Nahaufnahme von Thomas Schubert
Thomas Schubert in »Roter Himmel« (2023). © Christian Schulz / Schramm Film
Er meint, es ist reiner Zufall gewesen, dass er zum Casting für »Atmen« von Karl Markovics erschienen war. Vielleicht war es aber auch schicksalhaft unausweichlich, jedenfalls bekam Thomas Schubert die Hauptrolle. Jetzt macht er unter Christian Petzolds Regie schlechte Laune zum großen Schauspiel
He's been robbed. Eigentlich hätte Thomas Schubert am Ende der diesjährigen Berlinale für seinen semi-verkrachten, meist griesgrämigen Schriftsteller in Christian Petzolds »Roter Himmel« mit dem Silbernen Bären für die Beste Schauspielerische Leistung in einer Hauptrolle nach Hause gehen müssen. Das tat stattdessen die achtjährige Sofía Otero, die in »20 000 especies de abejas« (20 000 Species of Bees) von Estibaliz Urresola Solaguren einen Jungen spielt, der ein Mädchen sein oder werden will oder bereits eigentlich ist. Nichts gegen schauspielende Kinder und das (Natur-)Talent, mit dem sie uns mitunter umhauen, aber muss das gleich einen Silbernen Bären ergeben? Wird da nicht vielleicht die Figur mit der Darstellerin verwechselt?
Um's noch mal zu sagen, Thomas Schubert müsste diesen Bären jetzt bei sich daheim im Regal stehen haben. Sein miesepetriger Schreiberling ist eine Schau, eine mutige Darbietung von Schwäche, eine komplexe Erkundung erbarmungswürdiger Großkotzigkeit, die schon beim kleinsten Gegenwind eingeht: Er ist einer, der am Tisch gern das große Wort führen würde, stattdessen aber allenfalls unter demselben hervorkläfft, während er sich gleichzeitig feige vor dem Tritt fürchtet.
Dabei sieht er auf den ersten Blick gar nicht aus wie eine Mimose ohne Selbstvertrauen. Schubert ist ein Mann von kräftiger Statur, dem ein Schopf Haare unbotmäßig in die Stirn fällt und in dessen Gesicht ein sinnlicher Mund unter einer kräftigen Nase liegt – darüber ein Paar ausdrucksstarke Augen, die den Umstand, dass es sich hier nicht unbedingt um eine feinziselierte Physiognomie handelt, obsolet werden lassen. Wenn Schubert schaut, dann gibt es auch etwas zu sehen. Am 15. August dieses Jahres wird Thomas Schubert 30 Jahre alt werden, er ist inzwischen zu einem stattlichen Mannsbild herangewachsen, dem der leichte Bauchansatz Erdenschwere verleiht; das kann dann respektabel wirken und auch bedächtig. Man darf allerdings die stoisch wirkende Ruhe, mit der Schubert seine Figuren mitunter ausstattet, nicht mit Behäbigkeit verwechseln, geschweige denn sie für verschlafen halten.
Zur Schauspielerei ist der 1993 in Wien geborene Schubert gekommen wie die sprichwörtliche Jungfrau zum Kind. In einem Interview mit der österreichischen Tageszeitung »Die Presse« erzählt er es so: »Für den Film wurden einige Laiendarsteller gesucht. Ein Freund von mir hatte einen Flyer zu einem Streetcasting in der Schule hängen. Das ist so ein Typ, der alles einmal ausprobiert. Er wollte eben zu diesem Casting. Das war an einem Samstag. Ich hab ihn angerufen, um was mit ihm zu machen, dann hab ich ihn einfach begleitet. Die Dame an der Rezeption wollte wissen, ob wir zwei Stammdatenblätter brauchen. »Wenn ich schon da bin ...« Zu schön, es einer Drehbuchautor:in durchgehen zu lassen, aber weil das Leben immer noch die besten Geschichten schreibt, gab nun also der 17-jährige Thomas Schubert sein Schauspieldebüt in »Atmen«, dem Regiedebüt des Schauspielers Karl Markovics – beides sorgte für Furore.
Der jugendliche Totschläger Roman Kogler, der kurz vor der Entlassung aus der Jugendhaft als Freigänger eine Ausbildung bei der Städtischen Bestattung Wien beginnt, redet nicht viel. Man begreift unmittelbar, dass da einem die Mitteilsamkeit schon vor längerem ausgetrieben wurde, noch bevor man erfährt, dass Roman als Säugling von seiner Mutter weggegeben wurde und eine Laufbahn durch die Institutionen hinter sich hat, die schließlich in jene traumainduzierte Gewalttat mündet, bei deren Bewältigung »Atmen« ihn so aufmerksam beobachtet. Roman ist ein gehorsamer Zögling, Häftling, Lehrling, der sich bemüht, nach außen hin möglichst wenig Angriffsfläche zu bieten, um den in seinem Inneren gerade noch flackernden Rest Lebendigseins zu schützen. Umso faszinierender ist es, zu sehen, wie die Welt sich ihm wieder bemerkbar macht, wie er zögerlich ihr Eindringen zulässt und allmählich mehr wagt; gleichsam als würde das Blickfeld sich öffnen, Licht hereinströmen und eine Erstarrung sich langsam lösen.
