Kritik zu Roter Himmel
Christian Petzold schlägt in seinem neuen Film – bei der Berlinale mit dem Großen Preis der Jury ausgezeichnet – ungewohnte Töne an: In einem Ferienhaus an der Ostsee entspinnt sich zwischen fünf Menschen eine Sommerkomödie, während am Horizont Waldbrände heraufziehen
Das zweite Werk ist das schwerste, heißt es. Mit dem Erstling hat man mit aller Kraft die Stimme erhoben, hat auf sich aufmerksam gemacht. Mit dem Nachfolger muss man beweisen, dass da auch Substanz dahintersteckt. Mit diesem Druck kann der junge Schriftsteller Leon (Thomas Schubert) nur schwer umgehen. Er steckt bei der Arbeit an seinem zweiten Buch fest. Spätestens, wenn er irgendwann den Titel verrät, ist klar: Er sollte noch mal gründlich nachdenken – »Club Sandwich«? – Schon dieses Detail zeigt, wie Christian Petzold sich in »Roter Himmel« auch mal für Humor der etwas tapsigeren Art nicht zu schade ist. Petzold muss mit seinem inzwischen 18. Spielfilm niemandem mehr etwas beweisen, und man spürt so etwas wie eine neue Leichtigkeit im Blick auf seine Figuren und deren menschlichen Irrwege.
»Roter Himmel« ist ein veritabler Sommerfilm. In dem Ferienhaus, in dem sich Leon gemeinsam mit seinem alten Freund Felix (Langston Uibel) einquartiert, um in Ruhe sein Buch auf den richtigen Weg zu bringen, wähnt man sich bisweilen eher in Frankreich denn an der deutschen Ostseeküste. Die Jahreszeitenfilme Eric Rohmers bilden den klaren atmosphärischen Bezugspunkt für die komödiantischen Verwicklungen zwischen fünf Menschen in dem von Wald umgebenen Haus in Strandnähe. Wobei: Allzu viel verwickelt sich in der zunächst sanft dahinschwebenden Geschichte gar nicht, außer dass Leon – von Schubert mit schönster Miesepetrigkeit gespielt – sich immer mehr in sein Gehäuse vom unverstanden-zerquälten Schriftsteller zurückzieht, während um ihn herum das Leben passiert. Felix und er haben das Haus nämlich zu ihrer Überraschung nicht für sich allein: Nadja (Paula Beer), die an der Strandpromenade Eis verkauft, ist auch da. Und sehr zum Unmut des schlaflosen Leon bekommt sie nächtlichen Besuch von Rettungsschwimmer Devid (Enno Trebs). Auch steht der Besuch von Leons Verleger Helmut (Matthias Brandt) an, der mit »Club Sandwich« hart ins Gericht gehen wird.
Die amourösen Konstellationen zwischen den jungen Leuten erweisen sich als sehr beweglich, nur Leon ist starr und isoliert sich. Wenn Nadja ihn etwa auffordert, mit an den Strand zu gehen, verbarrikadiert sich Leon hinter einem gestelzten »Die Arbeit lässt das leider nicht zu« – dabei fühlt er sich in Wahrheit immer mehr zu ihr hingezogen. Es ist eine Lust zu verfolgen, wie Petzolds Regie und Hans Fromms Kamera liebevoll und zugleich etwas spöttisch – und darin gewissermaßen Nadjas Verbündete – Leons hilflose Manöver in Szene setzen. So finden sie Momente voller Situationskomik – etwa wenn er heimlich in Nadjas Sachen stöbert und dann aus Angst vor Entdeckung zu seinem Laptop rennt und so tut, als sei er seit Stunden in seinen Text vertieft –, doch auch Poesie: Großartig die Szene, in der Leon nachts von drinnen beobachtet, wie draußen Nadja mit den andern Badminton spielt, mit fluoreszierenden Schlägern. Irgendwann blickt sie zu ihm ins Dunkel des Hauses – aber sieht sie ihn wirklich? Schließlich ist nicht alles, was es scheint. So ist Nadja nicht nur Eisverkäuferin, sondern auch Literaturwissenschaftlerin, aber sie macht, anders als Leon, keinen Wind darum.
Als unterschwellige Bedrohung die ganze Zeit präsent sind die Waldbrände, die sich ringsum ausbreiten. Nach all der Leichtigkeit bekommt Roter Himmel zuletzt dadurch eine dramatische Wendung. Den Film durchziehen Motive der deutschen Romantik, die zudem typisch Petzoldsche Motive sind: der Wald, das einsame Haus, die Träume.
Die Geschichte vom endlosen Kreisen um sich selbst, von Sehnsucht und Eifersucht, während man gegenüber dem Rest der Welt so lange blind bleibt, bis die Katastrophe da und alles zu spät ist – sie passt nur zu gut in unsere Zeit. Umso beeindruckender die Zärtlichkeit und Nonchalance, mit der Petzold eine so humorvolle éducation sentimentale ins Desaster und dieses wiederum in die Sphäre der Kunst überführt.
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