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Morgen vor 30 Jahren ging "Turner Classic Movies" auf Sendung. Er ist nicht der erste Kabelsender in den USA, der sein Programm komplett mit Spielfilmen bestreitet, aber der beste. Das war maßgeblich Robert Osborne zu verdanken, der 23 Jahre lang dessen Gesicht war. Zum feierlichen Start auf dem Times Square hatte er es nicht weit, denn er wohnte nur ein paar Blocks nördlich.
Ich weiß nicht, wer die Idee hatte, den Startschuss in New York zu geben, denn der Sender ist in Atlanta ansässig, der Heimat seines Gründers Ted Turner. Vielleicht ging sie auf ihn zurück, denn der Gründer von CNN dachte in großen Dimensionen. Die "Kreuzung der Welt", wie lokalstolze New Yorker ihren Knotenpunkt nennen, hatte genau das richtige Kaliber. Zu diesem Zeitpunkt trug der Times Square seinen Namen übrigens fast auf den Tag genau 90 Jahre. Er verdankte ihr der "New York Times", die dort seinerzeit ein neues Verlags- und Redaktionsgebäude bezogen hatte. Traditionsbewusstsein wohnte der Neugründung also bereits in ihrer Geburtsstunde inne. Sie sollte das klassische Hollywoodkino feiern. Als Turner den (rein symbolischen) Schalter betätigte, assistierten ihm mehrere Veteranen der Traumfabrik, darunter der Regisseur Arthur Hiller und die Stars Arlene Dahl, Jane Powell und Van Johnson. Bob war mit ihnen befreundet. Als Kolumnist des "Hollywood Reporter" hatte dieser soignierte Gentleman, der Geheimnisse wahren konnte, sich über die Jahrzehnte das Vertrauen vieler Hollywoodlegenden, darunter Bette Davis, erworben. Er brachte ein Flair von Familiarität in die Unternehmung ein.
Mit seinen "CNN"-Milliarden hatte Turner ein paar Jahre die Kataloge von Warner Brothers, United Artists und MGM (noch ein Jubiläum: die feiern am 17. April ihren 100. Geburtstag) erworben. Seinerzeit gab es schon einige Filmsender im Kabel, allen voran "AMC" (American Movie Classics). Deren Host war ein Schauspieler, der vorbereitete Texte ablas. Bob jedoch verfügte über einzigartige historische Kenntnisse. Beim kleineren "Movie Channel" und zuvor als Filmspezialist der TV-Shows von Dinah Shore und Mariette Hartley hatte er Fernseherfahrung gesammelt. Er war mithin die ideale Besetzung für die Gallionsfigur von TCM. Vor den Vertragsverhandlungen war er jedoch einigermaßen nervös. Er müsse nun erst einmal eine Schönheitskur absolvieren, meinte er am Telefon, gerade so wie Norma Desmond vor ihrem vermeintlichen Comeback in Billy Wilders »Sunset Boulevard«. Für einen Sender zu arbeiten, der an jedem Wochentag rund um die Uhr Spielfilme zeigte, war noch einmal eine ganz andere Aufgabe. Über Bobs erste Begegnung mit Turner habe ich an dieser Stelle bereits geschrieben, in "The Osbo Incident" vom 7.3. 2017.
Der Eröffnungsfilm von TCM war »Vom Winde verweht«, der weitgehend in Atlanta spielt. Bobs Wertschätzung für ihn war mir immer ein Rätsel.Vielleicht rührte sie einfach daher, dass er den Geschmack des Publikums respektierte. Begeistert zeigte er mir den Ort, an dem 1939 das Premierenkino gestanden hatte und er war stolz, dass der Sender ihm ein Apartment gemietet hatte, das nur ein paar Straßen entfernt lag. Er pendelte fortan allwöchentlich zwischen New York und Atlanta. Daheim schrieb er seine Anmoderationen, wozu er nach einer Weile eine Freundin hinzuzog, die sich über Abwechslung in ihrem müßiggängerischen Leben als Socialite freute. Bei ein paar Sitzungen war ich zugegen und steuerte einige Ideen bei, die meist jedoch verworfen wurden. Mir gefiel, dass Bob nicht nur Anekdoten über Stars und Dreharbeiten erzählte, sondern auch andere Mitwirkende in den Fokus rückte, beispielsweise den Drehbuchautor Wilson Mizner. Das Ganze war zwar ein nostalgisches, aber eben auch authentisch cinéphiles Unterfangen.
