Kritik zu Windstill
Von einem jungen Elternpaar im ökonomischen Hamsterrad und von noch viel mehr erzählt Nancy Camaldo in ihrem Langfilmdebüt
Der Kippmoment kommmt in Minute 40 von »Windstill«, dem Langfilmdebüt von Nancy Camaldo, der zugleich ihr Abschlussfilm an der Hochschule für Fernsehen und Film München war: Der als Koch arbeitende Jacob (Thomas Schubert) wird aus der Küche gerufen, weil seine Lebensgefährtin Lara (Giulia Goldammer) mit der einjährigen Tochter im Restaurant steht. Jacob geht zum Kinderwagen, Lara verschwindet auf die Toilette. Die Kamera filmt den Moment unheilvollen Wartens passenderweise in einer ungeschnittenen Einstellung; sie gleitet durch das Lokal und fängt das Gesicht des verdatterten Jacob ein, der langsam realisiert, was passieren wird, nämlich nichts. Lara ist weg und er allein mit dem Kind.
Es ist ein Kippmoment, auch weil der Film bis dahin ganz gut funktioniert. Man folgt dem Paar durch den gehetzten Alltag, der von Entfremdung geprägt ist. Jacob arbeitet endlose Küchenschichten und bändelt mit einer Kollegin an, Lara schlägt sich Nächte als Uber-Fahrerin um die Ohren. Die beiden sind im ökonomischen Hamsterrad gefangen, Lara ist eine Mutter am Rande des Zusammenbruchs: Meist allein mit dem Kind, hat sie kein eigenes Leben mehr und ist sexuell frustriert.
Auch wenn dieses Porträt eines Paares am Limit einen leichten pädagogischen Unterton hat und ziemlich vorhersehbar scheint, hält »Windstill« bis zur Restaurantszene eine innere Spannung und etabliert mit dem Fokus auf der überforderten und wütenden Mutter ein Tabuthema auf der Leinwand. Kleine Momente erzählen viel, etwa wenn Lara kaum duschen gehen kann oder beim Einkaufen durch das Geschrei der Tochter an die Grenzen gebracht wird. Selten wird die dunkle Seite der Mutterschaft filmisch thematisiert, das muss man Camaldo anrechnen.
Doch mit dem Moment, in dem Lara die Stadt verlässt und zu ihrer Schwester Ida (Barbara Krzoska) ins elterliche Haus nach Südtirol fährt, kommt der Film ins Straucheln. Die Charaktere verlieren Kontur und verkommen zusehends zu Stichwortgeber:innen in einem Plot, der seinen Fokus verliert und überall das große Drama sucht. Plötzlich ist vom Kind keine Rede mehr, sondern es geht um Schwestern, die sich um die Einrichtung im elterlichen Bauernhaus streiten und wieder zusammenraufen. Die Eltern sind, wie gleichsam nebenbei erwähnt wird, bei einer Ballonfahrt in Ägypten in eine Stromleitung geraten (!), es kommt zum Eklat um den zu Filmbeginn überfahrenen Hund von Ida, und ein Unfall passiert.
Wo es im ersten Drittel eine filmische Konzentration auf gute Schauspieler gab, driftet »Windstill« völlig unvorhergesehen in einen Telenovela-Modus mit dramatischer Überfülle und flacher Dialoge ab. Mutter-Kind-Beziehungs-Schwestern-Hunde-Drama vor Heimatfilmkulisse: Das ist zu viel und nichts richtig. Da können leider auch ein beeindruckender Thomas Schubert, der in Jan Bonnys »Wintermärchen« gezeigt hat, dass man in Zukunft mit ihm rechnen muss, und eine ebenfalls gute Giulia Goldammer nichts dran ändern.
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