Kritik zu Animals

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Wehtun, um Augen zu öffnen: Angelehnt an einen wahren Fall aus Belgien erzählt Nabil Ben Yadir in seinem radikalen filmischen Triptychon von Hass und Homophobie

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Wenn der dreißigjährige Brahim (Soufiane Chilah) zu Beginn so tut, als würde der kleine Yassine tatsächlich vor seiner Nase verschwinden können, darf man das als unschuldigen Vorboten lesen. Denn »Animals« erzählt mit vielen Laiendarstellern in radikaler, zweitweise kaum zu ertragender kinematographischer Unmittelbarkeit von einem Verschwinden. Inspirieren ließ sich der belgische Regisseur Nabil Ben Yadir von dem Mordfall Ihsane Jarfi, der juristisch gesehen erste homophobe Mord Belgiens. Jarfi wurde im Frühjahr 2012 auf einem Feld bei Liège zu Tode geprügelt.

Die Bedrohung schwelt schon im ersten Teil dieses filmischen Triptychons mit. Wir sind mit dem muslimischen Brahim auf dem Geburtstag seiner Mutter und streunen mit ihm in langen Einstellungen, gefilmt im engen 4:3-Format, durch das elterliche Haus. Was nur ganz wenige der vielen Gäste wissen: Brahim ist schwul und wartet nervös auf seinen Lebensgefährten. 

Yadirs Film kommt zunächst daher wie eine ernstere Version von »Shiva Baby«. Hatte dort Regisseurin Emma Seligman auf einer familiären Trauerfeier mit tragikomischem Ton das traditionelle Judentum auf progressivere Lebens- und Sexualitätsentwürfe prallen lassen, bekommt »Animals« allerdings schnell und sehr drastisch Schlagseite. 

Brahim flüchtet auf der Suche nach seinem Freund ins Nachtleben und steigt vor einem Schwulenclub in das Auto einer Männergruppe. Ein fataler Fehler, denn im Auto warten die titelgebende Tiere: ein Haufen toxischer Typen, die Brahim in einem regelrechten Blutrausch auf einer abgelegenen Wiese aufs Übelste misshandeln und sich dabei filmen. Im 9:16-Instagram-Story-Format reihen sich Bilder nicht enden wollender verbaler und physischer Grausamkeiten inklusive einer mit Steinen zertrümmerten Hand und analer Penetration mit einem Ast aneinander. Mit einem auf Realismus zielenden, an Gaspar Noé erinnernden Konfrontationsgestus holt Yadir Menschenhass und Homophobie in den engen Bildausschnitt. 

Im dritten Teil schließlich heftet sich der Film an die Fersen von Loïc, dem Gehänselten unter den brutalen Tieren, der sich auf der Wiese noch mit einem »Ich bin stark«-Mantra krankhaft seiner selbst vergewissert. Wir folgen ihm in die elterliche Wohnung, wo er mit blutüberströmten Händen aus einem Topf »frisst«, bevor er seine animalische Seite gegen einen Anzug eintauscht, in dem er auf die Hochzeit seines Vaters geht. Es ist eine Episode voller Spiegelungen zwischen Opfer und dem (mitlaufenden?) Täter. Beide sind auf der Suche nach Akzeptanz, Liebe und Anerkennung. Yadir reißt seine Figuren grob an und zeigt sie in ihren problembeladenen sozialen Umfeldern.

»Animals« ist ein formal starker Film mit Haltung, der Fragen formuliert, um Erkenntnisse anzustoßen. So kontrovers es auch sein mag, dass Yadir die Gewalt ausführlich aus der Täterperspektive zeigt, so zielführend ist es: Diese bildgewordene Menschenverachtung vergisst man so schnell nicht. Yadirs Film will wehtun, um Augen zu öffnen.

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