Nahaufnahme von Dimitrij Schaad

Ein nahbarer Typ
Dimitrij Schaad in Alex Schaads »Aus meiner Haut« (2022). © X-Verleih

Dimitrij Schaad in Alex Schaads »Aus meiner Haut« (2022). © X-Verleih

In den »Känguru«-Filmen spielt er mit Erfolg den liebenswerten Schluffi. Im Leben bekommt Dimitrij Schaad alles geregelt, von der Theaterarbeit übers Fernsehen bis zur neuen Kinoproduktion mit Bruder Alex

»Hallo!«, lächelt der Kleinkünstler Marc-Uwe die schöne Nachbarin ein wenig linkisch an der Haustür an: »Ich wollt mir grad ein paar Eierkuchen backen, und da ist mir aufgefallen, dass ich gar keine Eier hab . . .« Autsch, der ging daneben. Dabei hatte er im Grunde nur den Anfang seiner Freundschaft mit dem Känguru nachgespielt, klingt nur deutlich weniger verfänglich, wenn das ein an der Haustür stehendes Känguru sagt, schon weil die Aktion per se so absurd ist, dass gar nicht mehr so wichtig ist, was gesagt wird. Der Mann ist immer ein bisschen verplant, keinesfalls ehrgeizig oder auch nur zielstrebig, aber zu jeder Schandtat bereit. »Klingt total bescheuert«, kommentiert er einen Vorschlag des Kängurus, doch auf dessen Frage »Bist du dabei?« kommt ohne weitere Verzögerung ein herzhaftes »Natürlich!«

Mit seiner ersten Hauptrolle »als unterambitionierter Kleinkünstler mit Migräne-Hintergrund« und Alter Ego des Autors Marc-Uwe Kling wurde Dimitrij Schaad auf einen Schlag ziemlich berühmt und schnell auch ein bisschen abonniert – auf die schluffigen Typen, die ihr Leben auch mit 30 plus noch nicht wirklich im Griff haben. Die ein bisschen nerven, denen man aber auch nie lange grollen kann, weil Dimitrij Schaad mit fransigem Bart, wuscheligem Lockenkopf, schweren Lidern, tiefen Grübchen und einem immer ein bisschen schiefen und gerade darum sehr rührenden Lächeln einfach grundlegend sympathisch wirkt. Das gilt für den hochmotivierten, sich aber ständig verzettelnden und von den Kollegen nie so recht ernst genommenen Polizisten Sven Petzold in der Serie »Kleo« ebenso wie für den liebenswerten Kleinkünstler Marc-Uwe, den man auch nachmittags noch im »Schlafi« antreffen kann, wie die schöne Nachbarin feststellt. Alles in allem ist er ein nahbarer Typ, mit dem sich der durchschnittliche Kinozuschauer gut identifizieren kann – einer, dem eben nicht alles gelingt.

»Die Känguru-Chroniken« (2020). © X-Verleih

Doch ganz anders als im Gros seiner Rollen kriegt Dimitrij Schaad in Wirklichkeit sehr viel auf die Reihe, ist er sehr viel umtriebiger, fleißiger und auch deutlich erfolgreicher. Geboren wurde er 1985 als Dimitrij Alexandrowitsch Schaad in dem kleinen Städtchen Kaskelen in der sozialistischen Sowjetrepublik Kasachstan. Als er acht Jahre alt war, flüchtete seine Familie aus den postsozialistischen Wirren nach Deutschland, wo er nach dem Abitur Schauspiel an der Bayerischen Theaterakademie August Everding studierte. Anschließend studierte er am Staatlichen Institut der darstellenden Kunst in St. Petersburg. In seinen Anfängen als Schauspieler war Dimitrij Schaad ein Theatertier, am liebsten ganz pur, nur Bühne und Text, ohne postmodernen Schnickschnack: »Das Erlebnis, das mich fürs Theater entflammt hat, hatte ich 2006 in meinem ersten Jahr an der Schauspielschule, als die berühmte Macbeth-Inszenierung von Jürgen Gosch in München gastierte«, gab Schaad 2022 im Nachtkritik.de-Adventskalender zu Protokoll: »Es war leere Bühne, eine Lichtstimmung, alle Spieler immer da, und sonst nichts. Einfach nur der Text, keine Musik, keine Videos, keine Kunstscheiße, einfach nur Theater in seiner reinsten, pursten und wunderschönsten Form, und ich habe nie davor und selten danach etwas gesehen, das ich so grausam, so direkt, so nackt, so blutig, so verletzlich und so verspielt fand wie das!«

