Kritik zu Mein Sohn, der Soldat
In dieser Hommage an westafrikanische Kolonialsoldaten im Ersten Weltkrieg übernimmt Omar Sy als Vater, der mit seinem Sohn unfreiwillig in die Schützengräben an der ostfranzösischen Front gerät, eine ungewohnt dramatische Rolle
1917 in einem senegalesischen Dorf: der 17-jährige Rinderhirte Thierno wird von französischen Gendarmen zwangsrekrutiert. Um ihm zur Flucht zu verhelfen, verpflichtet sich sein Vater Bakary freiwillig. Die beiden stranden mit ihrer Einheit, deren Rekruten aus ganz Westafrika stammen, irgendwo im Osten Frankreichs in einem Weiler an der Frontlinie. Und während Bakary unablässig die Möglichkeit einer Fahnenflucht sondiert, wird Thierno von dem jungen Leutnant Chambreau zum Korporal befördert. Die Handlung dieses Spielfilms ist fiktiv, jedoch inspiriert von den Schicksalen der »tirailleurs sénégalais«, Infanteriesoldaten aus den französischen Kolonialgebieten, die bereits im Krieg 1870/71 zum Einsatz gekommen waren.
Regisseur Mathieu Vadepied, Kameramann bei »Ziemlich beste Freunde«, verleiht der Darstellung des Kriegsgeschehens mittels einer zweiten Ebene, der Entfremdung zwischen Vater und Sohn, unerwartete Tiefe. Mit dem Versprechen auf Status und Staatsbürgerschaft lässt sich Thierno von Chambreau für ein Himmelfahrtskommando einspannen. An der lebensgefährlichen Desertation mit seinem Vater, der mit einem dubiosen Mittelsmann die Flucht nach Le Havre plant, zeigt er kein Interesse. Dass er in der Hierarchie über dem Vater steht und ihn mit militärischem Drill herumkommandieren muss, führt gar zu einer Rangelei.
Die Tragödie dieser Vater-Sohn-Beziehung, eingebettet in die Schilderung eines Krieges in einem fremden Land, dessen Verteidigung beide nichts angeht, erzählt aus der Perspektive von Kolonialisierten – all das ist neues und hoch spannendes Material. Doch dessen dramatisches Potenzial wird durch eine inkohärente Inszenierung nur ansatzweise ausgereizt. Bereits der abrupte Schauplatzwechsel zwischen der senegalesischen Heimat und der Ankunft an der Front in einer anderen Welt, bei dem Reise und militärische Ausbildung völlig außen vor bleiben, ist eine verpasste Chance. Auch in den zerfahrenen Anekdoten zwischen Soldatenleben und Schützengraben gelingt es nur selten, ein Gefühl für Zeit, Ort und das Ausmaß des Schreckens des Stellungskrieges zu vermitteln. So scheint es etwa im Niemandsland zwischen den Fronten, in das Vater und Sohn geraten, keine Minenfelder und sonstigen Fallen zu geben. Neben Co-Produzent Omar Sy, dem Sympathieträger aus »Ziemlich beste Freunde«, als Vater entwickelt Alassane Diong als Sohn wenig charakterliches Profil. Mit dem übereifrigen Chambreau, der ebenfalls ein Vaterproblem hat, bekommt er ein weißes Spiegelbild. Doch auch dieser Aspekt gerät zu schnell aus dem Gesichtsfeld.
Ärgerlich ist insbesondere für deutsche Zuschauer, dass die historische Gemengelage so vage bleibt und man sich Informationen über die Kolonialeinheiten in La Grande Guerre selbst zusammensuchen muss. Das größte Verdienst des Films ist es deshalb, dass er diese Neugier wachruft und diese bis dato unbeachtete Fußnote des Ersten Weltkriegs ins Licht rückt. Doch bei diesem Thema hätte man sich mehr epischen Atem gewünscht.
Ihre Meinung ist gefragt, Schreiben Sie uns