Resident Evil: Die Kunst des Überlebens
»Resident Evil: The Final Chapter« (2016). © Constantin Film
»Resident Evil«, zum letzten Mal. Nach endlosen Verrissen und beachtlichen Kassenerfolgen geht die Serie um ein genetisch manipuliertes Mädchen, einen finsteren Superkonzern und eine Zombie-Epidemie in Rente. Was haben uns die 15 Jahre mit Milla Jovovich und ihrem Regisseur Paul W. S. Anderson gebracht?
»Welcome home«, sagt Milla Jovovich als unermüdliche Zombie-Jägerin Alice im Trailer des neuen »Resident Evil«-Films und lässt ihren Blick über eine Wüste aus Schutt und Staub schweifen, die Ruinen einer ehemals blühenden Stadt. Kann man sich hier zu Hause fühlen? Tatsächlich sind die Worte gar nicht so ironisch gemeint. Im Laufe von vierzehn Jahren, nach fünf Filmen, haben viele Zuschauer eine tiefe Bindung an Alices Universum entwickelt. Und, na ja, Raccoon City sah am Ende des ersten Teils schon nicht mehr so gut aus – man hatte genug Zeit, sich an diesen speziellen Katastrophen-Look zu gewöhnen.
Speziell ist er allerdings. Vor allem für eine Serie, die nie echte Starpower im Rücken hatte und nie mehr sein wollte als cooles B-Kino. Der erste »Resident Evil«-Film startete 2002 als Adaption eines Computerspiels, produziert von Bernd Eichinger, gedreht in Berlin und Potsdam von einem englischen Action-Regisseur, der für George A. Romero eingesprungen war, mit einem typischen Koproduktionsländer-Cast und einem Budget von 40 Millionen Dollar. Die meisten Kritiker haben in der Geschichte – im Prinzip eine Horrorstory, die praktisch vollständig in der unterirdischen Zentrale eines mit Biowaffen und Genmanipulation befassten Superkonzerns unter Untoten und Monstern spielt – nichts gesehen. Aber Hans Schifferle legte in der »Süddeutschen« damals bereits die richtige Spur aus, nannte den Regisseur Paul W. S. Anderson »unterschätzt«, Jovovichs Alice »durchdringend« und bemerkte, dass eine Wiederentdeckung des apokalyptischen Zombie-Subgenres im Gange war, die vielleicht etwas mit der Verunsicherung »einer losgelösten Welt nach dem Wegfall des Eisernen Vorhangs« zu tun haben könnte. Das muss man heute prophetisch nennen.
Anders aber als die vielen aktuellen Zombie-Shows und -filme, die die gesellschaftskritische Note des Horrormotivs verunklärt oder ins Reaktionäre gewendet haben, brachte »Resident Evil« früh das allgemeine Unwohlsein auf den Punkt: In der globalisierten Gesellschaft zerfallen die politischen Institutionen, und es regiert ungebändigt die Ökonomie. Bevor irgendetwas passiert, ist in diesen Filmen die Umbrella Corporation schon dagewesen, und im Lauf der Jahre wurde immer klarer, dass die mild futuristische Welt der Serie ganz und gar das Werk der Firma ist: Nicht nur Konsumgüter, Waffen und Pharmaka, grässliche Mutanten und das zombiefizierende T-Virus werden von dem Konzern geliefert, selbst die Heldin Alice, die aus tiefem Schlaf erwacht in die Handlung tritt wie Brünnhilde in die »Götterdämmerung«, entpuppt sich als »Produkt« von Umbrella – das Virus hat bei ihr eine ganz besondere Wirkung entfaltet, es hat sie zu einer Kampfmaschine gemacht.
Natürlich ist das alles übersichtlich, vom Plot her betrachtet. Das muss es sogar sein. Denn die Aufgabe des B-Pictures besteht nicht darin, den Herrschaftssprech von der für Sie und Dich und mich undurchschaubaren Komplexität der Verhältnisse nachzubeten. »Durch meinen Tod würde sich nichts ändern«, sagt Thomas Kretschmann als fieser Umbrella-Manager im Finish von »Resident Evil: Apocalypse«. »Nein«, anwortet Alice, »aber es ist ein Anfang.« An diese Direktheit des B-Pictures, an die Schönheit der kurzen Wege, hat Paul W. S. Anderson, der alle »Resident Evil«-Filme geschrieben und mit dem kommenden fünf selbst gedreht hat – beim dritten führte Russell Highlander Mulcahy Regie – stets geglaubt. Anderson hat seinen Job ernst genommen und Liebe in die Gestaltung des Projekts gesteckt.
