Prepper, Punks und wilde Kinder
»Furiosa: A Mad Max Saga« (2024). © Warner Bros. Pictures/Jasin Boland
Die Welt nach der Katastrophe, dem Atomkrieg, der Pandemie, dem Öko-Kollaps: Das Thema scheint das Kino endlos zu faszinieren. So auch in diesem Krisenjahr, in dem Alex Garlands »Civil War« und die »Mad Max«-Auskopplung »Furiosa« starten. Aber wie weit reicht die Fantasie? Marcus Stiglegger über die Traditionen, Motive und Stereotype des postapokalyptischen Films
»Civil War«, der neue Film von Alex Garland, zeigt schon im Trailer eindrucksvoll, wie gesellschaftliche Strukturen sich auflösen und die industrielle Welt innerhalb kurzer Zeit in mörderische Anarchie stürzt. Man kann sich vorstellen, wie das weitergeht: Plünderungen, Bandenunwesen und Selbstjustiz werden sich ausbreiten, vermeintlich vorbereitete »Prepper« von gewalttätigen und schwer bewaffneten »Doomern« ausgeraubt werden. Das fruchtbare Land wird zum mythischen Wasteland, durch das sich verwilderte Stämme und unbeugsame Einzelgängerinnen und Einzelgänger kämpfen. So sehen wir es in vielen Filmen – aus den USA, Australien, Italien, England und auch Deutschland. Wie konstruieren diese Filme ihre Welten und welche Standards haben sich etabliert?
Visionen vom Ende der Welt findet man bereits in antiken Mythologien und biblischen Texten. Doch die moderne Vision eines Untergangs der modernen, industrialisierten Gesellschaften folgt anderen Gesetzmäßigkeiten und bringt andere Bilder hervor, als es die alten Mythen beschreiben. Pandemien entvölkern die Städte, atomare Detonationen erzeugen Wüsten, wo einmal Städte waren, Blackouts und neue Bürgerkriege lassen die Strukturen der Zivilisation zusammenbrechen. Lediglich der Klimawandel erzeugt neue biblische Plagen: Die Sintflut oder die Dürre setzen den Menschen auch heute zu.
Die Helden der Postapokalypse tauchen erst deutlich nach dem Zweiten Weltkrieg auf. So musste Vincent Price als »The Last Man on Earth – Die wahre Legende« (1964) von Sidney Salkow täglich Vampire jagen und sich mit der Tatsache abfinden, dass er der Letzte seiner Art sein könnte. Später traten Charlton Heston (»Der Omega-Mann«, 1971, Boris Sagal) und Will Smith (»I am Legend«, 2008, Francis Lawrence) in Neuverfilmungen der gleichen Romanvorlage auf und jagten lichtscheue Mutanten oder ebenso lichtscheue Untote durch das verlassene Los Angeles bzw. New York City. Don Johnson durchwanderte indes die postapokalyptische Ödnis mit seinem Hund (»Der Junge mit dem Hund/A Boy and his Dog – In der Gewalt der Unterirdischen«, 1975, L. Q. Jones): Im Jahr 2024 (!) ist die Erde durch den atomaren Vierten Weltkrieg völlig zerstört worden; die Menschen haben sich unter die Erde zurückgezogen. Gerade dieser kleine Indiefilm nahm Motive vorweg, die noch heute unsere Vorstellung der Postapokalypse prägen: die Wüste, den Kampf um Ressourcen, die Tribalisierung und die Vorstellung vom Einzelgänger gegen die destruktive Gemeinschaft. Selbst der Hund als einziger Freund taucht später wieder auf. Kevin Costner spielt in »Waterworld« (1995) von Kevin Reynolds und in seinem selbst inszenierten »Postman« (1997) eine Art Frontier- und Westernhelden zwischen einer neuen Wildnis und den letzten Resten der Zivilisation. Als Postman liefert er nach dem Zusammenbruch der US-Gesellschaft noch immer deren Briefe aus – stilecht in Uniform und auf dem Pferderücken.