Wahrlich keine leichte Rolle, erst recht nicht für einen Anfänger, eine, die Wachheit erfordert und Genauigkeit im Einsatz minimaler Ausdrucksmittel; noch dazu bekommt Schubert es mit Schwergewicht Georg Friedrich als Bestatterkollege zu tun. Da aber Friedrich ein ausgesprochen großzügiger Schauspieler ist und Regisseur Markovics ja eh derselben Zunft angehört, erhält Schubert die Gelegenheit zu glänzen und wird folgerichtig 2012 als Bester Darsteller mit dem Österreichischen Filmpreis ausgezeichnet.
Ein gutes Dutzend Jahre liegt dieses umfassend glückliche Zusammentreffen, diese, O-Ton Schubert, »große Lebenswende« nunmehr zurück. Und Schubert hat die Zeit nicht mit Unfug verplempert. Freilich fehlen auch in seiner Filmografie nicht die obligatorischen Gastauftritte in renommierten deutschsprachigen Krimiserien. Darunter allerdings auch »Bis Mitternacht«, eine von Dominik Graf verantwortete Polizeiruf 110-Episode mit Kammerspielanmutung, in der Schubert in der Rolle eines mutmaßlichen Serientäters gemeinsam mit Verena Altenberger in der Rolle der Kommissarin die Frage zu klären versucht, wer von beiden wohl mit weniger mehr ausdrücken kann.
In Nebenrollen wie dem Bauernsohn und Bräutigam in Andreas Prochaskas fulminantem Alpenwestern »Das finstere Tal« (2014) oder dem gehorsam mitschuldigen Pfleger in Kai Wessels bitterem NS-Drama »Nebel im August« (2016) mag Schubert zwar im Hintergrund agieren, aber er ist dabei doch sehr präsent. Ohne viel Aufhebens macht er deutlich, dass das, was seine Figur denkt und fühlt, für den Gesamtzusammenhang von Wichtigkeit ist. Schubert spielt keine Chargen, die lediglich den Hintergrund ausmalen, er gestaltet charakterliche Miniaturen, die den Sinn der Erzählung erweitern.
Erst recht gilt das natürlich für größere Rollen wie zum Beispiel Mario, den Ex-Freund wider Willen in »Das freiwillige Jahr« (Ulrich Köhler, Henner Winckler, 2019), oder Jacob, der in »Windstill« (Nancy Camaldo, 2021) seinen Beruf als Koch mit der neuen Rolle als Vater eher nicht unter einen Hut bringt. Wer darüber hinaus noch Fragen hat, der möge sich mit »Wintermärchen« (2018) konfrontieren, Jan Bonnys mit voller Absicht schmerzender Versuch einer Annäherung an die sado-masochistisch-depressive Psychodynamik im Inneren einer rechtsextremen (den NSU fiktionalisierenden) Terrorzelle, in dem Schubert im semi-improvisierten Zusammenspiel mit Ricarda Seifried und Jean-Luc Bubert an die Grenzen geht. Mit Bonny wird Schubert ein paar Jahre später auch bei der Netflix-Serie »King of Stonks« (2022), die den Wirecard-Skandal als Wirtschaftssatire fasst, zusammenarbeiten und den dringend benötigten Kontrast zum völlig enthemmt aufspielenden Matthias Brandt bilden.
Mit Brandt als Lektor / Verleger bekommt es dann wiederum Schuberts Schriftsteller Leon zu tun; womit wir neuerlich bei »Roter Himmel« wären und der Kreis sich schließt. Leon also, Spaßbremse und Spielverderber, der eine verklemmte Schwere in die sommerliche Luftigkeit des Wochenendes bringt, das vier junge Leute gemeinsam in einem Haus an der Ostsee verbringen. Das so unbeschwert dann doch nicht ist, denn es tobt ein Feuer in den Wäldern, das färbt den Himmel rot. Leon aber nervt mit der Gespreiztheit, mit der er sein Künstlertum wie eine Monstranz vor sich herträgt. Und wenn er sich aus gemeinschaftlichem Badevergnügen ausklinkt mit der Begründung »die Arbeit lässt es nicht zu«, dann ist nicht nur ein großer Sager geboren, sondern auch ein armer Wicht ersichtlich. Der nur um sich selbst zu kreisen scheint, bis Filmemacher Petzold in einer atemberaubend kunstvollen Volte die Erzählperspektive neu definiert und das Scheitern sich zum Triumph wendet, während zugleich die Geschichte aus dem Genre der sanften Komödie entschlossen in jenes der Tragödie hinüberspringt. Denn das Feuer tobt nicht nur in den Kulissen.
Zwar liegt ein Trost darin, dass Christian Petzold für »Roter Himmel« mit dem Silbernen Bären Großer Preis der Jury ausgezeichnet worden ist, an der Lücke in Schuberts Preisregal ändert das aber leider auch nichts. Und weil wir gerade dabei sind: Der Goldene Bär hätte sich bestimmt auch bei Petzold sehr wohl gefühlt …
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