Auf die Schauspielschule folgten Engagements am Schauspiel Essen und im Schauspielhaus Bochum, wo er 2011 die erste von mehreren Auszeichnungen als bester Nachwuchsschauspieler einsammelte. 2013 wechselte er ans Berliner Maxim Gorki Theater, zugleich begann er mit TV-Rollen in Krimiserien wie »Polizeiruf«, »Wilsberg« und als Assistent des »Tatort«-Kommissars Felix Stark. Dazu kamen bald kleine Auftritte in modernen Serienformaten, in einer Folge der Techno-Underground-Serie »Beat« und in vier Folgen von »Das Boot«. Als SS-Standartenführer Gustav Eckermann wirkte er ungewohnt zackig, in Naziuniform und mit betont strengem Blick in den freundlich weichen Gesichtszügen.

Dabei verließ sich Schaad nie auf das Material, das ihm angeboten wurde, mischte sich früh auch als Autor ein, mit selbst geschriebenen Monologen für seine Auftritte am Maxim Gorki Theater, mit eigenen Stücken wie »Operation Mindfuck« und bei den Regieprojekten seines Bruders Alex Schaad, an denen er seit zehn Jahren intensiv beteiligt ist, angefangen mit dem 2016 mit dem Studenten-Oscar ausgezeichneten Social-Media-Thriller »The Invention of Trust«.  Das Drehbuch des für nur 2000 Euro in vier Tagen gedrehten HFF-Übungsfilms hat Dimitrij Schaad mit dem fünf Jahre jüngeren Alex entwickelt. Und er spielte den Gymnasiallehrer Michael Gewa, der eines Tages damit konfrontiert ist, dass ein Unternehmen seine gesamten Internet- und Handydaten gekauft hat und ihn erpresst. Nur gegen eine monatliche Gebühr könnte er verhindern, dass seine privaten Profile, Fotos und Nachrichten öffentlich werden. Wie schnell würde sich unsere Gesellschaft verändern, wenn alle Informationen aus dem Netz öffentlich zugänglich würden, lautet die Frage, aus der die beiden einen Thriller am Puls der Zeit konstruierten.  »Wir sind eng zusammen aufgewachsen und haben uns lange ein Zimmer geteilt«, beschreibt Alex Schaad das Verhältnis zu seinem Bruder: »Wir haben dieselben Filme gesehen, dieselben Bücher gelesen und denken sehr ähnlich.«

So wie »Invention of Trust« nimmt nun auch Alex Schaads Langspielfilmdebüt »Aus meiner Haut« den Zeitgeist auf. Erneut ein Gedankenspiel: Was wäre, wenn man den Körper mit einem anderen Menschen tauschen könnte? Dieses Thema lotet der Film tiefer aus als die klassischen Körpertauschfilme, die vor allem das komödiantische Potenzial solcher Szenarien, meist auch im Wechsel der Geschlechter, durchspielen. Für Jonas Dassler und Dimitrij Schaad wird der Film auch zum Extrem einer Schauspielübung, in der es darum geht, was die Essenz, »der kopierbare Kern eines Menschen«, ist. Im selben Körper lassen beide ganz unterschiedliche Temperamente und Persönlichkeiten wirken, spielen also quasi zwei verschiedene Rollen, im Wechsel zwischen extrovertiert, polternd, ausgreifend und introvertiert, nachdenklich, melancholisch. 2019 hat Dimitrij Schaad das Engagement am Maxim Gorki Theater beendet, um sich stärker auf Kinofilme und Serien konzentrieren zu können, nicht zuletzt auch um sich fünf Jahre und 37 Drehbuchfassungen intensiv mit einem Projekt wie »Aus meiner Haut« beschäftigen zu können, während er außerdem an der Berliner Hochschule für Schauspielkunst Ernst Busch als freier Dozent tätig ist. Und demnächst wird er im Spielfilmregiedebüt des Schauspielkollegen Charly Hübner zu sehen sein.

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