Die Postapokalypse ist allerdings nicht nur Männersache. Schon in »Mad Max 2 – Der Vollstrecker« (1982) erleben wir eine stoische Kriegerin an der Seite des Protagonisten. Max kommt als lakonischer Einzelgänger in eine Enklave weiß gekleideter Hippies. Doch weder die zaghaften Avancen eines wilden Kindes noch die einer ebenso stoischen Kriegerin können ihn erweichen – am Ende verschwindet er wieder in der Wüste Australiens. Spätere Filme wie »Mad Max: Fury Road« und das für Herbst angekündigte Prequel »Furiosa« (2024) machen aus einer solchen Kriegerin (Charlize Theron, Anya Taylor-Joy) die eigentliche Protagonistin. In dem ungewöhnlichen deutschen Genrebeitrag »Endzeit« (2018) von Carolina Hellsgård sind es zwei junge Frauen (Gro Swantje Kohlhof, Maja Lehrer), die sich gegen Horden von Zombies und bizarren Mutanten behaupten, ähnlich in »The Bad Batch« (2016) von Ana Lily Amirpour.
In einer radikalen Fußnote erleben wir in »Wolfen« (1982) von Michael Wadleigh, dass echte Wölfe die verfallende Bronx in New York übernehmen. Das posthumane Zeitalter wird eingeläutet, die Wölfe übernehmen die Welt, die den Menschen langsam verabschiedet, aus dem Verborgenen heraus. Die pelzigen Jäger waren vor ihm auf der Erde, wurden verdrängt und kehren nun – im Niedergang der Städte – zurück, um ihren gewohnten Platz einzunehmen. Und selbst ohne echte Wölfe machen uns die postapokalyptischen Filme klar: Der Mensch ist dem Menschen ein Wolf. Jeder ist sich beim Überleben selbst der Nächste. Und anfängliche Freundlichkeit kann bedeuten, dass man bereits auf dem Speiseplan der anderen steht. Es bleibt aber die Idee des »letzten Menschen«, der wie in Richard Mathesons gleichnamigen Roman (1954) erkennen muss: »I am Legend – Ich bin Legende.«
Die Großstadtapokalypse ist ein eigenes Thema. Was in »Taxi Driver« (1976) noch als biblischer Monolog beschworen wird und in Wolfen durch teilweise reale Aufnahmen aus der damals verfallenden Bronx vermittelt wird, ist in »Die Klapperschlange« (1981) von John Carpenter schon (filmische) Realität. Im Jahr 1996 – lang ist das her – ist Manhattan komplett abgeriegelt und in ein riesiges, ruinenhaftes Gefängnis umgewandelt worden, aus dem der einsame Wolf Snake Plissken (Kurt Russell) den dort abgestürzten US-Präsidenten (Donald Pleasence) retten soll. Die postapokalyptische Stadt erscheint als eine Welt aus Müll und Ruinen, in der verwahrloste und blutrünstige Kreaturen hausen – wie die Crazies, die nur nachts an die Oberfläche kommen, sehr ähnlich wie die Albinos in »Der Omega-Mann«. Für Plissken gibt es keinen Moment der Freiheit in der menschenleeren Großstadt – anders als für Will Smith in »I am Legend«, der tagsüber die sonnenhellen Hochhausschluchten mit seinem Vehikel erkundet. Plisskens Manhattan ist nächtlich, unberechenbar und brutal.
Die italienischen Filme »The Riffs« (1982) und »The Riffs 2 – Flucht aus der Bronx« (1983) von Enzo G. Castellari spielen dieses Modell mit der Bronx durch, die von verwilderten Gangs beherrscht wird. Der kommerzielle Erfolg all dieser Filme inspirierte eine Reihe italienischer Postapokalypsefilme, von denen zumindest »Fireflash – Der Tag nach dem Ende« (1983) von Sergio Martino noch ein apokalyptisches Stadtbild (im Jahr 2019) aufwies. Die meisten Filme dieser Phase spielten günstiger produziert in den tristen Steinbrüchen um Rom (»Metropolis 2000«, 1983, »Rockit – Final Executor«, 1984). Der Zusammenbruch der Städte scheint hier schlicht die Voraussetzung für eine verwüstete Welt. Es wirkt so, als seien die Ruinen der Städte unsicherer als die weitläufigen Ebenen, in denen sich der Feind kaum verbergen kann.
Die feindliche Umwelt ist vor allem gezeichnet durch das Absterben allen Lebens: Mit Viggo Mortensen wandern wir in »The Road« (2009), von John Hillcoat, durch eine solche unfruchtbar gewordene Welt, in der nur noch Baumgerippe von früherem Leben zeugen. Mit dem Voranschreiten der Verwüstung verschwinden auch die Tiere. Es ist totenstill. Oft kämpfen wir uns mit den letzten Menschen durch Sandsturm und Staub, wie es die »Mad Max«-Filme bis heute vorführen. Doch auch Wasser kann zur Wüste werden, wie »Waterworld« und »Tides« (2021) von Tim Fehlbaum belegen. Kevin Costner zeigt, dass man mit improvisierten Booten rasante Verfolgungsjagden hinbekommt.
