Nahaufnahme von Martin McDonagh
Martin McDonagh und Colin Farrell am Set von »The Banshees of Inisherin« (2022). © 20th Century Studios
Für seine erfrischend schrägen Drehbücher wird Martin McDonagh regelmäßig mit Preisen überhäuft: »Brügge sehen . . . und sterben?«, »Three Billboards Outside Ebbing, Missouri«. Das ist kein Wunder, denn der Mann hatte bereits eine erfolgreiche Theaterkarriere am Laufen, bevor er Filmemacher wurde
Wer zum Start von »The Banshees of Inisherin« ein bisschen Recherche anstellt und liest, dass Martin McDonagh Vegetarier und Tierliebhaber ist, den muss eine Szene aus seinem oscarprämierten Kurzfilm »Six Shooter« von 2004 einfach schmunzeln lassen: Ein Typ, bekannt dafür, sich mit den Winden von Kühen auszukennen, steckt dem verdattert dreinblickenden Tier neben sich Röhrchen in den Bauch, durch die Methan rauszischt. Als der Mann das Gas anzündet, schlägt die Flamme nach innen und lässt das Tier explodieren und in übergroßen Gulaschklumpen auf die Erde niederregnen.
Zimperlich oder politisch korrekt geht es bei dem 1970 in Camberwell, London, geborenen Dramatiker, Drehbuchautor und Regisseur nicht zu. Schon immer ist sein Kino, dafür steht bereits der kurze Erstling, vieles auf einmal: komisch, tragisch, melancholisch, brutal, durch und durch menschlich und immer von einem fantastisch aufspielenden Ensemble getragen.
Bereits in »Six Shooter« schiebt sich mit Brendan Gleeson, einer von McDonaghs Stammschauspielern, durch eine so traurige wie humorvoll-absurde Geschichte. Ein Mann, dessen Frau verstorben ist, trifft im Zug ein Paar, das um den Tod des Kindes trauert, und ein ketterauchendes junges Großmaul, das besagtes Paar buchstäblich zur Verzweiflung treibt. Der Junge erzählt später die verrückte Kuhgeschichte und liefert sich ein Shootout mit der Polizei. Am Ende sitzt Gleesons Figur mit einem Revolver in den eigenen vier Wänden. Mit einer von zwei Kugeln erschießt er den weißen Hasen der Frau, die andere ist für ihn selbst bestimmt. »Oh Jesus. What a fuckin day!«, sind seine Worte, als ihm die Waffe aus der Hand rutscht und der Schuss sich löst.
»What a fuckin day!« Das ist ein Satz, der vielen von McDonaghs tragischen Typen gut stehen würde. Es ist eine sehr exzentrische, eigene Stimmung, die McDonaghs Werke auszeichnet. So sehr sich bei der ausgelutschten Standardfloskel »Da bleibt einem das Lachen im Halse stecken« die Nackenhaare aufstellen: Auf wenige Filme passt sie so gut wie auf seine.
Der Sohn irischer Eltern wuchs mit seinem drei Jahre älteren Bruder John Michael, ebenfalls ein erfolgreicher Regisseur (»The Guard – Ein Ire sieht schwarz«, »Am Sonntag bist du tot«), im Süden Londons auf, zunächst in einem Anwesen in Elephant and Castle, später in einem Reihenhaus in Camberwell. Irische Kultur bekamen die Brüder durch die Eltern und die Ferienbesuche bei den Großeltern mit.
1994, im Alter von 24 Jahren, so steht es fast schon mythisch aufgeladen im Porträt im britischen »Guardian«, soll McDonagh sieben Theaterstücke in zehn Monaten geschrieben haben, die fast alle fast zeitgleich in Theatern von Galway bis zum National Theater aufgeführt wurden. Er sei, heißt es dort weiter, mit 27 Jahren der jüngste Mensch seit Shakespeare, von dem vier Stücke gleichzeitig in London aufgeführt wurden. Donnerwetter! Seit 2018 ist McDonagh mit der »Fleabag«-Schöpferin Phoebe Waller-Bridge liiert.
Dass der Mann, der mit 16 die Schule verließ und dann fünf Jahre im öffentlichen Dienst arbeitete, ein Händchen für dramatische Texte zu haben scheint, belegt sein erfolgreiches Bühnen-Œuvre: »The Leenane Trilogy«, die »Aran Islands Trilogy«, deren letztes Stück »The Banshees of Inisheer« nicht veröffentlicht wurde und nun den Weg ins Kino findet, und weitere Stücke wie das gefeierte »The Pillowman« (2003). Viele Bühnenstücke wurden in London und am Broadway uraufgeführt, weltweit auf großen Bühnen gespielt und mit Preisen ausgezeichnet, darunter die Laurence Olivier Awards der Society of London Theatre und, das amerikanische Pendant, die Tony Awards für herausragende Leistungen im Broadway-Theater.
