Kritik zu Cold Blood – Kein Ausweg. Keine Gnade.
Seit »Die Siebtelbauern« hat Stefan Ruzowitzky zuweilen bewiesen, dass er ein gutes Händchen für Ensemblefilme hat. Seine erste Regiearbeit in den USA ist ein beachtlicher Genrefilm, der rabiat an der Familienzusammenführung arbeitet
Dem arglosen Polizisten bleibt keine Zeit für ein letztes Wort. Sein Mörder ist in zu großer Eile. »Sir, können Sie mir vergeben?«, fragt er und schießt ihn nieder. In einem anderen Film könnte man diesen Satz für tarantinoesken Zynismus halten. In diesem jedoch ist die Zahl der Todesopfer zwar hoch, aber die Wunden schmerzen wirklich. Und der Mörder ist jemand, der weiß, was Sünde ist, und nicht darauf hoffen kann, dass ihm eine andere Zukunft als die Verdammnis bleibt.
»Cold Blood – Kein Ausweg. Keine Gnade.« scheint aus der Zeit gefallen, nicht nur wegen seines alttestamentarischen Furors. Er spielt in einer Welt, die archaisch anmutet. In Michigan herrscht ein eisiger Winter, ein Schneesturm kündigt sich an. Hier benutzt man noch Münztelefon, und Polizisten können sich partout nicht vorstellen, dass eine Frau ihren Beruf ebenso professionell ausübt. Die Geschwister Addison und Liza haben ein Casino ausgeraubt; ihr Komplize ist bei einem Verkehrsunfall ums Leben gekommen. Nun müssen sie die kanadische Grenze ohne Fluchtauto erreichen; den Dienstwagen des erschossenen Polizisten, der ihnen zur Hilfe eilen wollte, können sie nicht nehmen. Obwohl sie mehr als gewöhnliche Geschwisterliebe verbindet, bestimmt Addison, dass sie sich vorerst trennen müssen. Während er sich durch die Wildnis schlägt, soll seine Schwester als Anhalterin ihr Glück versuchen.
Für sein amerikanisches Debüt hat sich der österreichische Regisseur Stefan Ruzowitzky ein ehrgeizig konstruiertes Drehbuch ausgesucht. Autor Zach Dean führt mehrere Erzählstränge parallel und schließlich zusammen. Liza wird von dem gerade entlassenen Sträfling Jay mitgenommen, der seine Eltern besuchen will. Der ehemalige Boxer, der einst die Chance auf eine olympische Medaille bei einem manipulierten Fight verspielte, ist ebenfalls auf der Flucht: Er glaubt, am Morgen seinen korrupten Promoter erschlagen zu haben. In der erstaunlich dicht bevölkerten Wildnis stößt Addison auf einen indianischen Fallensteller und später auf einen trunksüchtigen Familientyrannen, dessen Kinder er retten will. Hanna, die Tochter des örtlichen Sheriffs, will gegen den Befehl ihres Vaters an der Jagd nach den Räubern teilnehmen. Wäre dies ein Stummfilm, müsste jeder zweite Zwischentitel mit »Währenddessen . . . « anfangen.
Die Handlung ist auf wenige Stunden verdichtet, sie beginnt am Tag vor und endet an Thanksgiving. Da muss sich alles schnell fügen. Das Erzähltempo und das hervorragende Darstellerensemble (es ist eine Freude, Sissy Spacek und Kris Kristofferson zusammen auf der Leinwand zu sehen) hinterlassen dennoch einen starken Eindruck. Trotz gelegentlichen Strauchelns ist das Drehbuch thematisch dicht konstruiert. Es dekliniert das Motiv der unentrinnbaren Blutsbande in vielen Varianten durch: Entfremdung, hilfloser Groll, Sehnsucht nach Zugehörigkeit und inzestuöse Umklammerung. So oder so sind sie ein Brandmal, dass sich nicht beseitigen lässt. »Kin« sollte der Film erst heißen, Verwandtschaft. Das wäre ein passenderer Titel gewesen, denn kaltes Blut bewahrt kaum einer in diesem Film.
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