Nahaufnahme von Rebecca Ferguson
»Dune: Teil 2« (2024). © Warner Bros. Entertainment
Tom Cruise schwärmt für ihre Wangenknochen, die ihn an Ingrid Bergman erinnern. Eine Weltkarriere hätte Rebecca Ferguson aber auch ohne ihn geschafft, denn die Kamera liebt sie und entdeckt wurde sie gleich mehrfach. Auf der Straße wird sie bis heute dennoch kaum erkannt
Der erste Leinwandstar, für den Tom Cruise schwärmte, war Ingrid Bergman. Für die Karriere von Rebecca Ferguson war dieser crush ihr Durchbruch. Denn Tom Cruise engagierte sie auch wegen ihrer Ähnlichkeit mit dem schwedischen Weltstar für seinen fünften Teil der »Mission: Impossible«-Actionfilm-Reihe »Rogue Nation«. Ein Ingrid-Bergman-Lookalike als Actionheldin? Warum nicht! Rebecca Ferguson ist mit einer Größe von 1,65 Meter zwar gute 10 cm kleiner und schmaler als ihr stattliches schwedisches Vorbild. Doch wenn sie in goldgelber Abendrobe blitzschnell einen Schurken anspringt und dessen Hals wie bei einer Schere zwischen ihre Oberschenkel klemmt, ist dies einer jener Momente, die Filmgeschichte schreiben. An demselben Schauplatz, der glamourösen Wiener Oper, wird dieser von einem Ferguson-Double durchgeführte killer thigh move anschließend auf charmante Art parodiert. Ilsa nämlich (genau, benannt nach der tragischen »Casablanca«-Heldin), diesmal Ferguson in Person, rettet wie nebenbei auch Ethan Hunt, indem sie sich mit ihm, ihn in den Schraubstock ihrer Oberschenkel klemmend, aus schwindelerregender Höhe abseilt. Es spricht für die Selbstironie von Cruise, dass er sich diese Rettung mit dem fassungslosen Blick eines kleinen Jungen gefallen lässt. Und auch in den folgenden »M:I«-Filmen ist die geheimnisvolle Agentin mal Verbündete, mal Gegnerin von Hunt. Die wortlose Sympathie, vielleicht Liebe, der beiden zieht sich als romantischer roter Faden durch die rasante Handlung. Natürlich denkt man, »sie müssen sich kriegen, sie müssen einfach«, und weiß doch – denn da ist Ethan Hunt ganz James Bond – dass der Actionheld keine Frau an seiner Seite haben darf. So wird Ilsa Faust in Cruise' bis jetzt letztem Actionabenteuer »Mission: Impossible – Dead Reckoning Teil 1« in einer romantischen Venedig-Szene liquidiert.
Für Rebecca Ferguson dürfte dieser Filmtod aber kein Karrierekiller sein. Längst hat sie sich, etwa als Heldenmutter in der Sci-Fi-Oper »Dune« und als Sängerin Jenny Lind im Musical »Greatest Showman« in Hollywood etabliert, ist, vielleicht, auf dem Weg zum Weltstar. Ihre Co-Stars jedenfalls gehören zur Crème de la Crème, etwa Meryl Streep als begeistert grauenhafte Sängerin »Florence Foster Jenkins«. Deren Ehemann – Hugh Grant – hat mit Rebecca Ferguson eine, etwas genervte, Geliebte. Im Thriller »Girl on the Train« bekommt sie, neben Hauptdarstellerin Emily Blunt, die kleine aber entscheidende Rolle einer Ehefrau, die ihren mörderischen Mann ihrerseits umbringt. Im schwedischen Thriller »Schneemann« spielt sie an der Seite von Michael Fassbender eine rätselhafte Kommissarin. Und im Horror-Science-Fiction-Actionfilm »Life« mit Jake Gyllenhaal erinnert sie an Lieutenant Ripley aus »Alien«.
