Netflix: »Luther: The Fallen Sun«
DCI John Luther ist wohl der amerikanischste unter den englischen Serienhelden: Von seinem Erfinder Neil Cross wurde er 2010 als Kreuzung zwischen Sherlock Holmes, James Bond und Columbo konzipiert, und der Brite Idris Elba hat ihn mit dem amerikanischen Flair angereichert, das er aus der Drogenszene von »The Wire« mitbrachte. Ganz konsequent hat sich die Serie im Laufe der Jahre verdichtet, von anfangs sechs Folgen pro Staffel bis zu den Zweiteilern, die bereits wie ein langer Film anmuteten. Mit einem Film von gut zwei Stunden Länge erreicht der neue »Luther« nun zwar Kinoformat, läuft aber doch nur auf Netflix, was ein bisschen schade ist, denn die stimmungsvollen Schauplätze in der Londoner Unterwelt, mit verregneten, dunklen Gassen, flackernden Neonlichtern, schummrigen Kneipen und finsteren Großraumbüros würden sich auf der großen Leinwand gut machen, genau wie die magnetische Kinopräsenz von Idris Elba.
Es beginnt mit einem jungen Hausmeister, der nachts am Arbeitsplatz einen Anruf erhält. Die kratzig-sonore Stimme gehört Andy Serkis, der schon viele extreme Bösewichter zum Schillern gebracht hat, von Gollum über Ulysses Klaue im Marvel Cinematic Universe bis zu Snoke in »Star Wars«. Die perfiden Serienkiller, mit denen es Luther von Anfang an zu tun hatte, waren spürbar amerikanisch inspiriert. Sein neuester Gegner heißt David Robey und ist ein ganz besonders widerlich perverses Exemplar, ein stinkreicher Psychopath, der sich nicht mehr verstecken will und im Darknet seine Öffentlichkeit gefunden hat. Ein Massenmörder, der zwischen schmeichelndem Charme und schneidender Bosheit oszilliert und es sich viel Zeit, Mühe und Geld kosten lässt, ein weitreichendes Netz von Erpressungsopfern zu knüpfen.
Allgegenwärtig hören seine Angestellten mit, über elektronische Gadgets in Küche, Wohn- und Kinderzimmer, über Alexa und Siri, Computer und Handy, über Babyphon und Kinderspielzeuge. So stellt er ein Heer von Agenten-Marionetten zusammen, Menschen, die alle irgendeine Schwachstelle haben, ein schmutziges Geheimnis, das sie auf keinen Fall an die Öffentlichkeit kommen lassen wollen. Auch Luthers Schicksal hat er in der Hand, bringt ihn ins Gefängnis, für die vielen Male, in denen er das Recht verbogen hat, damit die Killer nicht davonkommen. Luther kann entkommen, ist fortan aber Jäger und Gejagter zugleich.
Das Szenario, das Autor Neil Cross und Regisseur Jamie Payne (der bereits Luthers letzten Fernsehauftritt inszeniert hat) entwerfen, ist so übertrieben finster, dass man sich immer wieder eher in einer Graphic Novel wähnt oder in einer theatralisch pompösen Inszenierung, beispielsweise wenn mehrere Opfer von der Decke im Foyer einer weißen Villa hängen und dann vor ihren Angehörigen in einem elektronisch gezündeten Feuer lichterloh verbrennen. »Luther – The Fallen Sun« verbindet die Serientradition mit den höheren Schauwerten eines Kinofilms, in dem man sich gut zurechtfinden kann, auch ohne die Serie zu kennen.
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