Streaming-Tipp: »Hillbilly Elegy«
Als die Memoiren von JD Vance mit dem Titel »Hillbilly Elegy« 2016 erschienen, trafen sie einen Nerv. Der 1984 geborene Amerikaner beschreibt darin sehr eindringlich seine Kindheit im Rustbelt, dem »Rostgürtel« genannten Teil der USA, der lange von Bergbau und Schwermetallindustrie geprägt war und in dem eine vorwiegend weiße Arbeiterklasse inzwischen oft am Rande des Existenzminimums lebt. Vance selbst gelang der Weg aus der Armut und der dysfunktionalen Familie mit einer drogenabhängigen Mutter; er brachte es bis zum Jurastipendium an der renommierten Yale University. Seine Autobiografie kam just auf den Markt, als das kurz zuvor für unmöglich Gehaltene passierte und Donald Trump zum Präsidenten gewählt wurde. Und das mithilfe eben jener sich von Politik und Medien nicht zu Unrecht vernachlässigt fühlenden Bevölkerungsschichten. Seine präzise Innenperspektive öffnete vielen die Augen, die darin eine Erklärung für Trumps Erfolg sahen. Das Buch wurde zum Bestseller, auch in Deutschland.
Bereits früh hatte sich Ron Howard (»A Beautiful Mind«) die Filmrechte gesichert, zunächst als Produzent, schließlich übernahm er auch die Regie. Das Drehbuch stammt von Vanessa Taylor (»The Shape of Water«), die den Plot auf zwei Zeitebenen anlegt, in JDs Kindheit in Kentucky 1997 sowie in der Gegenwart des Jahres 2011, in der JD als vielversprechender Absolvent gerade auf der Suche nach einem Sommerjob zu Vorstellungsgesprächen bei renommierten Anwaltskanzleien eingeladen wird, während seine Mutter Bev (Amy Adams) fast an einer Überdosis Heroin krepiert wäre. JDs Schwester fleht ihn an, nach Hause zu kommen und ihr beizustehen, in Rückblenden wird dann JDs Aufwachsen zwischen verwahrlosender Mutter und strenger Großmutter (Glenn Close) als dessen eigentlicher Bezugsperson aufgefächert, um seine Fürsorge als Erwachsener (gespielt von Gabriel Basso in dessen erster Hauptrolle) zu erklären. Seine Figur erweist sich schnell als eine der Schwachstellen des Films, weil ihm keine Widersprüchlichkeit und kaum innere Zerrissenheit zugetraut wird, er bleibt letztlich blass.
Vance arbeitet inzwischen sehr erfolgreich als Finanzmanager. Mit seinem Beispiel an Entschlossenheit und Fleiß galt er zugleich schnell als moderner Inbegriff des amerikanischen Traums und wurde als Posterboy des Neoliberalismus ebenso gefeiert wie gehasst. Damit unterscheidet er sich stark von den relativ zeitgleich auf dem deutschen Buchmarkt erschienenen, autobiografisch fundierten Schriften der französischen Schule um Didier Eribon (»Rückkehr nach Reims«), der seinen sozialen Aufstieg aus der Arbeiterklasse ins linksliberale Bildungsbürgertum beschreibt. Die empfundene Scham über die Herkunft verbindet Eribon mit einer luziden soziologischen Analyse des Rechtsrucks der abgehängten Unterschicht. Davon fand sich in Vances Buch wenig, in der Adaption fehlt diese Ebene nun fast komplett oder reduziert sich oft auf kleine Beobachtungen wie den peinsamen Moment, bei einem offiziellen Dinner nicht zu wissen, welcher Löffel für welches Gericht zu verwenden ist, und unangenehme Fragen und elitären Standesdünkel seiner Kommilitonen und potenziellen Arbeitgebern zu ertragen.
Der Film ist immer dann am überzeugendsten, wenn er seine Figuren und ihre Lebensrealität ernst nimmt und das prekäre wie stolze Hinterwäldlerdasein mit seiner starken Familienloyalität differenziert dargestellt wird. Aber ein Erkenntnisgewinn stellt sich nicht ein, dafür funktionieren das Drehbuch und Ron Howards Inszenierung zu sehr nach den Regeln eines Hollywooderzählkinos, das Konflikte allzu glatt auflöst. Amy Adams und Glenn Close tun ihr Bestes, ihren realen Vorbildern in ihrer Komplexität gerecht zu werden, und ihre Schauspielkunst ist zweifellos makellos. Aber am Ende sieht man eben, und das ist nicht ihr Fehler, zwei gefeierte und zigfach oscarnominierte Filmstars in Kostüm und Maske. Auch für »Hillbilly Elegy« werden sie wieder ausgezeichnet werden. Doch JD Vances Geschichte hätten unbekannte Gesichter womöglich einen besseren Dienst erwiesen.
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