»Resident Evil«, die Serie, das ist Horror und Cyberpunk, klassische Action, Martial Arts und natürlich auch ein bisschen Videogame-Ästhetik, obwohl Anderson die Filme nie als tie-ins verstanden hat, sondern wollte, dass sie als Kino funktionieren. Und das tun sie: Ihr Appeal, das, was sie nicht nur von vielen anderen Genreproduktionen unterscheidet, liegt in der ausgefeilten Visualität, im Spiel mit unterschiedlichen Registern. Kühl und stylish wirken die Umbrella-Labore und die immer mal wieder eingeblendete Benutzeroberfläche des Umbrella-Computersystems, hinter dem eine durchaus eigenwillige K.I., die »Red Queen«, steckt; düster oder verstaubt sind die Straßen und Gebäude, in die sich Alice und ihre wechselnden Bezugsgruppen im Überlebenskampf zurückziehen. Und dann gibt es da noch das Warme, Weiche, Schleimige – den Stoff eben, aus dem der moderne Horrorfilm gemacht ist.
Zwischen all dem wechseln die Filme smart und sicher die Perspektive, durch Überblendungen, Fast-Cuts und Fahrten, die Technik und »Biomasse« kurzschließen, Dinge transformieren oder den Zuschauer durch Spiegel, Gitter, Fenster in immer neue Settings stürzen lassen. Die digitale Kamera hat in den letzten beiden Teilen diese Mechanik noch flüssiger gemacht. Atemberaubend etwa die Eröffnungssequenz des vierten Films, »Afterlife«, die in wenigen Minuten die katastrophische Ausbreitung des Virus mit einem Jahre später stattfindenden Angriff einer Alice-Guerilla – sie wurde inzwischen geklont – auf das Umbrella-Hauptquartier in Tokio verlinkt. In Nummer fünf, »Retribution«, löste Anderson den Cliffhanger des vorangegangenen Films in einer spektakulären Schlachtsequenz auf, die rückwärts läuft: ein Doctor Strange des Kinos, ein Raum-Zeit-Manipulator, vor dem ein paar A-Regisseure ruhig mal den Hut ziehen könnten. Die Action selbst, die Bewegung der Körper im Raum, bleibt dabei immer nachvollziehbar, transparent. Auch die 3D-Technik hat Anderson gemeistert: Vergleichsweise licht und standfest, liefert das tiefe Bild bei ihm den Akteuren eine Bühne, als wär's ein MGM-Musical – und dann auch noch, im Finish von »Retribution«, in diesen Schneewittchenfarben, Weiß, Schwarz, Rot, hinreißend.
So umtriebig und anpassungsfähig wie die Filme selbst – der zweite bespielt die Stadt Raccoon, der dritte ist ein Wüstenwestern, der vierte führt in einen Gefängniskomplex an der Küste, der fünfte in einen fantastischen Untergrund, Games eben – zeigt sich Jovovichs Protagonistin. Über »Alice im Wunderland« und das final girl des Splatterfilms entwickelt sie sich zur ideellen Gesamt-Actionheldin, in deren verschiedenen Outfits, Frisuren und strategischen Entscheidungen Erinnerungen an »Mad Max«, »Matrix« und »Alien« zusammenfließen. Man könnte sagen: Jovovichs Erscheinung ist zeichen-, aber nie comichaft. Denn die Kamera lässt auch die Verletzlichkeit ihres Amazonenkörpers hervortreten – feine Adern, erschöpfte Blässe, knochige Kinderknie, Blessuren. Alice, vielleicht die erste echte postfeministische Heldin des Kinos, muss sich keine Polster in den BH stopfen wie Angelina Jolie, um die Geeks und Gamer bei der Stange zu halten. Sie muss aber auch nicht ihre »weiblichen« Eigenschaften, ihre Emotionalität etwa, ablegen und zum Kerl in drag werden: Auf lange Sicht waren in »Resident Evil« die Frauen, neben Jovovich vor allem Michelle Rodriguez, sehr viel widerstandsfähiger als die wechselnden, zuletzt regelrecht ornamental wirkenden männlichen Mitspieler.
Der Mainstream der Kritik hat sich mit »Resident Evil« nie versöhnt, aber die Serie war kommerziell erfolgreich, die populärste Game-Adaption überhaupt. Und unter Genrefans gilt Paul W. S. Anderson längst als Auteur. Weil Erzählen und Dramatisieren nicht die Mittel sind, um mit unserer flott Richtung Desaster mutierenden Welt Schritt zu halten. Weil Stil und Inhalt sich im Film nicht trennen lassen, weil ein Zoom mehr sagen kann als tausend Worte, und weil . . . Ach, zum Teufel, weil: Alice.
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