So unterschiedlich diese Rollen sind – zuletzt etwa war sie als metaphorische Heldin der Arbeiterklasse in der dystopischen Serie »Silo« am Heizkessel zu sehen –, so haben sie doch eines gemein: Im Kino lacht Rebecca Ferguson fast nie und hat auch nicht viel zu lachen. Sie strahlt mit ihrem ebenmäßigen Gesicht und dem eisigen blauen Blick eine fesselnde Gravitas aus. Diese göttinnenhafte Anmutung in Kombination mit gelenkiger Action, erstmals in »M:I« etabliert, erwies sich auch in weiteren Filmen als Win-Win. Rebecca Ferguson macht gleichermaßen als ernste, würdige, wie auch in tiefergelegten Filmen, biestigen Rollen, meist bleibenden Eindruck. Gleich bei ihrem ersten ausländischen Casting 2013 ergatterte die zweisprachig aufgewachsene Schauspielerin in der britischen Historienserie »The White Queen« den Part der legendär schönen Geliebten und späteren Ehefrau von Edward IV., Elizabeth Woodville, in der Epoche des Rosenkrieges im 15. Jahrhundert. Und sie erregte die Aufmerksamkeit von Tom Cruise. Laut Ferguson ist ihre Karriere voller solcher glücklicher Zufälle und gehorcht keinem Plan. »Ich bin immer auf der Welle geritten«, sagte sie achselzuckend in einem Porträt (WSJ Magazine 2021). Die Tochter eines Schweden und einer Schottin wurde von ihrer Mutter bereits mit 13 Jahren als Kosmetikmodel vermarktet, eine Beschäftigung, die Rebecca Ferguson hasste. Weil ihr Foto aber in einem Katalog abgebildet war, fragte man sie für ein TV-Casting an. Und Ferguson, der das Posieren vor der Kamera sehr schwergefallen war, erlebte das Casting für die Serie als Erweckungsmoment, begann sie doch ganz unbefangen, zu spielen, herumzuprobieren. Das Ergebnis war die Hauptrolle in der Soap-Opera »Nya Tider« (1999), als Teenager Anna Gripenhielm, Tochter einer Upperclass-Familie, die einen nicht standesgemäßen Freund hat. Die Serie, die in einem straffen Zeitplan – fünf Folgen pro Woche für eineinhalb Jahre – gedreht wurde, verlangte dem Teenager ein anstrengendes learning by doing ab. Dass sie nie an einer Schauspielschule war, scheint sie lange beschäftigt zu haben. Unschlüssig, ob sie überhaupt Schauspielerin sein wollte, klinkte sie sich aus und jobbte eine Zeit lang u. a. als Kellnerin in einem koreanischen Restaurant und als Kindermädchen. Einen quasi obligatorischen Auftritt absolvierte sie zwischendurch in »Kommissar Wallander«. In Schwung kam ihre Karriere wieder, welch Zufall, als sie 2011 in dem Fischerort Simrismamn, in dem sie mit Partner und Kind lebte, auf dem Markt von dem schwedischen Regieveteranen Richard Hobert neu entdeckt wurde. Seine Tragikomödie »A One-Way to Antibes« war in Schweden sowohl ein Kritiker- wie ein großer Publikumserfolg und verschaffte Rebecca Ferguson eine Nominierung für einen »Rising Star Award« auf dem Filmfestival in Stockholm.
Die Frage, ob Ferguson auch ohne Cruise eine Weltkarriere geschafft hätte, darf angesichts so vieler Entdeckungen bejaht werden. Die Sache ist nämlich die: Ähnlich sieht Rebecca Ferguson ihrer schwedischen Landsmännin nur in Tom Cruise' Filmen, in denen ihr Gesicht aus bestimmten Winkeln ausgeleuchtet wird. Für ihre Vorbereitung auf die Ilsa-Rolle bat er sie, »Notorious« und andere Bergman-Klassiker zu studieren. Nicht unerheblich dürfte für ihr Engagement aber außerdem gewesen sein, dass Ferguson bereits seit ihrer Kindheit tanzte: Ballett, Street Dance, Jazz und Tango. Sie unterrichtete sogar ein paar Jahre an einer Tanzkompanie in Stockholm argentinischen Tango. Für die Action in »M:I« war diese physische Beweglichkeit, gepaart mit darstellerischem Feingefühl, wohl so wichtig wie ihre Bergman-Wangenknochen. Kaum eine Spur davon ist übrigens in ihrem runden Kindergesicht in »Nya Tider« zu sehen. Und obwohl Rebecca Ferguson in einer Handvoll der größten Blockbuster der letzten Jahre aufgetreten ist, wird sie auf der Straße immer noch kaum erkannt. Sieht man sie in Interviews, wirkt sie, quirlig und Witze reißend, wie das nette Mädchen von nebenan.
Vielleicht hatte Tom Cruise doch recht mit seiner Schwärmerei für die klassischen Züge von Ingrid Bergman. Rebecca Ferguson hat ein Gesicht, das, wie es früher hieß, von der Kamera »geliebt« wird – jedoch im Alltag nur von Menschen, die selbst Kameraerfahrung haben, in seiner unauffälligen Schönheit bemerkt wird. Dieses Phänomen der verliebten Kamera lässt sich in vielen ihrer Filme beobachten. In »Dune« etwa ist sie erneut in einem quasi shakespear'schen Tragödinnen-Auftritt zu sehen. Denis Villeneuve gönnt ihr so viele (nicht-bergmaneske) Nahaufnahmen, dass ihre herbe Ausstrahlung zum ästhetischen Ruhepunkt im vertrackten und für Nichtleser kaum begreifbaren Worldbuilding des Epos wird. Die Ausstrahlung macht sich aber auch in eher trashigem Kintopp wie z. B. dem »Shining«-Nachzügler »Dr. Sleeps Erwachen« bemerkbar, in dem Ferguson als Vampirin ein ebensolcher Hingucker ist und die verquaste Handlung ein wenig in den Hintergrund rückt. Denn auch Horror steht ihr gut: In dem charmanten Coming-of-Age-Abenteuer »Wenn du König wärst« (2019), in dem ein gemobbter 12-jähriger das Schwert Excalibur findet und mit der Artus-Sage konfrontiert wird, gibt sie die Hexe Morgana. Wenn sie den Bub mit eisblau brennendem Blick fixiert, ist das wie eine Verbeugung vor dem von »Ilsa« tief faszinierten Tom Cruise.
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