhängiger Produzent war er es gewohnt, jeden Dollar zweimal umzudrehen. Mit dem Geld, das die Fox 1966 bei ihrer erster Zusammenarbeit, „The St. Valentine's Day's Massacre“, für Kränze in den zahlreichen Beerdigungsszenen ausgab, hätte er wohl einen kompletten Film gedreht.
Bei seiner ersten Regiearbeit war er schon nach einem Drehtag in Verzug geraten. Das sollte ihm nie wieder passieren. In seinen besten Zeiten drehte er sieben Filme im Jahr. Beim Dreh von „A Little Shop of Horrors“ absolvierte er 1960 ein Pensum von 50 Drehbuchseiten am Tag. Wenn ein Stoff einen entlegenen Drehort erforderte, erwartete er von seinen Teams, dass sie dort gleich zwei Filme zum Preis von einem drehten. Oft warfen sie schon in der ersten Woche Gewinn ab.
Sein Geschäftsmodell zielte anfangs auf die Drive-In-Kinos, später auf den Videomarkt. Bei ihm kehrt das Kino zu seinen Anfängen als Jahrmarktattraktion zurück. Ein zugkräftiger Titel und ein Plakat, das Sex, Gewalt und Grauen in Aussicht stellt, waren da stets bessere Verkaufsargumente als die eigentliche Handlung. Tatsächlich sind die Titel oft das Beste daran. Seine Autoren hatten meist nur sie als Anhaltspunkt für die Bücher, die sie in Windeseile für ihn schreiben mussten. Einige sind unwiderstehlich: „The Beast with a Million Eyes“, „Teenage Caveman“, „She-Gods of Shark Reef“ oder „Attack of the Giant Leeches“. Er wusste stets, dass es noch eine andere Art von Kino gibt. Mit „The Intruder“ wagte er sich 1961 an ein gestochen scharfes, rabiat montiertes Sittenbild vom Rassenhass in den Südstaaten. Es wurde sein erster Misserfolg.
Es ist verlockend, in ihm eher ein Phänomen als einen Filmemacher von hohen Graden zu sehen. Die über 50 Filme, die er selbst inszenierte und rund 400, die er produzierte, ermutigen auf Anhieb nicht zur Stilanalyse. Die Suche nach einer eigenen Handschrift lohnt dennoch. Von der britischen und französischen Kritik wurde er früh entdeckt. In der „New York Times“ hingegen erschien die erste Rezension zu seinem 28. Film „House of Usher“ (Die Verfluchten), mit dem er seinen Poe-Zyklus eröffnete. Darin entlockt er der Kamera eine elegante Entschlossenheit und treibt ein raffiniertes Spiel mit pulsierenden Licht- und Farbeffekten. Die sehr freien Adaptionen tragen sich in abgestorbenen Landschaften zu, werden bevölkert von einem Bestiarium der Todgeweihten, in deren Zentrum meist die exquisite Verderbtheit von Vincent Price steht. In „House of Usher“ ist er Bedrohter und Bedrohung zugleich. Das Dekor selbst ist ein Agent des Fluchs, es zersetzt sich im gleichen Takt wie die neurasthenischen Figuren. Viel Handlung braucht der Film nicht, Les Baxters Musik und Floyd Crosbys Kamera schaffen Atmosphäre genug. Somit verdichtet sich in der stickigen Studioluft Cormans Faible für Untergangsszenarien. Die Schöpfung setzt er in seinen Filmen höchst einfallsreichen Plagen aus; viele von ihnen tragen das Weltende schon im Titel.
Die Gesellschaft ist bei ihm stets vom Chaos bedroht. Das muss nicht schlecht sein. Seine Exploitation-Filme sind schwefelhaft, spekulieren mit dem Skandalösen. Die Zensur hatte viel zu bemängeln. Die Werbetrailer warnten zwar vor dem Sittenverfall der Jugend, die Filme selbst fanden indes ein unverblümtes Vergnügen daran. Teenager waren sein hauptsächliches Publikum. Sein Bikerfilm „ The Wild Angels“ war 1966 der erste Filmhit der Gegenkultur. Da gibt es keine Rückprojektionen mehr wie in „The Wild One“ mit Brando - Corman brauchte Hauptdarsteller, die tatsächlich ein Motorrad fahren konnten. Die kalifornischen Hell's Angels wirkten als Berater und Kleindarsteller mit, verklagten ihn später aber wegen Rufschädigung. Beim Wiedersehen kamen mir die Biker tatsächlich wie ziemliche Bestien vor; nicht nur wegen ihrer Hakenkreuzfahnen und Stahlhelme. Im Radio hört man derweil schlimme Nachrichten aus Vietnam.
Meist jagte er Trends hinterher, setzte aber auch eigene. Bestimmt hatte er bei den Hammer-Produktionen studiert, dass Horror auch in kräftigen Farben funktioniert, bevor er mit Poe anfing. Mit „Bloody Mama“ versuchte er, an den Erfolg von „Bonnie & Clyde“ anzuknüpfen. Mit der LSD-Phantasie „The Trip“, die kurzfristig wieder aus dem Wettbewerb von Cannes ausgeladen wurde, bewies er seinen zuverlässigen Instinkt dafür, was in der Luft lag. Es ist ein waschechter Experimentalfilm, eine psychedelische Entfesselung der Kamera voller bizarrer Effekte. Jack Nicholsons Drehbuch macht dem Titel alle Ehre, denn seine Dramaturgie folgt präzise dem Wahrnehmungswechsel während des Rausches (vermute ich mal, kann nicht aus Erfahrung sprechen) und taucht behände in ihn ein und und wieder aus ihm auf. In diesem Taumel wird zweifellos einiges aus dem Fundus der Poe-Filme wiederverwertet, aber ebenso wie „The Wild Angels“ verrät „The Trip“ auch ein pragmatisches Gespür für südkalifornische Schauplätze. Das Drehbuch erweist sich unterdessen als hoch moralisch, der Freiheit der Sitten, die Peter Fonda entdeckt, ist ein tiefes, durchaus bürgerliches Schuldgefühl eingeschrieben. „You're stoned“, herrscht ihn die Kellnerin Luana Anders an, „Is the real world not good enough for you guys?“
Die Zukunft hatte der menschenfreundliche Apokalyptiker stets im Blick. Die Studios, die er gründete, trugen so optimistische Namen wie „New World“ und „Horizon“. Wann immer ein junger Filmstudent sich bei ihm für einen Hungerlohn verdingen wollte, empfing er ihn mit offenen Armen. In den 60ern gab er Coppola, Nicholson, Scorsese und Robert Towne ihre erste Chance, später dann Jonathan Demme, Ron Howard, John Sayles und James Cameron. In der „Roger Corman Film School“ lernten sie mehr über das Filmemachen als an der Universität. Natürlich hatte der Fließbandproduzent keine Zeit, ihnen lange Vorträge zu halten. Er bevorzugte das Prinzip des on the job training. Bei „The Wild Angels“ fungierte Peter Bogdanovich als Regieassistent und Monte Hellman zeichnete für den Schnitt verantwortlich. Was für eine begnadeter Pädagoge übrigens in ihm steckte, kann man auf Youtube entdecken. Wie dieser gelehrige Meister beispielsweise die Odessa-Treppen-Sequenz in Eisensteins „Potemkin“ analysiert, ist eine glänzende Lektion in Schnitttechnik.
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