Erfolgreich lief es auch im Bereich des Langfilms für den Filmemacher an. Das Drehbuch zu seinem Debüt »Brügge sehen … und sterben?« (2008) wurde bei den British Academy Film Awards ausgezeichnet und für einen Oscar nominiert, Hauptdarsteller Colin Farrell, der gemeinsam mit Brendan Gleeson ein Auftragskiller-Duo in der Warteschleife abgibt, erhielt einen Golden Globe.
»Shithole« krakeelt Farrells sensibler Killer über die mittelalterlich-pittoreske belgische Stadt, die sein kulturaffiner Kumpan (Gleeson) als Sightseeing-Paradies genießt. Begleitet von melancholischer Musik erzählt »Brügge« davon, wie die beiden nach einem misslungenen Auftrag auf Instruktionen des Chefs (herrlich cholerisch: Ralph Fiennes) warten: eine kauzig-melancholische Buddy-Geschichte zwischen Kirchen und Museen, übergewichtigen Amerikanern, einem kleinwüchsigen rassistischen Schauspieler, einer Liaison und, klar, Brutalität.
Dagegen erscheint der Folgefilm »7 Psychos« regelrecht überdreht. Am laufenden Band sterben hier Menschen, und die Metaebenen stapeln sich. Farrell schreibt als Autor an dem Drehbuch »Seven Psychopaths« und lässt sich von seinem arbeitslosen Kumpel (Sam Rockwell) beraten, der eine Zeitungsanzeige schaltet: »Psychopathen gesucht«. Als besagter Kumpel, der sich mit seinem Kompagnon (Christopher Walken) mit Dognapping über Wasser hält, den Shih Tzu eines Gangsterbosses (Woody Harrelson) entführt, eskaliert die Situation. Mit Genreverweisen und selbstreflexiven Spielereien erzählt McDonagh eine blutige Hundekidnapper- und Psychopathenballade. Er selbst sei, sagte er in Interviews, retrospektiv nicht zufrieden mit dem Film, er wollte hier zu cool sein.
Mit »Three Billboards Outside Ebbing, Missouri« (2017) kehrte McDonagh zu seiner tragikomischen Bestform zurück. Auch hier trifft Genrefilm auf Charakterstudie. »Three Billboards« ist sein Western, dieser vor Ambivalenzen produktiv berstende Film, in dem sich Frances McDormand in der ikonischen Rolle der prügelnden Mildred Hayes – ein weiblicher John Wayne? – in einem amerikanischen Provinzkaff mit der rassistischen Polizei anlegt, die den Vergewaltiger ihrer Tochter nicht gefasst hat. Auf drei großformatigen Werbetafeln klagt Mildred die Gesetzeshüter, vor allem den Polizeichef (Woody Harrelson), an und bringt damit eine Eskalationsspirale um Selbstjustiz, strukturellen Rassismus und die Macht der Versöhnung in Gang.
Gekonnt wirft McDonagh jegliche Sicherheiten über Bord, auf zum Schreien komische Dialogwitze folgen liebevolle Momente voller Zärtlichkeiten folgt Gewalt, Stichwort: Zahnarztbohrer in Daumen. Der Film ist dicht erzählt, viele der sympathischen wie unsympathischen Figuren, auch ein von Sam Rockwell gespielter aggressiver, rassistischer, bei Mama wohnender Polizist, bekommen eine Geschichte. McDonagh wurde, neben vielen weiteren Preisen für das fantastische Ensemble, beim Filmfest in Venedig und bei den Golden Globes für das beste Drehbuch ausgezeichnet.
Existenzialistisch auf eine verschrobene Art sind alle Filme des Briten, am Ende wartet nicht selten der Tod. Passenderweise – und hier schließt sich trotz der explodierten Kuh vom Anfang ein Kreis – ist das Werk des Tierliebhabers bevölkert von Tieren, in denen sich nicht selten die Figuren spiegeln: In »Brügge« trifft Farrells emotional angeschlagener Gangster einen Hund mit feuchten Glubschaugen, in einem poetischen Moment erblickt Mildred Hayes in »Three Billboards« ein Reh, ein Bild der töchterlichen Unschuld. »Du kannst keine Tiere sterben lassen in deinem Film, nur die Frauen« heißt es in »7 Psychos«.
In »The Banshees of Inisherin«, für den McDonagh in Venedig erneut den Drehbuchpreis bekam, spielen das Pferd Minnie und vor allem die Eselin Jenny wichtige Rollen, letztere als Spiegelbild des treudoofen und doch durch und durch liebenswerten Pádraic (Farrell). Während die Brandung unten und der Bürgerkrieg auf dem Festland tobt – der Film spielt im Jahr 1923 – wird Pádraic von seinem besten Kumpel Colm (Gleeson) ohne Vorwarnung einfach die Freundschaft gekündigt.
McDonaghs Tragikomödie, die immer mehr Richtung Drama driftet, ist ein so bitterschöner und witziger wie tieftrauriger Film über eine Fehde bis aufs Blut: eine Allegorie auf die Monotonie des puritanischen Insellebens und die Verzweiflung über die Zurückweisung. Und auch eine Allegorie auf den Irrsinn des Krieges auf dem Festland. Ein weiterer Höhepunkt des schreibbegabten Exzentrikers.
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