Einige Male besuchte ich ihn bei den Aufnahmen seiner Intros und Abmoderationen. Turners Studio war im Stil der alten Herrenhäuser der Südstaaten errichtet worden; tatsächlich erinnerte es ein wenig an Tara. Dort wurde in entspannter Windeseile gearbeitet. Zuerst waren die Teams klein, der Kameramann fungierte zugleich als Regisseur. Ihm kam es vor allem darauf an, dass es genug head room über dem Moderator gab. Bob genügten meist ein, zwei Takes. Zu Anfang ging es darum, den Sender bekannt zu machen. Dazu wurden Preisausschreiben und dergleichen veranstaltet. Es genierte mich ein wenig, Bob in der Rolle des Verkäufers zu sehen. Die Dekors wandelten sich mit den Jahren, sie wurden immer familiärer. Das Kabelpublikum konnte den Eindruck gewinnen, ein alter Freund würde ihnen von seinem Wohnzimmer aus von dem legendären Goldenen Zeitalter Hollywoods berichten. Wie viele wohlhabende Menschen war Bob sparsam. Mitunter bat er die Damen der Kostümabteilung, für ihn einen Pullover oder eine Hose zurück zu legen, die er bei den Moderationen trug. Durch TCM wurde er richtiggehend reich.
Bei einem Besuch in Atlanta, es muss 1994 gewesen sein, war mein Vater dabei, den das Treiben im Studio faszinierte und der insgeheim hoffte, bei der Gelegenheit Turner und Jane Fonda zu begegnen. Zuvor hatten wir Bob in New Orleans getroffen, wo er bei einer Messe der Kabelsender auftrat. Habe ich hier schon geschrieben, wie sehr mich seine ungeheure Intuition für die Branche beeindruckte? Wir saßen im Café du Monde in N'Orleans, als aus Cannes die Nachricht kam, dass »Pulp Fiction« die Goldene Palme gewonnen hatte. Bob kannte Tarantinos Film nicht, aber er sagte voraus, dass John Travolta jetzt ein großes Comeback erleben würde.
Der neue Sender wurde ziemlich schnell ein Erfolg. Der in Boston lebende Filmhistoriker Jean-Pierre Coursodon, mit dem ich einmal eine TV-Dokumentation drehte über das Buch, das er zusammen mit Bertrand Tavernier über die Geschichte des Hollywoodkinos geschrieben hatte, war ein Fan der ersten Stunde. Bald trat jedoch bei ihm eine gewisse Entzauberung ein, denn einige Filme wurden im falschen Format ausgestrahlt. Seine Briefe und Faxe (das war noch vor dem Internet) leitete ich dann regelmäßig an Bob weiter. Kritik hörte er aber nicht so gern.
Kurioserweise bekam der Kanal Jahre lang keine Sendelizenz in Los Angeles. Er war fast überall in den USA zu empfangen, nur in der Filmmetropole nicht. So wurde ein TCM-Festival mit Klassikern aus der Taufe gehoben, für das Bob alljährlich Stars und Regisseure interviewte. Die Lizenz ließ nach dem ersten Jahrgang nicht lange auf sich warten. Er kam ohnehin viel herum, stellte den Sender in zahlreichen US-Metropolen vor. Bald bot TCM eigene Kreuzfahrten an, auf denen er Filmprogramme zeigte und mit alten Freunden und Freundinnen wie Jane Powell diskutierte. Irgendwann berichtete Bob, dass der Sender Co-Moderatoren gewonnen hatte, darunter Alec Baldwin. Inzwischen gab es auch Ableger in Europa, in England, Spanien und Frankreich (wo ich den deutschstämmigen Programmchef einmal bei einem Empfang der Cinémathèque kennenlernte, als sie bei einer King-Vidor-Retro kooperierten). Diesseits des Atlantiks verfolgte ich im Netz das Programm des Senders, dessen Website auch eine nützliche Datenbank war und auf der bemerkenswerte Essays veröffentlicht wurden. Nach Bobs Tod verlor ich das Interesse daran.
Als er 2017 starb, schrieb eine Autorin in ihrem Nachruf, seine Eröffnungsformel "Hi, I'm Robert Osborne" seien die schönste Worte, die man im US-Fernsehen hören könne. Sie waren mir ganz vertraut, denn so begann auch die Ansage seines Anrufbeantworters. Daheim in den USA erklingen sie dieser Tage nun wieder. TCM wiederholt zum Jubiläum etliche seiner Moderationen. Suchen Sie einfach mal auf Youtube.com, dort können sie das schöne "Hi, I'm Robert Osborne" vielfach hören.
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