Meist erscheint die Sonne als eine entfesselte und stets feindliche Naturgewalt. Ob sie das Polareis schmilzt oder die Vegetation verbrennt – die Hitze ist feindlich. Wiederum Tim Fehlbaum hat das in »Hell« (2014) zum Thema gemacht: Hier muss man sich vor der Sonne schützen, um zu überleben. Der Titel ist bewusst mehrdeutig, denn er bezieht sich ebenso auf die tödliche Kraft der Sonne wie auf das Resultat der Katastrophe, die das Leben selbst zur Hölle macht. Es ist also nicht verwunderlich, dass immer wieder das sonnengeflutete Australien (»Mad Max«) und Kalifornien (»The Bad Batch«) als Schauplätze dienen.
Andererseits gibt es die Vision einer Vereisung der Welt. In »Snowpiercer« (2013) von Bong Joon-ho haben sich die letzten Menschen in einem nach Klassen geordneten Schnellzug versammelt, der auf einer ewigen Reise rund um die Welt rast, immer davon bedroht, im ewigen Eis zu verenden. In jedem dieser Fälle wird spürbar: Die Welt ist eine Wüste unter dem dünnen Firnis der Vegetation.
»Mad Max 2« beginnt mit einer mythischen Erzählung: Der einsame Held Max (Mel Gibson) wird aus der Sicht eines einstigen Kindes geschildert, das Max sein Leben verdankt. Dieses Kind ist hemmungslos verwildert: Es verständigt sich mit animalischen Lauten, trägt spärliche Fellteile als Kleidung und verteidigt sich mit einem tödlichen Bumerang.
Solche Kinder der Apokalypse tauchen immer wieder auf, meist als Sidekicks oder bizarre Nebenfiguren (»The Bad Batch«), doch manchmal gehören sie zu den Hauptfiguren und verkörpern eine vage Zukunft der Menschheit (»Hell«, »The Road«, »Waterworld«). Auch wenn sie bei ihrem ersten Erscheinen oft wild und desorientiert wirken, zeigt sich bald, dass sie ihre eigenen Strategien entwickelt haben, um mit der neuen Welt zurechtzukommen. Sie passen sich schneller und effektiver an die neuen Bedingungen an, als es den Erwachsenen möglich ist, die vielleicht noch den Zustand vor der Apokalypse kennen. Ihr animalisches, verwahrlostes Äußeres täuscht über diese Fähigkeit zunächst hinweg – bis uns klar wird: Auch das »Feral Kid« aus »Mad Max 2« wird irgendwann erwachsen, denn seine Stimme ist es, die als Erzähler fungiert. »Mad Max – Jenseits der Donnerkuppel« brach gar mit der Endzeitmelancholie der Postapokalypse und ließ den einsamen Wolf einen ganzen Stamm Kinder retten, auf dass sie in den Ruinen eine neue Zivilisation gründen möchten. Danach durfte er erneut im Reich der Mythen verschwinden.
Mit der Barbarisierung der Gesellschaft kommen die Stämme zurück. Und mit dieser Tribalisierung wird die Zugehörigkeit der Mitglieder gekennzeichnet. Im postapokalyptischen Kino wird alles, was brauchbar erscheint, zweckentfremdet. Daraus entsteht eine Patchworkkleidung, die an etablierte Stile anknüpft. Vor allem die Do-it-yourself-Geste der Punkkultur scheint so in Leder- und Metalloutfits auf (»Mad Max 2: Fury Road«, »Waterworld«), doch auch die Hippiekultur erlebt ein Revival mit Leinenstoffen, Kapuzen, Stirnbändern und Sandalen (»Mad Max 2«, »Waterworld«). Oft sind es die brutalen Doomer-Horden, die im Punk- oder Bikeroutfit die neuen Hippie-Siedler heimsuchen. Hier knüpfen die Filme oft an Klischees der Counterculture ihrer Ära an, an popkulturelle Ideen von Krieg und Frieden. Erlaubt ist, was gefällt, von der Bikerkutte mit Naziemblemen (»No Blade of Grass«, »The Riffs«) bis zu dem Metallschrott-Cosplay aus »Mad Max – Jenseits der Donnerkuppel« (1985).
Immer steht irgendwo ein letztes Autogerippe, dessen Tank noch Benzin enthält. Dann kann man sein eigenes hybrid zusammengebasteltes »Vehikel«, wie es in »Mad Max 2« heißt, für eine weitere Etappe rüsten. Doch spätestens in »Mad Max: Fury Road« muss man sich fragen: Wohin geht diese Reise eigentlich? Gibt es die Postkarte mit der Strandidylle aus »Mad Max 2« noch? Oder führt die Reise letztlich im Kreis, wenn in »Mad Max 2« mitten in der Verfolgungsjagd eine Kehrtwende erfolgt?
In »The Road« müssen wir lernen: Es gibt keinen Zufluchtsort in der postapokalyptischen Welt. Auch das Vehikel ist keine Hilfe, es beschleunigt nur die Erkenntnis, verdammt zu sein. »No Blade of Grass« – kein Grashalm ist übrig, wie der Titel des britischen Pionierwerkes von Cornel Wilde (1970) andeutet. Rockerbanden mit ihren Maschinen beherrschen hier die britische Insel. Der ferne Strand mit blauen Wellen und Palmen, den man eventuell auf einer vergilbenden Postkarte erkennt, bleibt eine unerfüllte Hoffnung. Und selbst wenn man auf Pferden den Strand erreicht hat und die Wüste hinter sich lässt – man findet schließlich mit Charlton Heston die halb versunkenen Reste der Freiheitsstatue und weiß: Man ist der Letzte seiner Art (»Planet der Affen«, 1968).
In Genrehybriden zwischen Horror und Science-Fiction wird der postapokalyptische Film oft zum Zombiefilm. Von dieser Spielart gibt es inzwischen so viele, dass man sie als eigenes Subgenre werten kann – allem voran die Serie »The Walking Dead«. Doch auch in den weniger fantastischen Modellen wie »The Road« oder »Hell« stoßen wir auf kannibalische Stämme, die ihren untoten Geschwistern in nichts nachstehen: Beide trachten sie nach dem Fleisch und Leben der menschlichen Protagonisten. Da erscheinen die botanisch-menschlichen Mischwesen aus »Endzeit« (Trine Dyrholm) noch fast tröstlich und utopisch: Auch hier schimmern die Utopien der Hippieära durch. Der Mensch kehrt in ein Leben im Einklang mit der Natur zurück, indem er sich genetisch mit der Flora vermischt. Diese utopischen Pflanzenwesen sind ein, wenn man so will, veganes Gegenstück zu den fleischfressenden Zombie-Predatoren. Auch für die Überlebenden der Zombieapokalypse gilt das Versprechen einer Zuflucht, einer Oase im wüsten Land. Spätestens mit dem dritten Teil des Franchises »Resident Evil« (»Extinction«, 2007, Russell Mulcahy) macht sich die Kriegerin Alice (Milla Jovovich) auf die Suche nach immer neuen Hoffnungsschimmern, während um sie herum die menschliche Bevölkerung immer spärlicher wird. Wie so oft führt ihre Suche im Kreis und kehrt am Ende zum Ausgangspunkt zurück.
Einige Menschen der Postapokalypse können selbst als zombiehafte Hybridwesen betrachtet werden. Vor allem die Bösewichte aus der »Mad Max«-Reihe (Humungus, Immortan Joe) sind zum Teil von Krankheiten, Unfällen und Tumoren gezeichnet, treten nur maskiert auf und werden von Ledergeschirr und Plastik körperlich zusammengehalten. Sie erscheinen wie Frankensteingeschöpfe einer Zukunft, die den Menschen bereits verabschiedet. Es verwundert kaum, dass Immortan Joe in »Fury Road« in seinen versteckten Gemächern »Breeder« hält, mit denen er seine Nachkommenschaft sichern möchte. Seine Armee besteht aus bleich geschminkten »War Boys«, die in einem todessüchtigen Wahn für ihn in den Kampf ziehen, sich die Zähne silbern sprühen und »Walhalla« skandieren. Sie sind selbst »Zombies« einer Welt am Abgrund.
All diese Wesen erinnern uns daran: Der Mensch wird nicht ewig die Erde dominieren. Das posthumane Zeitalter kann jederzeit beginnen, sei es durch eine Naturkatastrophe, durch technisches Versagen – Blackout – oder die fortschreitende Spaltung der Gesellschaft, die sich in einem Civil War, einem Bürgerkrieg, wiederfindet.
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